Protestaktion der Organisation "Deutsche Wohnen & Co enteignen"
Protestaktion der Organisation "Deutsche Wohnen & Co enteignen" 2021 in Berlin. Foto: dwenteignen

Verstaatlichen? Ja bitte!

Die vollmundigen Versprechen der Privatisierungen seit den 1990er Jahren haben sich als neoliberale Mythen erwiesen. ­Aber der Weg zurück zum öffentlichen Eigentum ist steinig.

Enteignung. Verstaatlichung. Rekommunalisierung. Gemeinwohlorientierte Wirtschaft. All diese Begriffe beschreiben etwas ähn­liches. Enteignung klingt »catchy«, wird aber auch diffamierend verwendet. Verstaatlichung ­klingt nach Geschichtsbuch und, nun ja, bei Rekommunalisierung schlafen den meis­ten ­die Füße ein.

Gemeinwohlorientierte Wirtschaft klingt nett, für fast alle. Das darf dann auch direkt stutzig machen. Und tatsächlich: Hinter dieser Überschrift stecken je nach politischem Selbstverständnis Staatsunternehmen, Genos­senschaften, Unternehmen, die mal was spenden oder einfach nur nicht gegen geltendes Recht verstoßen.

Lieber in der Hand von allen, als von wenigen

Es gibt viele Vorurteile gegenüber Unter­nehmen, die der öffentlichen Hand gehören. Gerade in den Augen vieler Liberaler und Konservativer gelten sie als bürokratische Fäs­ser ohne Boden, die wertvolle Steuergelder verschleudern, weil sie am Markt nicht konkur­renzfähig sind.

Doch die Erfahrungen mit den großen Privatisierungswellen der letzten Jahrzehnte ­und das regelmäßige Einspringen des Staates, wenn das private Kapital die Zeche nicht zahlen wollte, machen misstrauisch: Nach dem Verkauf kommunaler und landeseigener Krankenhäuser wurden viele Sozialdienstleistungen abgebaut, einige wurden geschlos­sen und erzwingen nun weite Anfahrtswege ­für wichtige Behandlungen.

Der Gasimporteur Uniper kol­labierte infolge des Ukra­inekrieges und explodierenden Gaspreise beinah und gehört seit Dezember 2022 zu 99 Prozent dem deut­schen Staat. Der bisherige finnische Mehrheitsaktionär Fortum (gehört zu 50,8 Pro­zent dem finnischen Staat) wurde herausgekauft.

Die Privatisie­rung ­der öffentlichen Wohnraumbestände hat nicht zu mehr Effizienz, sondern zu rasanten Miet­steigerungen bei gleichzeitigem Verfall der Bausubstanz vieler Häuser geführt, und dass man seit dem Gang der Bahn an die Börse nicht unbedingt pünktlicher ans ­Ziel kommt, hat wahrscheinlich jede:r schon schmerzlich erfahren müssen.

Es gibt also viele gute Gründe, den Rückzug des Staates kritisch zu sehen und darüber nachzudenken, wichtige Teile der Wirtschaft dem privaten Kapital zu entziehen.

Der Staat bietet einen Teil der Daseinsvorsorge

Strom‐ oder Wassernetze, Telekommunika­tion, Verkehrswege – all das gehört(e) unbestritten zu zentralen Aufgaben des Staates, ­der das Funktionieren dieser Leistungen garan­tiert(e). Die Erfahrungen der Weimarer Repu­blik und des Aufstiegs der Nationalsozialisten haben die Gründerväter und -mütter der Bundesrepublik durchaus gelehrt, dass eine funktionierende Demokratie eine soziale Verantwortung gegen­über den Bürger:innen besitzt.

Dieser Text ist erschienen in transform No. 9 – Juhu! Diese Welt geht unter (Bestellen)

Die Versorgung ­der Bevölkerung schlicht und ergreifend dem Markt und damit privatem Kapital zu über­lassen, hätte 1949 als verrückt gegolten. In den ­1990er Jahren änderte sich das schlagartig. ­Der Strommarkt wurde liberalisiert, Post und Tele­kom privatisiert, sozialer Wohnraum ver­hökert und die Bahn an die Börse verfrachtet. Die Ergebnisse sind kaum Werbung für Privatisierungen.

