Die Illustration zeigt eine Person, die mit mehreren Armen und Händen viele Dinge gleichzeitig tut. Illustration von Tilmann Waldvogel

Entscheide dich mal!

Eine Welt voller Möglichkeiten trifft auf Menschen, die fast jede einzelne davon spannend finden. Blöd in einer Gesellschaft, die Expert:innen liebt.

“Uns ist aufgefallen, dass Ihr Lebenslauf sehr lang ist und Sie schon sehr unterschiedliche Tätigkeiten ausgeübt haben. Wird Ihnen schnell langweilig?” Worauf ich vorher immer stolz war, kam in diesem Vorstellungsgespräch nicht gut an. Meine Vielseitigkeit crashte gegen die Wirklichkeit. Gegen die gesellschaftliche Norm, eine Sache besonders gut zu können, um damit Geld zu verdienen.

Ein Praktikum hier, ein Ehrenamt dort. Diverse Ferien- und Nebenjobs. Ein sehr unspezifisches Sportwissenschafts-Studium, danach einen noch allgemeineren Master in Nachhaltigkeit. “Und was willst du nach dem Studium damit anfangen?” Was bei allen Studis alljährlich zu Weihnachten die Nackenhaare aufstellen lässt, ist für Leute wie mich besonders schwer zu beantworten.

Multitalent, Generalist:in, Vielbegabte:r, Tausendsassa – oder eben „Scanner-Persönlichkeit“. „Oftmals haben diese Menschen Schwierigkeiten, sich auf ein Interesse oder Thema festzulegen“, sagt Berufs-Coachin Christine Klomann. Dabei sind die Interessen meist sehr breit gestreut, reichen vom Veranstaltungsmanagement über Möbelbau bis hin zu Schauspiel und Theater. Wenn Scanner:innen diese Persönlichkeit nicht bedienen, „haben sie ein unheimliches Problem, sich weiter zu motivieren. Sie sehen dann keinen Sinn mehr in ihrer Aufgabe. Das kann zu Unzufriedenheit, bis hin zur Frustration oder Depression führen“, erklärt sie weiter.

Scanner:innen und Taucher:innen

Den Begriff hat die US-Amerikanerin und Coach Barbara Sher Ende der 1970er geprägt. Keine psychische Störung oder Krankheit, sondern eine Persönlichkeitsausprägung beschreibt dieses Phänomen, das nicht wissenschaftlich belegt ist. Es gibt keine anerkannte Definition, keine standardisierten Tests, keine Diagnostik und deshalb auch keine Statistik, die aufzeigt, wie weit dieses Merkmal verbreitet ist.

Als Gegensatz zur Scanner-Persönlichkeit beschreibt Sher die „Taucher:innen“, die für eine einzige Sache brennen und dieser ihr ganzes Leben widmen können.

Trotz fehlender wissenschaftlicher Belege gibt es Menschen wie mich, die sich als Scanner-Persönlichkeit identifizieren und von ähnlichen Beobachtungen und Herausforderungen, aber auch Vorteilen berichten: Sie sind rastlos, kreativ, sprunghaft, neugierig, interessieren sich ständig für neue Themen, in die sie sich dann Hals über Kopf und mit großer Begeisterung hineinstürzen.

Nach kurzer Zeit schrumpft das anfängliche Feuer dann aber zu einem kleinen Flämmchen zusammen oder erlischt ganz, denn Scanner:innen wird schnell langweilig. Eine parallele oder wechselhafte Beschäftigung mit Ideen oder Aufgaben ist für diese Menschen normal, Neues ausprobieren alltäglich. Dort wo andere sagen “Man müsste mal…” haben Scanner:innen schon längst angefangen, hören oft aber genauso schnell wieder damit auf.

Der gute alte Abschluss

Scanner-Persönlichkeiten müssen, wenn sie wieder mal ein Thema für abgeschlossen erklärt haben und sich einem neuen widmen möchten, sich immer wieder erklären. “Entscheide dich doch mal und bring endlich etwas zu Ende!”, heißt es dann oft von außen.

“Wir Scanner bringen ganz, ganz viel zu Ende”, erklärt Coach und Autorin Annette Bauer in Deutschlandfunk Nova. “Bloß unser Ende ist ein anderes als bei Nicht-Scannern. Also wenn ich mich mit einem Thema befasse, dann durchdringe ich das auf meine Art. Dann eigne ich mir das an, dann hole ich mir alle Infos, die ich brauche, um ein gewisses Zufriedenheitsmaß in mir zu spüren. Und wenn das erreicht ist, dann kommt bei mir automatisch die Langeweile auf. Und dann ist das Thema durch.”

