Sie kämpften für ihre eigene und die Freiheit aller und bleiben doch bis heute kaum gesehen: Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Von Flugblättern, Funkgeräten und Guillotinen.
Zunächst ist da nur Sophie Scholl. Andere Namen, die im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland genannt werden, sind vorrangig männlich. Da ist Georg Elser mit seinen paramilitärischen Kämpfern, das geplante Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Mitverschwörern oder die sogenannte Rote Kapelle rund um Heinrich Maier. Und dann gibt es da eben noch die Weiße Rose, auch dort, außer Sophie Scholl, kaum Frauennamen. Warum ist das so?
Sophie Scholl ist als Teil der Gruppe Weiße Rose die bekannteste Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Sie verteilte Flugblätter und wurde dabei festgenommen. Am 20. Februar 1943 wurde sie von den Nazis ermordet.
Die Rote Kapelle war kein selbstgewählter Begriff einer definierten Gruppe, vielmehr eine Bezeichnung der Gestapo für ein Widerstandsnetzwerk.
Je mehr ich lese, desto mehr Namen, mehr Geschichten tauchen auf. Angefangen mit der Roten Kapelle, die gar nicht so männlich dominiert war, wie angenommen, bis hin zu all den Frauen, die Flugblätter abgetippt, Verfolgte versteckt, Widerständler:innen geschützt, Radiosender aus dem Ausland abgehört und Versuche unternommen haben, Funksprüche zu senden. Die Namen all dieser Frauen sind bis heute kaum bekannt, obwohl viele von ihnen verurteilt und einige so wie viele männliche Mitstreiter hingerichtet wurden.
Unangepasste Heldinnen
Warum wir so wenige von ihnen kennen, hat unterschiedliche Gründe. Einer liegt im Frauenbild, das sich auch nach dem Krieg kaum verändert hat. Trotz der sogenannten Trümmerfrauen, etablierte sich kein Bild einer politischen, widerständigen Frau. Wenn überhaupt erwähnt, wurden sie als Freundin, Frau oder Verlobte, als „Anhängsel“ dargestellt.
Als “Trümmerfrauen” wurden nach dem Krieg Frauen bezeichnet, die verpflichtend oder freiwillig am Wiederaufbau beteiligt waren. Der Begriff gilt heute als glorifizierend, da das Bild der Frauen von der eigenen Schuld ablenken sollte.
Aus sozialistischen Elternhäusern oder der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) kommend, passten sie im Kalten Krieg nicht in das Idealbild Westdeutschlands. Die Frauen und Männer aus kommunistischen Kreisen wurden in der früheren Bundesrepublik vielmehr als Verräter:innen denn als Held:innen betrachtet. Eine Neubewertung fand erst in den letzten Jahrzehnten statt.
Gedenken nach System
Demgegenüber steht die Erinnerungskultur der DDR, in der insbesondere Frauen der Roten Kapelle bereits in den 50er und 60er Jahren gewürdigt wurden. Dass Sophie Scholl und die Weiße Rose so berühmt wurden, liegt daran, dass sie in die „Heldinnenrolle“ der damaligen Bundesrepublik passten. Der gewaltlose, moralisch statt politisch motivierte Widerstand einer jungen Frau, die noch nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen musste.
Dank ihrer Aufzeichnungen ist ihre Entwicklung von der anfangs regimetreuen hin zur widerständigen Sophie Scholl detailliert bekannt und bietet eine starke Erzählstruktur. In der Nachkriegszeit ließ sie sich dadurch medial perfekt inszenieren. Anderen Frauen war diese Prominenz nicht vergönnt. Einige von ihnen wollen wir hier vorstellen.
Widerstand war weiblich
Selbst innerhalb der Weißen Rose gab es weitere Frauen, die beispielsweise Flugblätter angefertigt und versendet haben. Da war Traute Lafrenz, die bereits während ihres Reichsarbeitsdienstes den Weiße Rose– Angehörigen Alexander Schmorell kennenlernte. Sie brachte im November 1942 das dritte Flugblatt der Widerstandsgruppe nach Hamburg.
Zurück in München organisierte sie relevante Materialien für die Herstellung der Flugblätter, war für Papier und Briefumschläge zuständig und fuhr im Januar 1943 nach Wien, um dort eine Vervielfältigungsmaschine zu besorgen. Nach der Festnahme der Geschwister Scholl im Februar, wurde Traute Lafrenz im März selbst von der Gestapo festgenommen und zu Haft verurteilt. Am 15. April 1945 wurde sie von der US-Armee aus dem Zuchthaus St. Georgen in Bayreuth befreit.
In Hamburg bildete sich parallel ebenfalls eine Gruppe der Weißen Rose, der Hannelore Willbrandt angehörte. Bis zum Eintreffen des dritten Flugblattes aus München durch Traute Lafrenz, begrenzten sich ihre Aktivitäten auf das Zusammenkommen, Diskutieren und Hören alliierter Radiosender.
Hannelore Willbrandt schrieb gemeinsam mit Albert Suhr das Flugblatt aus München sowie das Gedicht „Marschliedchen“ von Erich Kästner ab und verbreitete diese. Im Dezember 1943 wurde sie festgenommen und inhaftiert. In der Haft lernte sie weitere Widerständlerinnen kennen, unter anderem Elfriede Paul. Sie kam wie Traute Lafrenz ins Zuchthaus nach Bayreuth.
