Dein Herz pumpt schneller und Du bist unsicher, wie Du reagieren sollst: In Deinem Facebook-Newsfeed ist ein Hasskommentar gegen Geflüchtete. Einerseits möchtest Du etwas entgegensetzen. Du bist nämlich anderer Meinung. Du würdest gerne respektvoll mit Deinen Mitmenschen diskutieren. Andererseits hast Du Angst: Was ist, wenn Du etwas entgegnest und danach selbst zur Zielscheibe für Hasskommentare wirst?
Wenn wir die Menschen hinter den Hasskommentaren weder stummschalten noch isolieren wollen: Wie schaffen wir es, den gesellschaftlichen Dialog wieder auf ein respektvolles Niveau zu retten? Gibt es Strategien, die Du als Nutzer*in sozialer Netzwerke anwenden kannst?
Der Begriff „Hate Speech“ stammt aus den USA und bezeichnet „Formen sprachlicher Ausdrucksweisen, die eine Person oder eine Gruppe von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion, sexuellen Orientierung oder Herkunft erniedrigen, einschüchtern oder zu Gewalt gegen sie aufstacheln. Das kann schriftlich, mündlich, in Bildform, in Massenmedien und eben auch insbesondere im Internet passieren.” (1) In Deutschland wird manchmal der Begriff Hassrede verwendet. Hate Speech würdigt Menschen also herab, weil sie einer bestimmten Gruppe angehören. Sie unterscheidet sich von Beleidigungen, weil letztere ausschließlich einzelne Menschen herabwürdigen.
„Geistige Brandstiftung” als Vorbote von Gewalt?
In Zeiten von Pegida und brennenden Flüchtlingsunterkünften ist das Thema relevanter denn je. Denn: „Häufig bleibt es nicht bei Hassreden, oft sind Worte die Vorstufe von Taten“, so Bundesjustizminister Heiko Maas in einer lesenswerten Broschüre der antirassistischen Amadeu-Antonio-Stiftung zum Thema. Und weiter: „Dass aus ‚geistiger Brandstiftung‘ viel zu oft Gewalt wird, zeigt der sprunghafte Anstieg von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte“.
Sprache kann ein Klima schaffen, in dem bestimmte Menschengruppen weniger Wert sind oder gar komplett entmenschlicht werden. Dieser Prozess wird besonders im Vorfeld von Genoziden sichtbar: Während des Nationalsozialismus und im Vorfeld des Genozids in Ruanda wurden Teile der jeweiligen Bevölkerung als „Untermenschen“ oder „Kakerlaken“ verschrien. Die Folge: Die restliche, angestachelte Bevölkerung brachte weniger Empathie für ihre verunglimpften Mitbürger*innen auf. Letztere wurden nicht mehr als Menschen gesehen, was dazu führte, dass die Hemmschwelle zur Gewaltausübung sank.
Online fällt es besonders leicht, andere Menschen herabzuwürdigen: Anonymität und der Eindruck von Straffreiheit sind stärker verbreitet als offline. Verhalten ist enthemmt, weil es keine potenziell hemmenden Faktoren gibt: Das Leid der Betroffenen wird nicht direkt gesehen und eine kritische Reaktion der Umwelt ist weniger wahrscheinlich.
Hate Speech blockiert Meinungsvielfalt
Selbst wenn Worten keine Taten folgen, beschneidet Hate Speech die Meinungsvielfalt eklatant: Wenn verbal attackiert und beleidigt wird, steigt die Hemmschwelle, an Diskursen teilzunehmen. Meinungen werden zurückgehalten – aus Angst, selbst zur Zielscheibe zu werden oder aus Rücksicht auf die eigenen Kraft- und Zeitreserven. Meinungsvielfalt geht verloren und die Deutungshoheit gehört denjenigen, die am lautesten schreien.
Schnell werden Forderungen nach Kontrolle und Verboten laut: Netzwerkbetreiber*innen sollten stärker darauf achten, welche Inhalte auf ihren Kanälen verbreitet werden! Doch wenn Kommentare von Facebook-Nutzer*innen als unpassend gemeldet und dementsprechend auch gelöscht werden — steht man dann nicht erneut vor eingeschränkter Meinungsvielfalt? Welche anderen Handlungsoptionen stehen zur Verfügung?
Feuer mit Feuer bekämpfen? Was tun, ohne selbst die Meinungsfreiheit einzuschränken?
