Hebammenstudentin Lea erzählt im Interview über die vermeintlich » dreckigen « Details einer Geburt sowie über notwendige Hygienemaßnahmen und ihre Grenzen.
Was prägt unsere Vorstellung von Geburt? Wer nach detaillierten Schilderungen sucht, wird oftmals vertröstet. Häufig finden Aneignungen über Medien statt, die das Ereignis dramatisieren oder aber verschleiern. In den meisten Filmen läuft es ungefähr so ab: In einer unpassenden Situation, im Supermarkt zum Beispiel, platzt die Fruchtblase. Zu sehen ist eine klare Pfütze auf dem Boden unter der schwangeren Frau. Im Anschluss schleppt sie sich mit Hilfe ihres panischen Partners, ihn anschreiend, ins Krankenhaus. Endlich angekommen, sitzt sie mit einem Kittel bekleidet breitbeinig auf einem Geburtsstuhl. Hysterisch, wie Frauen nunmal zu sein scheinen, brüllt und kreischt sie den Saal zusammen. Dann gibt es einen Cut und in der nächsten Szene wird ein rosiges Baby in den Armen seiner strahlenden Mutter gezeigt. Das, was in der Zwischenzeit passiert, wird nicht thematisiert. Ist das etwa irrelevant?
transform: Lea, du erlebst tagtäglich Geburten und kommst dadurch auch mit Menschen in Kontakt, für die Geburten nicht alltäglich sind. Es ist ein sehr körper-intensiver Akt, bei dem Vieles kaum zu verbergen ist. Unsere Kultur ist noch immer von einem starken Reinlichkeitsgebot geprägt. Wie gehen Gebärende in deiner Wahrnehmung mit ihrer eigenen Körperlichkeit um?
Lea: Vieles rund um das Thema Geburt wird schon seit langer Zeit gesellschaftlich tabuisiert. Dazu zählen vor allem diverse Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen, welche in Erzählungen oft verschleiert werden. Die gebärende Person ist sich in der Regel dessen bewusst – nur das Sprechen darüber scheint ein Tabu zu sein. Für manche Paare wird die Geburt als ein sehr stärkender Moment wahrgenommen, durch den sie sich mehr verbunden fühlen. In den Medien gibt es immer mehr Personen, die ihre Erfahrungen schamlos teilen. Es sind Bekenntnisse wie: » Ja! Ich kacke bei der Geburt! « Es wird auch darüber aufgeklärt, dass es sich wie unkontrolliertes Pinkeln anfühlen würde, wenn die Fruchtblase platzt. Auch, dass Fruchtwasser nicht unbedingt klar ist, wird thematisiert: Manchmal hat es auch eine grünliche Farbe. Das ist für die meisten etwas Ungewöhnliches, liegt aber nur daran, dass das Kind hinein gekackt hat.
Wo wir beim Thema sind: Viele Schwangere befürchten, während der Geburt zu kacken. Wie schätzt du diese Angst ein?
Das ist definitiv ein Thema! Ich denke ein wichtiger Aspekt ist, dass viele Menschen es nicht gewohnt sind, dass jemand anderes, vor allem die Partnerperson, sie beim Kacken sieht. Die Grenzen der eigenen Intimität und der Umgang mit Körperlichem, der damit einhergeht, sind sehr unterschiedlich. Ich möchte vor allem diese individuellen Bedürfnisse achten und ziehe mich zurück, um der Person keinen zusätzlichen Stress zu bringen.
Wir Hebammen sind Meister:innen darin, Kot unauffällig zu entfernen.
Wie geht ihr mit den diversen Körperausscheidungen um?