(Regionale) Wertschöpfung und Reinvestition

Uniper oder Vattenfall befanden sich eben­falls in Staatsbesitz – und zwar in Schweden und Finnland. Konzernstrukturen ziehen oft ­die Gewinne aus einer Region ab. In mitunter entlegenen Regionen Erwirtschaftetes landet dann im Umfeld der Konzernzentrale (oder den Taschen der Anteilseigner:innen).

Das kann einem mit einem großen Staatskonzern eben­falls passieren, mit einem Stadtwerk jedoch kaum. Zusätzlich schütten aber private Konzerne diese Gewinne als Dividenden ­für ihre Aktionär:innen aus. Mittlerweile befinden ­wir uns an einem Punkt, wo die Dividenden-Ausschüttungen die Mittel für notwendige Investitionen verschlingen.

Hier muss der Staat dann schon wieder einspringen, nämlich ­indem er ungeheure Mengen Steuergelder für diverse Subventionen aufwendet. Staatliche Unternehmen wiederum reinvestieren mit höherer Wahrscheinlichkeit ihre Gewinne.

Refinanzierung

Der Verbund von verschiedenen kommu­nalen Organisationen erlaubt die Querfinanzierung von defizitären, aber wichtigen Tätig­keiten, wie Schwimmbädern, Theatern oder dem öffentlichen Nahverkehr mit Gesell­schaften, die Gewinne abwerfen. Eine Holding, also eine übergeordnete Gesellschaft, die ­im Durchschnitt nur geringe Gewinne erwirtschaftet, würde dann nur wenig Körperschaftssteuer zahlen.

Bewegungsfreiheit und Handlungsfähigkeit

Städte oder Kommunen, die ihre Dekarboni­sierung selber voranbringen wollen (und ­dabei etwa andere städtische Unternehmen, die Abwärme erzeugen oder Strom benöti­gen, mitdenken wollen) sind froh, wenn sie über ihre Infrastruktur eigenständig verfügen können und nicht auf das Mitziehen eines Konzerns hoffen müssen. Dass diese Konzerne gerne auch große Bestände an Wohnungen oder Kraftwerken verkaufen und nicht so lang­fristig planen wie ihre staatlichen und kom­munalen Pendants, hilft natürlich nicht.

Da sein

Ohnmachtsgefühle oder das Misstrauen, ­dass der Staat etwas gegen Kapitalinteressen durchsetzen kann, steigen auch durch ­seine Abwesenheit. Während Briefkästen abmontiert werden, Schulen und Krankenhäuser auf dem Land schließen, zeigen Priva­tisierungen ihr Gesicht.

Miteinander konkurrierende Unternehmen bringen durch Subunter­nehmen ihre Zustellenden mitunter um ihren Mindestlohn. Investor:innen kaufen kommunale Krankenhäuser, aber aktuell auch Hunderte private Arztpraxen auf. Letzteres ist ihnen untersagt. Daher werden die Praxen vor Kauf formal zu Medizinischen Versorgungszen­tren umgewandelt. Die Private‐Equity‐Unternehmen bündeln diese dann zu Konzernen. ­Der Staat wird für Bürger:innen auch im Gesundheitssektor zunehmend unsichtbar.

Geld aus alten Ziegeln

Man muss an dieser Stelle zwischen ver­schiedenen Formen der Rekommunalisierung unterscheiden: Die Bewegung Deutsche Wohnen & Co. enteignen in Berlin etwa sorgte mit ihrer Forderung nach der Vergesell­schaftung großer Immobilienkonzerne für ziem­lich Furore. Kein Wunder, denn die Konzerne haben ihre Immobilien dem Staat damals billig abgekauft und machen nun gigantische ­Profite. Saniert wird nur, wo Geld aus den alten Ziegeln gepresst werden kann.

Anderenorts verfällt die Bausubstanz, Mieter:innen klagen über verschimmelte Wände, Rohrbrüche und andere Katastrophen. Mit ­der Forderung, die Konzerne zu enteignen, zogen sich die Aktivist:innen also die ganze Wut der Investor:innen, Lobbyist:innen und deren Freund:innen in der Berliner Politik zu.

Mittlerweile hat eine von der Stadt einge­richtete Vergesellschaftungskommission über die Rechtmäßigkeit des Volksentscheides von 2021 befunden. Sie kam zu dem Schluss, dass diesem rechtlich gesehen nichts mehr im Wege steht. Ob die Koalition aus SPD und CDU das Votum der Berliner:innen respek­tiert und ein entsprechendes Vergesellschaftungsgesetz vorlegt, steht wiederum ­auf einem anderen Blatt. Das wird auch davon abhängen, wie viel Druck die Aktivist:innen dem Senat machen werden.