Johannes Baldauf leitet bei der Amadeu-Antonio-Stiftung das Projekt no-nazi.net zu Neonazismus in sozialen Netzwerken. Er meint: „Die Auswahl dessen, was man tun kann ist nicht so groß, aber das sind trotzdem effektive Mittel.“ Er rät zunächst zu einer Grundsatzentscheidung: Möchte man das, was man sieht, sanktionieren oder möchte man eine Diskussion beginnen? Sanktionieren lässt sich, indem man Kommentare bei Facebook meldet oder zur Anzeige bringt, um strafrechtliche Verfolgung zu ermöglichen. Diese Sanktionen führen jedoch kaum zu einer Meinungsänderung bei der kommentierenden Person. Sie sollten dementsprechend nur gewählt werden, wenn eine Debatte aussichtslos ist.
Woher kann man wissen, ob es sinnvoll ist, zu debattieren?
In der Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung wird Hate Speech in drei Kategorien geteilt. Je nach Kategorie lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer sinnvollen Debatte einschätzen:
- Direkte Hate Speech („Ausländer raus!“): In diese Kategorie fallen Aufforderungen zu bestimmten Taten. Eine Debatte ist kaum möglich.
- Indirekte Hate Speech („Das Asylrecht gehört abgeschafft!“): Kommentare in dieser Kategorie sehen zunächst nicht so gefährlich aus. Werden sie allerdings konsequent zu Ende gedacht, unterstützten und legitimieren sie bestehende Gewalt. Auch in diesem Fall hält die Stiftung eine sinnvolle Debatte kaum für möglich.
- Uninformierten Aussagen („Die Ausländer beuten die Sozialsysteme aus!“): In diese Kategorie fallen Kommentare, die auf falschen Fakten basieren. Hier lohnt sich ein Debattenversuch.
Wenn Hasskommentare von Menschen in der eigenen Facebook-Timeline auftauchen, rät Johannes Baldauf außerdem dazu, deren Profil anzuschauen. Das helfe bei der Einschätzung, wie tief die Person in bestimmten Meinungen stecke: „Ab einem bestimmten Punkt lohnt es sich nicht mehr zu diskutieren, und es ist extrem zeitaufwendig. Das macht man nicht nebenbei.“
Wenn Du Dich dafür entscheidest, zu reagieren, gibt die Amadeu-Antonio-Stiftung folgende Ratschläge:
1. Bleib sachlich.
Auch wenn solche Debatten oft emotional aufwirbeln.
2. Bau Deine Argumentation auf Fakten auf und prüf Deine Quellen genau.
Du kannst außerdem nach den Quellen der anderen Person fragen und diese auseinandernehmen: Sind sie seriös? Für den Fachmann Baldauf ist das oft zweifelhaft:
„Ganz viel von dem was wir als Hassrede kennen lässt sich gar nicht belegen. Da kommt dann ein Schauermärchen, wo gesagt wird ‘Ja, bei dem Ort ist das und das passiert.’ Das ist viel Hörensagen. Aber wenn man dann sagt: ‘Wo ist denn der Polizeibericht dazu?’ oder ‘Die Polizei hat das klar dementiert’, dann kann man sich vorarbeiten und zeigen, ‘Du siehst, das ist alles Angstmacherei.’”
3. Achte darauf, Dich selbst zu schützen.
Wenn Du die Person nicht privat kennst, schau nach, was sie über Dich herausfinden kann. Kann das gefährlich werden?
4. Such Dir Verbündete.
Du kannst zum Beispiel Deinen Freund*innen erzählen, wenn Du auf einen Hasskommentar geantwortet hast. Bitte sie, Dir zu helfen, falls die Diskussion rauer wird. Johannes Baldauf meint dazu: “Es gibt eine große Menge an Leuten in sozialen Netzwerken, die eine vernünftige Einstellung haben. Die sind nur oft einfach zu müde, um zu diskutieren. Aber wenn die sehen, dass da bereits was läuft, dann hängen die sich mit rein. Und dann habe ich meine Verbündeten.”
5. Unterstütze andere Menschen.
Wenn Du siehst, dass andere Menschen gegen Hasskommentare einstehen, dann hilf ihnen, indem Du unterstützend ins Gespräch einsteigst.
Text: Stefan Häfner (web) | Titelbild: Fabian Gampp (web) für transform