Wir Hebammen sind Meister:innen darin, Kot unauffällig zu entfernen. Manchmal bekommt es selbst die gebärende Person nicht mit. Der Geruch ist kurz da, verfliegt aber auch schnell wieder. In einem Geburtsraum kommen sowieso viele Gerüche zusammen: Es riecht scharf nach Schweiß, süßlich nach Fruchtwasser, metallisch nach Blut oder blumig nach Geburtsöl. Ich glaube, jede Hebamme mag bestimmte Körperflüssigkeiten oder Gerüche überhaupt nicht. Bei mir ist es Erbrochenes. Ich kann aber professionell damit umgehen. Mir hilft es, alles in eine Physiologie einordnen zu können. Wenn der Darm entleert wird, freue ich mich sogar, weil es zeigt, dass es gut voran geht. Neben dem Baby ist kein Platz mehr für ein gefülltes Rektum. Ist es nicht entleert, kann das sogar hinderlich oder schmerzhaft für die gebärende Person sein.
» Jetzt habt ihr eh schon alles gesehen, dann ist es auch egal! «
Wird Scham mit der Zeit auch abgelegt?
Meistens gibt es irgendwann einen solchen Punkt. Es fallen dann Sätze wie » Jetzt habt ihr eh schon alles gesehen, dann ist es auch egal! «. Aus meiner Sicht ist das sehr positiv, weil aktive Denkprozesse ausgeschaltet werden, was die meisten Menschen entspannt. Ich finde aber auch, dass ein Schamgefühl nicht negativ zu bewerten ist. Wer will schon stundenlang komplett nackt daliegen. Wir müssen nicht dahin kommen, keine Intimsphäre mehr zu haben. Ein bisschen Scham abzulegen, kann jedoch für den Verlauf einer Geburt sehr hilfreich sein.
Der Begriff Hebamme umfasst alle Geschlechter, nicht nur das weibliche.
Offenbar lässt sich vieles vermeintlich » Dreckige « bei einer Geburt nicht vermeiden. An welchen Stellen ist es dennoch wichtig, Sterilität anzustreben?
Kot und Urin sollten nicht in den Geburtskanal geraten, auch deshalb beseitigen wir es schnell. Weiter ist es wichtig, dass möglichst wenig Keime von außen an Gebärende und Kind herangetragen werden. Aus diesem Grund tragen wir Handschuhe. Ich habe ja ganz andere Keime an mir. Es gilt, durch ein Hygienekonzept und teils auch durch Sterilität, das Infektionsrisiko bei Geburten so gering wie möglich zu halten.
Bei aller notwendigen Hygiene soll eine Geburt nicht steril sein.
Wie steht es um Bakterien, die die gebärende Person in sich trägt und solche die natürlicherweise in der Vagina vorhanden sind?
Bei aller notwendigen Hygiene soll eine Geburt nicht steril sein. Viele Bakterien und Keime sind wichtig für die Entwicklung des Immunsystems eines Kindes. Es wird derzeit zum Thema » Vaginal Seeding« geforscht. Das meint, dass einem Baby, das per Kaiserschnitt geboren wurde, nachträglich Vaginalsekret vor allem um Mund und Nase geschmiert wird. Es gibt noch keine klare Evidenz, doch was statistisch auffällt, ist, dass Kinder, die per Kaiserschnitt geboren wurden, eher zu Allergien neigen als jene, die vaginal zur Welt gekommen sind.
In Deutschland ist jede dritte Geburt ein Kaiserschnitt. Wie kommt das?
Die Rate von Wunschkaiserschnitten liegt nur bei einem Prozent. Bei bestimmten Komplikationen ist die Möglichkeit eines Kaiserschnitts sehr wertvoll. Um die Sterberate so gering wie möglich zu halten, wird eine Quote von elf Prozent angestrebt – zeigen Statistiken. Dass sie derzeit höher liegt, hat auch ökonomische Gründe. In den meisten Krankenhäusern werden Beratungen dazu, ob ein Kaiserschnitt in Erwägung gezogen werden sollte, ohne die betreuende Hebamme geführt. Dieser Ausschluss ist bedauernswert, da Hebammen die Erfahrungswelt der Ärzt:innen um eine physiologische Komponente erweitern können und sich somit eventuell weniger Personen für einen geplanten Kaiserschnitt entscheiden würden.