Beispiele gelungener Verstaatlichungen

Demgegenüber ging der Übergang mancher Organisationen und Infrastrukturen von privater in öffentliche Hand vergleichsweise geräusch­los vonstatten. Kein Wunder, denn diese wurden einfach zurückgekauft – zum Profit der privaten Investor:innen. Dennoch wurden immerhin 284 Betriebe zwischen 1999 und 2019 in Deutschland auf diese Weise rekommunalisiert.

Das ist erfreulich, da es zeigt, dass eine öffentliche Daseinsvorsorge möglich ist und vor allem gut funktioniert. Gleichzeitig ­ist es ein Problem, denn viele Menschen wissen nichts davon. Hier ein paar Bei­spiele gelungener Verstaatlichungen.


Berliner Wasserbetriebe

1999 verkaufte Berlin ihre Wasserbetriebe zu 49,9 Prozent an RWE und den französischen Konzern Vivendi, heute Veolia. Für diese Teilprivatisierung gab es einmalig drei Milliarden D-Mark. Innerhalb von 15 Jahren stiegen ­die Wassergebühren um knapp 40 Prozent, womit sie zu den höchsten bundesweit galten.

Es folgte ein Volksentscheid, maßgeblich organisiert durch die Bürger:inneninitiative Berliner Wassertisch. 2011 wurde abgestimmt. Mit einer Wahl­beteiligung von fast 30 Prozent und 98,2 Prozent Ja-Stimmen für eine Rekommu­nalisierung und die Offenlegung der Privatisierungs-Verträge war dieser Volksentscheid ­der erste erfolgreiche Berlins.

Bürgermeister Wowereit veröffentlichte die bis dahin geheimen Verträge mit den Konzernen. Schockiert las die Stadtgesellschaft darin von garantier­ten Gewinnen. In den Papieren wurde genau festgelegt, wie hoch das Kapital der privaten Investor:innen jährlich verzinst werden muss. Erwirtschafteten die Wasserbetriebe ­zu wenig, stieg die Abgabenhöhe für die Bür­ger:innen.

Seit 2013 gehören die Wasser­werke wieder der Stadt. Sie betreiben die Ber­liner Regenwasseragentur, welche Berlin zur Schwammstadt ausbaut. Die Gewinne der Wasserwerke gehen an den Haushalt der Stadt. Bisher wird das Grundwasser der Braunkohleregion Lausitz über die Spree, die Berlin ver­sorgt, abgepumpt.

Dieses Wasser fehlt bald. Zusätzlich wird es trockener. Angesichts des einsetzenden und größer werdenden Wassermangels, freuen sich viele Bürger:innen, selbst über ihre Wasser­versorgung entscheiden zu können.

Krankenhaus in Crivitz

Die Kleinstadt Crivitz liegt im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Der dünn besiedelte Kreis ist ungefähr so groß wie das Saar­land. Große Städte gibt es keine. Das 1997 privatisierte Krankenhaus ist also für die ­ganze Region von großer Bedeutung. Als ­der private Klinikkonzern Mediclin aufgrund ­roter Zahlen 2020 die Schließung der Gynä­kologie und Geburtsstation ankündigte, formierten sich massive Proteste unter den Bürger:innen.

Auch die Gewerkschaft ­ver.di und Kommunalpolitiker:innen der LINKEN und Grünen unterstützten die Rekommunali­sierung. Schließlich gab der Konzern dem Druck nach und zog sich zurück. Das Land Mecklenburg-Vorpommern stellte die finan­ziellen Mittel zur Rekommunalisierung bereit.

Nahverkehr in Kiel

2003 wurde die Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG) teilprivatisiert – zum Spottpreis ­von 12.450 Euro. An die Norddeutsche Busbeteiligungs­gesellschaft, einem zu diesem Zweck gegründeten Joint-Venture von Hamburger Hochbahn, VHH PVG und Vineta, gingen 49 Prozent.

2016 änderte sich jedoch das europäi­sche Vergaberecht. Eine Direktvergabe an die KVG war nun nicht mehr möglich, da diese nur zu 51 Prozent der Stadt gehörte. Vor einer europaweiten Ausschreibung schreck­ten alle Parteien zurück. Zu groß war die Sorge, dass ein neues Unternehmen Linien in großem Stil einstellen und Arbeitsplätze vor ­Ort ver­loren gehen würden.

