Die vollmundigen Versprechen der Privatisierungen seit den 1990er Jahren haben sich als neoliberale Mythen erwiesen. Aber der Weg zurück zum öffentlichen Eigentum ist steinig.
Enteignung. Verstaatlichung. Rekommunalisierung. Gemeinwohlorientierte Wirtschaft. All diese Begriffe beschreiben etwas ähnliches. Enteignung klingt »catchy«, wird aber auch diffamierend verwendet. Verstaatlichung klingt nach Geschichtsbuch und, nun ja, bei Rekommunalisierung schlafen den meisten die Füße ein.
Gemeinwohlorientierte Wirtschaft klingt nett, für fast alle. Das darf dann auch direkt stutzig machen. Und tatsächlich: Hinter dieser Überschrift stecken je nach politischem Selbstverständnis Staatsunternehmen, Genossenschaften, Unternehmen, die mal was spenden oder einfach nur nicht gegen geltendes Recht verstoßen.
Lieber in der Hand von allen, als von wenigen
Es gibt viele Vorurteile gegenüber Unternehmen, die der öffentlichen Hand gehören. Gerade in den Augen vieler Liberaler und Konservativer gelten sie als bürokratische Fässer ohne Boden, die wertvolle Steuergelder verschleudern, weil sie am Markt nicht konkurrenzfähig sind.
Doch die Erfahrungen mit den großen Privatisierungswellen der letzten Jahrzehnte und das regelmäßige Einspringen des Staates, wenn das private Kapital die Zeche nicht zahlen wollte, machen misstrauisch: Nach dem Verkauf kommunaler und landeseigener Krankenhäuser wurden viele Sozialdienstleistungen abgebaut, einige wurden geschlossen und erzwingen nun weite Anfahrtswege für wichtige Behandlungen.
Der Gasimporteur Uniper kollabierte infolge des Ukrainekrieges und explodierenden Gaspreise beinah und gehört seit Dezember 2022 zu 99 Prozent dem deutschen Staat. Der bisherige finnische Mehrheitsaktionär Fortum (gehört zu 50,8 Prozent dem finnischen Staat) wurde herausgekauft.
Die Privatisierung der öffentlichen Wohnraumbestände hat nicht zu mehr Effizienz, sondern zu rasanten Mietsteigerungen bei gleichzeitigem Verfall der Bausubstanz vieler Häuser geführt, und dass man seit dem Gang der Bahn an die Börse nicht unbedingt pünktlicher ans Ziel kommt, hat wahrscheinlich jede:r schon schmerzlich erfahren müssen.
Es gibt also viele gute Gründe, den Rückzug des Staates kritisch zu sehen und darüber nachzudenken, wichtige Teile der Wirtschaft dem privaten Kapital zu entziehen.
Der Staat bietet einen Teil der Daseinsvorsorge
Strom‐ oder Wassernetze, Telekommunikation, Verkehrswege – all das gehört(e) unbestritten zu zentralen Aufgaben des Staates, der das Funktionieren dieser Leistungen garantiert(e). Die Erfahrungen der Weimarer Republik und des Aufstiegs der Nationalsozialisten haben die Gründerväter und -mütter der Bundesrepublik durchaus gelehrt, dass eine funktionierende Demokratie eine soziale Verantwortung gegenüber den Bürger:innen besitzt.

Die Versorgung der Bevölkerung schlicht und ergreifend dem Markt und damit privatem Kapital zu überlassen, hätte 1949 als verrückt gegolten. In den 1990er Jahren änderte sich das schlagartig. Der Strommarkt wurde liberalisiert, Post und Telekom privatisiert, sozialer Wohnraum verhökert und die Bahn an die Börse verfrachtet. Die Ergebnisse sind kaum Werbung für Privatisierungen.
(Regionale) Wertschöpfung und Reinvestition
Uniper oder Vattenfall befanden sich ebenfalls in Staatsbesitz – und zwar in Schweden und Finnland. Konzernstrukturen ziehen oft die Gewinne aus einer Region ab. In mitunter entlegenen Regionen Erwirtschaftetes landet dann im Umfeld der Konzernzentrale (oder den Taschen der Anteilseigner:innen).
Das kann einem mit einem großen Staatskonzern ebenfalls passieren, mit einem Stadtwerk jedoch kaum. Zusätzlich schütten aber private Konzerne diese Gewinne als Dividenden für ihre Aktionär:innen aus. Mittlerweile befinden wir uns an einem Punkt, wo die Dividenden-Ausschüttungen die Mittel für notwendige Investitionen verschlingen.
Hier muss der Staat dann schon wieder einspringen, nämlich indem er ungeheure Mengen Steuergelder für diverse Subventionen aufwendet. Staatliche Unternehmen wiederum reinvestieren mit höherer Wahrscheinlichkeit ihre Gewinne.