Täuschend angepasst
Elfriede Paul stellte in der Haft den Kontakt zwischen Weißer Rose Hamburg und Roter Kapelle her. Sie wuchs in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf und schloss sich in ihrer Jugend der KPD an. Später passte sie sich nach Außen dem Nationalsozialismus an, trat dem Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund bei und eröffnete 1936 ihre eigene Praxis in Berlin, die zum Treffpunkt der Widerstandsgruppe wurde. Im Herbst 1942 wurde Elfriede Paul verhaftet und blieb bis 1945 in Gefangenschaft.
Libertas (der Name war Programm) Schulze-Boysen war anfangs selbst Mitglied in der NSDAP und arbeitete unter anderem für das Reichsfilmarchiv. Der berufliche Blick hinter die Kulissen und ihr privater Kontakt zu Widerstandsgruppen ließ sie die Propaganda und die Gewalttaten des Regimes erkennen. So trug die Arbeit selbst dazu bei, dass sie 1937 aus Überzeugung aus der Partei austrat.
Anschließend nutzte sie ihre journalistische Arbeit im Reichspropagandaministerium, um Bildmaterialien über NS-Gewaltverbrechen zu sammeln. Außerdem baute sie neue Verbindungen zu anderen Widerständler:innen auf und vermittelte diese an ihren Mann, Harro Schulze-Boysen. Sie wurde am 8. September 1942 festgenommen, am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht verurteilt und am 22. Dezember 1942 gemeinsam mit Elisabeth Schumacher und anderen Mitgliedern der Roten Kapelle hingerichtet.
Die Macht der Sprache
Gemeinsam mit ihr war Elisabeth Schumacher an Diskussionen und Aktionen der Widerstandsgruppe beteiligt. Elisabeth Schumacher unterstützte jüdische Verfolgte, stand 1941 im Kontakt mit der sowjetischen Botschaft und übermittelte Informationen an die Rote Kapelle. Sie versuchte sogar, die Sowjetunion vor dem Übergriff der deutschen Armee zu warnen. Am 12. September 1942 wurde auch sie zeitgleich mit anderen Mitgliedern der Roten Kapelle festgenommen und gemeinsam mit Libertas Schulze-Boysen verurteilt und ermordet.
Hilde Coppi baute bereits 1933 Kontakt zu KPD-Mitgliedern auf. Erst 1940 verstärkte sie, gemeinsam mit ihrem Ehemann Hans Coppi, ihre Kontakte zur Widerstandsgruppe um Libertas Schulze-Boysen. Sie beteiligte sich unter anderem am Kleben von Aushängen gegen die antisowjetische Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“, hörte Nachrichten ab und sendete Informationen über deutsche Kriegsgefangene an deren Angehörige in Deutschland. Sie wurde zwar gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Roten Kapelle verhaftet, aufgrund ihrer Schwangerschaft jedoch erst am 20. Januar 1943 verurteilt und am 5. August 1943 hingerichtet.
Raum für den Widerstand
Auch Erika Gräfin von Brockdorff organisierte antifaschistische Diskussionsabende, zu denen unter anderem Hans und Hilde Coppi kamen. Sie versteckte das Funkgerät der Gruppe im eigenen Haus und stellte die Räumlichkeiten für die Funkversuche von Coppi, welche diese gemeinsam mit dem aus der Sowjetunion stammenden Albert Hößler durchführte. Erika von Brockdorff wurde am 16. September 1942 festgenommen und am 13. Mai 1943 ermordet.
Seit 2011 ist der östliche Vorplatz am Bahnhof Berlin-Südkreuz nach Erika von Brockdorff benannt. Auch die anderen vorgestellten Frauen erhielten in den letzten Jahrzehnten Ehrungen. Heute werden immer mehr Namen von Frauen im Widerstand bekannt. Stolpersteine werden in Gehwege eingesetzt, Schulen, Gehwege oder Plätze umbenannt.
Widerstand hat viele Namen
So auch in meiner Wahlheimat, Heidelberg. Aus dem Karl-Kollnig-Platz, benannt nach einem Mann und NS-Anhänger, wurde 2025 der Sophie-Berlinghof-Platz, in Würdigung einer Frau und Widerstandskämpferin. Dies ist ein kleiner Appell an alle Lesenden: Schaut euch um, haltet Augen und Ohren in eurem Umfeld offen, sprecht über sie.
Sie alle haben sich gegen das Mitlaufen, gegen das Schweigen, gegen die Gesamtgesellschaft entschieden. Stattdessen haben sie sich für ihren eigenen Weg entschieden, haben hin- statt weggesehen. Da draußen waren und sind bis heute zahlreiche Frauen, die unangepasst waren beziehungsweise es sind und für ihre individuelle Freiheit und für eine Gesellschaft, in der wir alle Platz haben, kämpften und kämpfen.
Text: Maren Schück
Illustration: Sina Schlerf
Quellen
Hilde Coppi 1909-1943. Susanne Eckelmann, 2014. Deutsches Historisches Museum, Berlin. (Zur Biografie)
Frauenwiderstand und Dissens im Kriegsalltag. Christl Wickert (1994) in: Widerstand gegen den Nationalsozialismus (Hrsg.: Peter Steinbach/Johannes Tuchel). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Weiterlesen
Frauen im Widerstand 1933 – 1945. Die Stiftung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand veröffentlicht zum 80. Jahrestag des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 Ausstellungen zu Frauen im Widerstand. (Zur Website)
Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Ein Projekt zweier Historikerinnen und Journalistinnen aus Berlin, die den Widerstand von Frauen gegen den Nationalsozialismus sichtbar machen möchten. (Zur Website)
Media
In Liebe, Eure Hilde. Verfilmung des Lebens von Hilde Coppi, 2024. (Zum Film)
Verfolgte im Nationalsozialismus. Ein Projekt des Bundesverbands für NS-Verfolgte. (Zu Instagram)