Auch wenn häufige Jobwechsel in unserer schnelllebigen Welt immer normaler werden, bekommen Generalist:innen in einer Arbeitswelt, in der vor allem Expert:innen gefragt sind, immer wieder das Gefühl von Unzulänglichkeit. Was sollen Unternehmen auch mit einer Person anfangen, die nichts „so richtig“ kann und ständig was Neues braucht? Vor allem sind es aber die Strukturen, die das nicht zulassen – und nicht die Scanner-Persönlichkeiten, die falsch sind.

enn ob Scanner:in oder nicht: Nach wie vor ist ein grundlegender beruflicher Neuanfang etwas Außergewöhnliches, besonders in fortgeschrittenem Alter. Es “erfordert Mut, die Komfortzone zu verlassen. Eine komplette berufliche Umorientierung erscheint zunächst wie ein kaum zu bezwingender Berg”, schreibt Bonnie Kruse für ZDFheute.

Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung und des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung zeigt jedoch, dass sich der Mut lohnt: Hat man sich vorher nicht (mehr) wohl gefühlt, steigt im neuen Job durch neue Aufgaben und die neuen Arbeitsbeziehungen die Zufriedenheit – ein Plus auf dem Konto ist dagegen kaum entscheidend.

Das Thema trifft einen Nerv: Die Deutschen sind immer unzufriedener in ihren Jobs, sind gestresster als der europäische Durchschnitt. 65 Prozent sehnen sich nach einem Jobwechsel und auch wenn die Politik die Menschen gerne länger rackern sehen möchte, wollen doch die meisten Arbeitnehmer:innen lieber weniger arbeiten. Wie schön wäre es doch, Arbeit neu zu definieren, flexibler zu gestalten und die intrinsische Motivation zur Neuorientierung willkommen zu heißen, statt die Menschen sehenden Auges in den Burnout zu treiben.

Freiräume suchen und finden

Aber da das Geld ja irgendwo herkommen muss, zwängt man sich als Arbeitnehmer:in eben doch wieder in die Vollzeitjob-Norm. Firmen, die trotz verringerter Arbeitszeit den vollen Lohn zahlen – weil sie wissen, dass das Ergebnis nicht von der damit verbrachten Zeit abhängt – sind immer noch rar gesät. Zeit zur Entfaltung anderer Interessen? Fehlanzeige! Auswege muss man sich dann woanders suchen.

„Wer das von sich weiß, kann gucken, in welchem Bereich seines oder ihres Lebens sich diese Anlage ausleben lässt. Zum Beispiel mit Hobbys, ohne dann den Job zu gefährden, weil man da ständig gelangweilt herumsitzt”, erklärt Bauer. “Das kann natürlich auch bedeuten, dass ich vielleicht bei der Jobwahl nochmal gucke: Gibt es einen Beruf, der mir mehr Flexibilität ermöglicht? Oder vielleicht ein Unternehmen, das mir mehr Raum gibt und wo ich das Scanner-Sein als gute Sache einbringen kann?“

Für mehr Freiraum im Alltag kann ebenfalls eine Option sein, den Vollzeitjob auf 80 oder 70 Prozent zu reduzieren, wenn trotzdem noch genug Einkommen zum Leben vorhanden ist. Parallel kann der Aufbau einer Selbständigkeit, die der eigenen Vielseitigkeit besser entspricht, verfolgt werden. Oder es werden in der freigewordenen Zeit Interessen bedient, ohne die Absicht, Geld damit zu verdienen. Mutige kündigen regelmäßig und suchen sich was Neues. Dank Fachkräftemangel könnte das sogar in Zukunft deutlich einfacher werden.

Viele dieser Vorschläge sind meist privilegierten Menschen vorbehalten. Trotzdem kann es für jeden Menschen sinnvoll sein, alle möglichen Freiräume zu erkunden und für sich zu prüfen. Auch vor dem Hintergrund der Fragen: Was brauche ich wirklich? Welche Werte habe ich?

Text: Jaqueline Auerswald

Illustration: Tilmann Waldvogel

Quellen

„Oftmals haben diese Menschen Schwierigkeiten, sich auf einen Bereich festzulegen“, Jaqueline Auerswald, 2024. (Zum Artikel)

Sind Sie ein „Scanner“?, Gabriele Michel, 2018. (Zum Artikel)

Bock auf alles Wenn wir ständig neuen Input brauchen, Deutschlandfunk, 2021. (Zum Artikel)

So gelingt eine berufliche Neuorientierung, Bonnie Kruse, 2024. (Zum Artikel)

Unzufrieden im Job? Mut zum Wechsel zahlt sich aus, Bertelsmann Stiftung, 2025. (Zur Publikation)

Beschäftigte in Deutschland sind zunehmend unzufriedener. Die Zeit, 2024. (Zum Artikel)

Neue Studie enthüllt starken Wunsch nach Jobwechsel. Wirtschaftswoche, 2023. (Zum Artikel)

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