Refinanzierung
Der Verbund von verschiedenen kommunalen Organisationen erlaubt die Querfinanzierung von defizitären, aber wichtigen Tätigkeiten, wie Schwimmbädern, Theatern oder dem öffentlichen Nahverkehr mit Gesellschaften, die Gewinne abwerfen. Eine Holding, also eine übergeordnete Gesellschaft, die im Durchschnitt nur geringe Gewinne erwirtschaftet, würde dann nur wenig Körperschaftssteuer zahlen.
Bewegungsfreiheit und Handlungsfähigkeit
Städte oder Kommunen, die ihre Dekarbonisierung selber voranbringen wollen (und dabei etwa andere städtische Unternehmen, die Abwärme erzeugen oder Strom benötigen, mitdenken wollen) sind froh, wenn sie über ihre Infrastruktur eigenständig verfügen können und nicht auf das Mitziehen eines Konzerns hoffen müssen. Dass diese Konzerne gerne auch große Bestände an Wohnungen oder Kraftwerken verkaufen und nicht so langfristig planen wie ihre staatlichen und kommunalen Pendants, hilft natürlich nicht.
Da sein
Ohnmachtsgefühle oder das Misstrauen, dass der Staat etwas gegen Kapitalinteressen durchsetzen kann, steigen auch durch seine Abwesenheit. Während Briefkästen abmontiert werden, Schulen und Krankenhäuser auf dem Land schließen, zeigen Privatisierungen ihr Gesicht.
Miteinander konkurrierende Unternehmen bringen durch Subunternehmen ihre Zustellenden mitunter um ihren Mindestlohn. Investor:innen kaufen kommunale Krankenhäuser, aber aktuell auch Hunderte private Arztpraxen auf. Letzteres ist ihnen untersagt. Daher werden die Praxen vor Kauf formal zu Medizinischen Versorgungszentren umgewandelt. Die Private‐Equity‐Unternehmen bündeln diese dann zu Konzernen. Der Staat wird für Bürger:innen auch im Gesundheitssektor zunehmend unsichtbar.
Geld aus alten Ziegeln
Man muss an dieser Stelle zwischen verschiedenen Formen der Rekommunalisierung unterscheiden: Die Bewegung Deutsche Wohnen & Co. enteignen in Berlin etwa sorgte mit ihrer Forderung nach der Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne für ziemlich Furore. Kein Wunder, denn die Konzerne haben ihre Immobilien dem Staat damals billig abgekauft und machen nun gigantische Profite. Saniert wird nur, wo Geld aus den alten Ziegeln gepresst werden kann.
Anderenorts verfällt die Bausubstanz, Mieter:innen klagen über verschimmelte Wände, Rohrbrüche und andere Katastrophen. Mit der Forderung, die Konzerne zu enteignen, zogen sich die Aktivist:innen also die ganze Wut der Investor:innen, Lobbyist:innen und deren Freund:innen in der Berliner Politik zu.
Mittlerweile hat eine von der Stadt eingerichtete Vergesellschaftungskommission über die Rechtmäßigkeit des Volksentscheides von 2021 befunden. Sie kam zu dem Schluss, dass diesem rechtlich gesehen nichts mehr im Wege steht. Ob die Koalition aus SPD und CDU das Votum der Berliner:innen respektiert und ein entsprechendes Vergesellschaftungsgesetz vorlegt, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Das wird auch davon abhängen, wie viel Druck die Aktivist:innen dem Senat machen werden.
Beispiele gelungener Verstaatlichungen
Demgegenüber ging der Übergang mancher Organisationen und Infrastrukturen von privater in öffentliche Hand vergleichsweise geräuschlos vonstatten. Kein Wunder, denn diese wurden einfach zurückgekauft – zum Profit der privaten Investor:innen. Dennoch wurden immerhin 284 Betriebe zwischen 1999 und 2019 in Deutschland auf diese Weise rekommunalisiert.
Das ist erfreulich, da es zeigt, dass eine öffentliche Daseinsvorsorge möglich ist und vor allem gut funktioniert. Gleichzeitig ist es ein Problem, denn viele Menschen wissen nichts davon. Hier ein paar Beispiele gelungener Verstaatlichungen.
Berliner Wasserbetriebe
1999 verkaufte Berlin ihre Wasserbetriebe zu 49,9 Prozent an RWE und den französischen Konzern Vivendi, heute Veolia. Für diese Teilprivatisierung gab es einmalig drei Milliarden D-Mark. Innerhalb von 15 Jahren stiegen die Wassergebühren um knapp 40 Prozent, womit sie zu den höchsten bundesweit galten.
Es folgte ein Volksentscheid, maßgeblich organisiert durch die Bürger:inneninitiative Berliner Wassertisch. 2011 wurde abgestimmt. Mit einer Wahlbeteiligung von fast 30 Prozent und 98,2 Prozent Ja-Stimmen für eine Rekommunalisierung und die Offenlegung der Privatisierungs-Verträge war dieser Volksentscheid der erste erfolgreiche Berlins.
Bürgermeister Wowereit veröffentlichte die bis dahin geheimen Verträge mit den Konzernen. Schockiert las die Stadtgesellschaft darin von garantierten Gewinnen. In den Papieren wurde genau festgelegt, wie hoch das Kapital der privaten Investor:innen jährlich verzinst werden muss. Erwirtschafteten die Wasserbetriebe zu wenig, stieg die Abgabenhöhe für die Bürger:innen.