Schon gewusst? Erst um 1850 herum begannen Ärzt:innen damit, sich zwischen dem Präparieren von Leichen und dem Operieren von Patient*innen die Hände zu desinfizieren. Die Mortalität in Krankenhäusern ist dadurch stark zurückgegangen.
Wie kommt es überhaupt, dass es als normal gilt, im Krankenhaus zu gebären? Das war ja mal anders.
Das ist spätestens seit den 1970er Jahren gängige Praxis. Welche Rolle Hygiene dabei spielte, lässt sich schwer sagen. In meiner Wahrnehmung fühlen sich viele in einem Krankenhaus sicherer, weil sie Angst haben, dass etwas schief gehen kann. Auch hier bin ich dafür, die unterschiedlichen Bedürfnisse nach Sicherheit, zu respektieren. Ein Sicherheitsgefühl vermindert auch Stress, was für einen Geburtsprozess wünschenswert ist. Es sollte jedoch bedacht werden, wie hygienisch sicher ein Krankenhaus tatsächlich ist: Es ist kein Geheimnis, dass es an diesen Orten leider auch multiresistente Keime gibt. Unter diesem Aspekt wäre die bakterielle Umgebung im eigenen Zuhause für eine Geburt sicherer.
Käseschmiere
Das Fachwort dafür ist » Vernix caseosa «. Es ist die Schutzschicht des Neugeborenen. Es dient dem besseren Gleiten bei der Geburt und wärmt das Neugeborene unmittelbar, wenn es auf der Welt ist.
Welchen Umgang mit Geburten wünschst du dir in Zukunft?
Ich verfolge stark den Ansatz der »Birth Positivity«: Positive Affirmationen, Wissenstransfer, damit informierte Entscheidungen getroffen werden können und reale Bilder, die eine » neue « Normalität schaffen. Dieser Diskurs kann das Tabu abbauen. In Teilen lässt sich das auch schon beobachten. Große Medien zeigen mittlerweile Bilder, auf denen Neugeborene zu sehen sind, die mit Käseschmiere und Blut bedeckt sind oder die eine Vulva abbilden, aus der gerade das Köpfchen geboren wird. Es sollte klar werden, dass nichts beschämt werden muss. Oft entsteht ein naturalistisches Bild, ein Ideal, welches viele nicht erreichen können. Das geht dann manchmal so weit, dass Geburten nicht als » richtig « gelten, wenn zum Beispiel eine PDA vorgenommen wurde. Keine Geburt ist besser oder schlechter als eine andere. Gebärende sollten sich auch nicht für einen Kaiserschnitt schämen müssen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, was für ein unfassbar kraftvoller Moment eine Geburt im Leben ist. Es gibt kein höheres Energielevel als in diesem Moment. Alles, was es dafür braucht, ist vollkommen okay!
Interview: Imke Langmann
Bild: Wikimedia/Llapissera
Zur Person
Interviewpartner:in
Lea hat ihren Master of Arts in Soziologie und Kulturwissenschaften an der Uni Kiel gemacht. Nun ist sie Hebammenstudentin im Semester und arbeitet im Kieler Universitätsklinikum.
Weiterlesen
Positive Birth Movement
Globales Online-Netzwerk für schwangere Frauen
positivebirthmovement.org
Eine Grafik bringt es auf den Punkt
WHO-Grafik zu Hebammenversorgung und Frauengesundheit
transform-magazin.de/dhz
Vaginal Seeding
Informationen zum Gesundheitstrend Vaginal Seeding
transform-magazin.de/vas
Media
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Queer-feministisches Kollektiv für gynäkologische Selbstbestimmung
gynformation.de
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transform-magazin.de/bam