Da die Direktvergabe einer Stadt an hundertprozen­tige Töchter weiterhin möglich ist, war nun die Politik plötzlich für eine Rekommunalisierung, die 2009 durchgeführt wurde – zu einem Preis von über einer Million Euro. Derzeit stellt die Stadt den Bus­betrieb auf Elektrofahrzeuge und senkt die Fahrpreise, um die Nutzung der öffentlichen Nahverkehrsmittel zu fördern.


Mythos flexible Privatunternehmen

Die Rekommunalisierung vormals privatisier­ter Bereiche der öffentlichen Daseinsvor­sorge hat eine Reihe von Erfolgsgeschichten hervorgebracht. Und sie hat zu einer Erkenntnis geführt: Die Erzählung der flexiblen und serviceorientierten Privatunternehmen ist ein Mythos.

Gerade in Krisenzeiten setzen private Betreiber:innen auf die Streichung wichtiger Dienstleistungen und massive Kostenerhöhungen. Man muss aber auch hier genau hinsehen. Den Schaden, den privates Kapital in gesellschaftlich sensiblen Sektoren einmal angerichtet hat, können Rekommunalisierungen ­der sanften Art, das heißt Rückkäufe und Neugrün­dungen von Unternehmen in öffentlicher ­Hand häufig nur abmildern, nicht aber ohne Weite­res beheben.

Vergesellschaftung ist mehrheitsfähig

Rückkäufe sind für viele Privatkonzerne außerdem häufig ein lukratives Ge­schäft, nachdem sie die jeweiligen Betriebe über Jahre oft heruntergewirtschaftet haben. Am Ende muss es um eine Strategie öffent­lichen Eigentums gehen, die nicht nur dort ent­steht, wo in letzter Instanz der Staat als Retter gescheiterter Privatkonzerne unter massivem Einsatz von Steuergeld einspringt.

Vielmehr braucht es eine, die auch vor notwendigen Ver­gesellschaftungen nicht zurückschreckt. Solche Vergesellschaftungen sieht nicht nur das Grundgesetz als Möglichkeit vor, sie kann – wie sich in Berlin gezeigt hat – auch gesellschaftliche Mehrheiten erringen.

Wir müssen uns jedoch bewusst machen, dass die Auseinandersetzung um die demokratische Kontrolle zentraler Bereiche der Wirtschaft und unseres Zusammenlebens nicht im Hand­umdrehen entschieden werden kann. Wer sich mit den Interessen der Konzerne und der Superreichen anlegt, muss sich auf einen zähen Kampf gefasst machen.

Text: Marius Hasenheit und Sascha Döring. Sascha Döring lebt in Berlin und arbeitet im Bereich Politische Kommu­nikation und Öffentlichkeitsarbeit.

Bild: Deutsche Wohnen & Co enteignen

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  1. Spannende Ansichten und Perspektiven. Möchte das gerne aus meiner Sicht ergänzen. Nicht alle Privatisierungen waren nachteilig. Deutsche Post (DHL) und Telekom sind heute Global Player und bieten ordentliche Leistungen und Dank Wettbewerb zu einem guten Preis. Die Deutsche Bahn ist zwar eine AG, aber nicht an der Börse. Im Fernverkehr fehlt der Wettbewerb und damit auch entsprechende Preise. Ein Inlandsflug mit der (privatisierten) Lufthansa ist oft leider günstiger. Und die kommunalen Stadtwerke können ihre Leistungen oft auch nur durch Kooperationen mit Großkonzernen anbieten, sie nutzen die regionalen Chancen noch zu wenig. Bei Krankenhäusern bin ich grundsätzlich bei Dir. Und der Fehler bei den Wohnungen u.a. in Berlin wurde ja dann mit der Entscheidung des Verkaufs gemacht. Die haben sich einfach über den Tisch ziehen lassen, ebenso mit den Wasserwerken. Es ist privaten Firmen grundsätzlich nicht vorzuwerfen, wenn sie Chancen nutzen. Der Staat sollte hier weitsichtiger agieren und nicht das Tafelsilber verscherbeln. Zurückholen ist immer teurer. Es gar nicht erst zu verschleudern, ist für alle Beteiligten die beste Lösung. Dann stimmen die Rahmenbedingungen für alle. Danke für den Artikel, spannend zu lesen. VG Daniel

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