Käfer & Menschen – Roman von Seenotretterin Pia Klemp

Pia Klemps Roman Entlarvung ist ein gutes Geschenk für die Eltern, die nicht verstehen, warum sich ihr Nachwuchs nicht mit der Bio-Gans zu Weihnachten zufrieden gibt und Kohlekraftwerke blockiert. Aktivist:innen wiederum erkennen mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Gedanken, Fragen und Hoffnungen darin wieder und können gelegentlich über sich und Klassiker der Szene schmunzeln (“Keine Namen, keine Strukturen!”). 

In dem Roman entwickelt sich die Museumsangestellte Rubi zu einer Aktivistin. Die Leser:innen folgen ihr durch den Alltag und ihre Radikalisierung. Radikal zu sein, bedeutet ein Problem bei der Ursache anzugehen, Radix heißt schließlich Wurzel auf Latein. Genau dies versucht Rubi, inspiriert durch eine neue Bekanntschaft.

Detaillierte Sprache, eindeutiger Inhalt

Die Analogie Entlarvung oder Metamorphose von Käfern und Menschen wird dabei nicht überbetont. Der Biologie entstammt auch ein großer Teil der vielen Adjektiven und eingestreuten Fachbegriffen, die wie viele heute ungebräuchliche Wörter das Buch lebendig machen. Haltung und Aussage werden hier nicht zwischen den Zeilen versteckt, sondern den Leser:innen entgegengeschleudert. Die beschriebenen Figuren, wie esoterische Outdoor-Fans oder auf unterschiedliche Weise abgestumpfte Mitmenschen sind überzeichnet und doch nicht unrealistisch. Kurz: Dieses Buch ist keine Strandlektüre und durch die Schreibweise doch amüsant und anschlussoffen – auch für Menschen die noch kein Baumhaus im Hambacher Forst bauten.

Autorin Pia Klemp

Spannend sind auch die Widersprüche und Unsicherheiten der Aktivist:innen. Amüsant und lebensnah sind die Beschreibungen ihrer “Typen”. Unterschiedliche Beweggründe und Biografien werden skizziert, ihre Selbstzweifel und Schmerzen thematisiert. Pathos und etwas Revolutionsromantik finden mehr Platz – doch das schadet nicht. Schließlich sind Politik, Literatur und Medienwelt dominiert von sogenannter Realpolitik, welche mit planetaren Grenzen und Menschenwürde irreal umgeht. Dieses Buch setzt dem etwas entgegen.

Kapitänin, Kollektivistin, Autorin

Die Autorin ist vielen bekannt. Pia Klemp war Kapitänin der Seenotrettungs-Schiffe Iuventa und Sea-Watch 3. Danach half sie die Louise Michel im Mittelmeer zu organisieren – unabhängig von Vereinen und größeren Organisationen. Gespendet wurde das nach einer französischen Anarchistin benannte Schiff von Banksy.


Wir stellten ihr ein paar Fragen zu ihrer Arbeit und ihrem Buch:

Hi Pia, wo bist du gerade?
Ich bin gerade in Deutschland und tingel zwischen Freunden und Familie hin und her. Corona macht das Reisen schwierig. Außerdem wurde die Registrierung unseres Schiffs angefochten. Als Kollektiv erleben wir immer fortwährende Repression.

Was genau meinst du?
Nicht nur Italien oder Malta blockieren die Seenotrettung. Andere EU-Staaten machen bei der Abschottung der Grenzen genau so mit. So z.B. auch die Flaggenstaaten wie Deutschland. Da werden auf Geheiß des Bundes-Horst spontan Verordnungen geändert, um die Einsätze zu verzögern oder beinah unmöglich zu machen. Das sind Richtlinien, die für keine anderen Schiffe gelten und ganz klar Schikane von oberster Stelle.

Was macht die Louise Michel aus?
Wir sind von keiner NGO oder einem eingetragenen Verein getragen, sondern von einem kleinen anarcho-feministischen Kollektiv. Wir arbeiten ganz ohne Vereinsmeierei, Patriarchat oder Burnout und mit gutem veganen Essen.

Und du bist wieder am Steuer?
Ich bin momentan nicht in dem Kollektiv aktiv. Ich hab’s letztes Jahr mit hochgezogen, aber damit es nicht um die fesche Kapitänin mit blondem Haar geht, sondern um die Sache, haben wir uns dagegen entschieden mich für Missionen auf die Brücke zu setzen.