Seit 2013 gehören die Wasserwerke wieder der Stadt. Sie betreiben die Berliner Regenwasseragentur, welche Berlin zur Schwammstadt ausbaut. Die Gewinne der Wasserwerke gehen an den Haushalt der Stadt. Bisher wird das Grundwasser der Braunkohleregion Lausitz über die Spree, die Berlin versorgt, abgepumpt.
Dieses Wasser fehlt bald. Zusätzlich wird es trockener. Angesichts des einsetzenden und größer werdenden Wassermangels, freuen sich viele Bürger:innen, selbst über ihre Wasserversorgung entscheiden zu können.
Krankenhaus in Crivitz
Die Kleinstadt Crivitz liegt im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Der dünn besiedelte Kreis ist ungefähr so groß wie das Saarland. Große Städte gibt es keine. Das 1997 privatisierte Krankenhaus ist also für die ganze Region von großer Bedeutung. Als der private Klinikkonzern Mediclin aufgrund roter Zahlen 2020 die Schließung der Gynäkologie und Geburtsstation ankündigte, formierten sich massive Proteste unter den Bürger:innen.
Auch die Gewerkschaft ver.di und Kommunalpolitiker:innen der LINKEN und Grünen unterstützten die Rekommunalisierung. Schließlich gab der Konzern dem Druck nach und zog sich zurück. Das Land Mecklenburg-Vorpommern stellte die finanziellen Mittel zur Rekommunalisierung bereit.
Nahverkehr in Kiel
2003 wurde die Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG) teilprivatisiert – zum Spottpreis von 12.450 Euro. An die Norddeutsche Busbeteiligungsgesellschaft, einem zu diesem Zweck gegründeten Joint-Venture von Hamburger Hochbahn, VHH PVG und Vineta, gingen 49 Prozent.
2016 änderte sich jedoch das europäische Vergaberecht. Eine Direktvergabe an die KVG war nun nicht mehr möglich, da diese nur zu 51 Prozent der Stadt gehörte. Vor einer europaweiten Ausschreibung schreckten alle Parteien zurück. Zu groß war die Sorge, dass ein neues Unternehmen Linien in großem Stil einstellen und Arbeitsplätze vor Ort verloren gehen würden.
Da die Direktvergabe einer Stadt an hundertprozentige Töchter weiterhin möglich ist, war nun die Politik plötzlich für eine Rekommunalisierung, die 2009 durchgeführt wurde – zu einem Preis von über einer Million Euro. Derzeit stellt die Stadt den Busbetrieb auf Elektrofahrzeuge und senkt die Fahrpreise, um die Nutzung der öffentlichen Nahverkehrsmittel zu fördern.
Mythos flexible Privatunternehmen
Die Rekommunalisierung vormals privatisierter Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge hat eine Reihe von Erfolgsgeschichten hervorgebracht. Und sie hat zu einer Erkenntnis geführt: Die Erzählung der flexiblen und serviceorientierten Privatunternehmen ist ein Mythos.
Gerade in Krisenzeiten setzen private Betreiber:innen auf die Streichung wichtiger Dienstleistungen und massive Kostenerhöhungen. Man muss aber auch hier genau hinsehen. Den Schaden, den privates Kapital in gesellschaftlich sensiblen Sektoren einmal angerichtet hat, können Rekommunalisierungen der sanften Art, das heißt Rückkäufe und Neugründungen von Unternehmen in öffentlicher Hand häufig nur abmildern, nicht aber ohne Weiteres beheben.
Vergesellschaftung ist mehrheitsfähig
Rückkäufe sind für viele Privatkonzerne außerdem häufig ein lukratives Geschäft, nachdem sie die jeweiligen Betriebe über Jahre oft heruntergewirtschaftet haben. Am Ende muss es um eine Strategie öffentlichen Eigentums gehen, die nicht nur dort entsteht, wo in letzter Instanz der Staat als Retter gescheiterter Privatkonzerne unter massivem Einsatz von Steuergeld einspringt.
Vielmehr braucht es eine, die auch vor notwendigen Vergesellschaftungen nicht zurückschreckt. Solche Vergesellschaftungen sieht nicht nur das Grundgesetz als Möglichkeit vor, sie kann – wie sich in Berlin gezeigt hat – auch gesellschaftliche Mehrheiten erringen.
Wir müssen uns jedoch bewusst machen, dass die Auseinandersetzung um die demokratische Kontrolle zentraler Bereiche der Wirtschaft und unseres Zusammenlebens nicht im Handumdrehen entschieden werden kann. Wer sich mit den Interessen der Konzerne und der Superreichen anlegt, muss sich auf einen zähen Kampf gefasst machen.
Text: Marius Hasenheit und Sascha Döring. Sascha Döring lebt in Berlin und arbeitet im Bereich Politische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.
Bild: Deutsche Wohnen & Co enteignen
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