Was genau stört euch an Vereinen?
Also die bringen schon auch Vorteile mit sich, also Geld vor allem. Bei der Seenotrettung gibt es aber viele politische Angriffe und mediale Hetze. Ab einer gewissen Größe müssen oder wollen Vereine da sehr abwägend vorgehen. Und das betrifft dich auch als Crew-Mitglied oder Kapitänin. Die Frage kommt: Wenn ich das oder jenes mache, bin ich dann am nächsten Tag noch dabei?

Libysches Patrouillenboot stört eine Rettungsaktion der von Pia Klemp gesteuerten Sea Watch 3

Bevor du in der Seenotrettung aktiv wurdest, hast du illegale Fischerei bei Sea Shepherd bekämpft. Wie wurdest du zur Aktivistin?
Ich bin in einer politischen und sozial engagierten Familie groß geworden, hatte und habe einen aktiven Freundeskreis. Angefangen habe ich mit Antinazi-Demos. Dann habe ich Soli-Veranstaltungen organisiert.

Spielten Bücher auf diesem Weg eine Rolle?
Ja, klar, zum Beispiel ‘Sexual Politics of Meat’ von Carol J. Adams oder Schriften von Audre Lorde. Aber es gab da auch viele Romane, zum Beispiel von Margaret Atwood oder Philip Roth. Und natürlich immer Camus!

Viele Themen – nach welchen Kriterien suchst du deinen Kampf aus?
Ich probiere mir viele verschiedene Sachen anzuschauen und offen zu sein. Ich schau dann nach einer Mischung von ‘ich werd hier gebraucht und nehme keinen Platz weg’ und ‘ich kann hier was lernen’. Und dann muss es natürlich menschlich passen und der Ansatz stimmen: Mir ist wichtig, nicht aus Barmherzigkeit, sondern Notwendigkeit zu handeln. Es braucht keine angeblichen christlichen Werte oder so, sondern ein Anpacken der Probleme bei der Wurzel.

Bei all diesen Ansprüchen hast du noch Zeit zum Schreiben?
Offensichtlich ja (lacht).

Warum schreibst du?
Entlarvung ist ja schon mein dritter Roman. Ich habe Spaß daran, Geschichten zu erzählen und mit Worten und Gedanken zu spielen. Auch kann ich dabei meinen Kopf sortieren und den einen oder anderen Gedanken schärfen. Im Grunde ist das eine sehr egoistische Angelegenheit ohne großes Sendungsbewusstsein.

Beide Protagonistinnen deines Buches sind misanthropisch. Du bist es laut Klappentext ebenfalls. Dabei rettest du Menschen und kämpfst gegen Naturzerstörung an. Wie passt das zusammen?
Ich glaube es ist wichtig, für das Richtige zu kämpfen, auch wenn man nicht alle Menschen mag. Freundschaft ist nicht notwendig, um jemanden zu retten. Für den Kampf muss ich nicht alle so sehr mögen wie meine Liebsten. Auch muss nicht jeder parasitäre Wurm so niedlich sein wie ein Katzenvideo, damit sich Menschen gegen das Artensterben einsetzen.

Dein Buch endet negativ und zugleich kämpferisch optimistisch. Hast du einen Self-Care-Tipp für Aktivist:innen?
Das muss man für sich selber wissen. Ich bin ja keine Psychologin. Wichtig ist wohl ein bewusster Umgang mit den Kämpfen, denen wir ausgesetzt sind. Klar, wenn es um die Klimakrise geht: Die Erfolge sind minimal, die Zahlen dramatisch. Gar nicht so einfach, da nicht verrückt zu werden. Wenn es die Menschenheit nur über Egoismus versteht: Primäre Self-care ist Planet-care. Wenn der weg ist, bringt auch der angenehmste Saunagang nichts mehr.

Sollten sich Aktivist:innen Ende-Gelände, Extinction Rebellion oder einer kleineren Gruppe anschließen – oder etwas Neues aufbauen?
Gute Leute werden überall gebraucht. Große Gruppierungen fangen einen erst einmal gut auf. Ende-Gelände ist immer eine gute Idee! Ist man neu dabei, fängt man vielleicht mal mit einer Demo an, dann bleibt man mal sitzen, blockiert und hat den ersten Landfriedensbruch begangen. Freiheit gibt’s nur gegen das Übernehmen von Verantwortung.

Auch wenn du sagst, dass du primär schreibst, um dich zu sortieren: Soll dein Buch zu diesem Schritt ermutigen?
Ja, bitte, legt los! Alle. Sofort. Wir haben keine Zeit mehr.

Dann ist dein Buch für… alle?
Also momentan muss man der deutschen Sprache mächtig sein. Und natürlich gibts auch Leute, die zu verknarzt sind, damit sich da noch was bewegt.

Wer soll das Buch explizit nicht lesen?
Faschos. Die Sonne scheint nicht für Nazis.

Wird es weitere Bücher geben?
Ich hab glatt schon das nächste Manuskript fertig, wegen Corona halt.

Was willst du noch loswerden?
Nichts. Die 242 Seiten sagen ganz gut was. Darin beschrieben ist, wie prekär die Lage ist, planetar und auf das Individuum runtergebrochen, und was wir tun können.

Wie lässt sich die Louise Michel unterstützen? Braucht ihr Geld?
Das Öffnen von Grenzen und Abschaffen von Frontex wäre hilfreich. Das würde tausende Tote vermeiden. Geld haben wir tatsächlich im Moment genug. Die Leute sollen lieber was machen, als sich frei zu kaufen.


Wer bei einer anarcho-feministischen Seenotrettungs-Kapitänin, die Tote im Mittelmeer barg, Tiermastanlagen von innen sah und laut Selbstbeschreibung misanthropisch ist, mit einem verbittern Menschen rechnet, wäre bei diesem Interview überrascht gewesen. Pia Klemp lachte viel – ohne von ihrer konsequenten Sichtweise abzurücken.

Ein Auszug aus ihrem Buch:

Der Geckobursche war sich darüber nicht bewusst, dass in seiner Embryonalphase etwas gewaltig schiefgelaufen war (ja, auch ihn hatte man weder informiert, noch seine Meinung eingeholt). Im Laufe der Zellteilung war es zu einem unplanmäßigen Wirrsal seiner DNA gekommen und ein Stück des Säurestrangs war unwiederbringlich verloren gegangen. So schnell wurde man zum Mutanten. Wohl hatte er noch den hübschen weiß-auf-dunkelblau gebänderten Schwanz, doch an keiner Stelle seines Körpers war das prägnante Muster roter und blauer Flecken zu sehen, das für seine Art als typisch galt.

Das Buch gibt es beim Ventil-Verlag, dort gibt es auch eine weitere Leseprobe. Have fun.

Nun huschte der jüngst Geschlüpfte herum, wie all die anderen auch, nur war er weniger prächtig und protzig dabei. Gänzlich von Eitelkeiten verschont, blähte er seine Echsenkehle unter raschen Atemzügen. Ebenfalls entzog sich seiner Kenntnis, dass er seine Überlebenschancen durch sein ungewöhnlich bescheidenes Aussehen drastisch gesteigert hatte und womöglich die seiner ganzen Art (millionenfach fing man die schmucken Schuppenkriechtiere ein. Nicht nur im exotischen Tierhandel, auch bei Vermittlern von medizinischen Elixieren erfreuten sie sich großer Nachfrage – besonders viel Anklang fand der Gecko als Ge Jie, aufgeweicht in Likör mit einem Quäntchen Ginseng und Goji-Beeren). Wenn ein paar Artverwandte es ihm gleichtun würden – ach was! Eine Dame wäre schon völlig ausreichend –, dann könnten sie ihrer Ausrottung vielleicht doch noch ein Schnippchen schlagen.

Es war gut möglich, dass die anderen Vertreter des Gekko gecko ihn belächeln, ausstoßen oder gar nicht erst erkennen würden. Aber ohne den oberflächlichen Prunk würde unser Spezimen nicht damit enden, in einer mystischen Suppe zu köcheln oder in einen temperierten Käfig gesperrt zu sein. All das wusste der junge Tokee jedoch nicht und vollendete damit nur seine Perfektion. Wäre er fähig gewesen, sich zu solch lächerlichen Gedanken herabzulassen, würde er behaupten, er sei im Zen.

Dem Gecko war es gleich, ob andere eine ähnliche Veränderung durchmachten, da ein solcher Gedanke weder einen Sinn noch Konsequenzen für ihn barg. Seine Verwandlung aus dem tiefsten Nukleus heraus vollzog sich ohne Zutun und Segen derer, denen er gleich sein sollte. Er war schlichtweg anders.

Probieren Sie es aus.

Fotos: Sea Watch & Louise Michel


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