Vereint gegen die Mafia

Die sizilianische Bürgerinitiative Addiopizzo sagt »Tschüss Schutzgeld«. Lokale Freiwillige und Gewerbetreibende haben den Kampf gegen die Mafia aufgenommen – und das mit Erfolg. Die Addiopizzo-Aktivistin Veronica Coniglio erklärt uns, wie das gelang, was andere davon lernen können und warum sie keine Angst vor der Mafia hat.

transform: Veronica, zahlt denn jedes sizilianische Unternehmen Schutzgeld?

[Veronica Coniglio] Bis vor weniger als 20 Jahren war es in Palermo völlig normal, Pizzo zu zahlen. Die Mehrheit der Unternehmen hat Schutzgeld an die Mafia gezahlt. Weil es am einfachsten war, als normal angesehen wurde, und weil die Mafia einen bedrohte, wenn man es nicht tat. Auch dachten viele Unternehmer fälschlicherweise, dass die Mafia sie beschützen würde. In den letzten Jahren hat sich aber viel verändert: Wer erpresst wird, kann jetzt einfach zur Polizei gehen. Zu dieser Revolution hat Addiopizzo viel beigetragen.

Wie kam es dazu?

2004 hatten ein paar junge Leute, die gerade mit dem Studium fertig waren, die Idee, eine Bar zu eröffnen. Einer sprach aus, woran alle dachten: Schutzgeld. Denn die Frage war nicht ›ob‹, sondern ›wann‹. Jeder in Palermo wusste: Früher oder später wird jemand vorbeikommen und nach einer ›Spende‹ fragen. Doch die jungen Geschäftsgründer wollten es anders machen. Sie beklebten über Nacht das Stadtzentrum mit hunderten von Stickern, die aussahen wie Todesanzeigen, und auf denen ein Satz stand: »Ein ganzes Volk, das den Pizzo bezahlt, ist ein Volk ohne Würde.« Sie wollten die Bürger Palermos darauf aufmerksam machen, dass sie Teil des Problems waren. Sie kauften in Geschäften ein, die Schutzgeld bezahlten.

Wie reagierten die Bürger Palermos?

Die Aktion sorgte natürlich für Aufsehen und die Leute sprachen darüber. So fiel das Tabu. Doch den Addiopizzo-Gründern war auch klar, dass sie Betriebe nicht einfach bitten können, kein Schutzgeld mehr zu zahlen und dies auch noch öffentlich auszusprechen. Denn allen Unternehmern, die den Mut hatten, Erpressungsversuche der Polizei zu melden, gingen aus Angst vor der Mafia die Kunden verloren. Im schlimmsten Fall mussten sie sogar Insolvenz anmelden.

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Dieser Text ist Teil unserer siebten Ausgabe. In der geht es um Körper in all seinen Formen und Farben, das Recht auf Selbstbestimmung, den Körper als Waffe und warum spritzende Vulven eine politische Dimension haben.

Aber irgendwie gelang es euch ja doch, Geschäfte von eurer Idee zu überzeugen…

Die Gruppe fing bei den Verbrauchern an und sammelte Unterschriften. Bald hatten sie 35.000 zusammen. Das ermutigte die ersten Ladenbesitzer mitzumachen und laut zu sagen, dass sie keinen Pizzo bezahlen. Denn sie waren nicht mehr allein, sondern konnten auf die Unterstützung eines Netzwerks aus Kollegen und Verbrauchern zählen. Ich meine, die Mafia ist organisiert, warum sollen wir uns nicht auch organisieren?

Alle Betriebe, die mitmachen, haben einen Aufkleber an der Ladentür oder im Schaufenster. Darauf steht »Pago qui non paga« (ich kaufe bei dem, der nicht zahlt). Wie viele Unternehmen sind es mittlerweile?

Im Moment sind es etwas mehr als tausend. Das ist nicht mal die Hälfte aller Unternehmen in Palermo – leider. Aber trotzdem eine Menge, die Zahl wächst stetig. Früher mussten wir Geschäfte überreden, mitzumachen. Heute ist es so, dass junge Unternehmensgründer uns kontaktieren, um dabei zu sein.

Hattet ihr nie Angst vor der Mafia?

Diese Frage wird uns immer gestellt. Die Antwort lautet: Nein, wir haben keine Angst. Die Mafia ist nicht unbesiegbar, sondern es sind Leute wie wir – sie können bekämpft und besiegt werden. Wir wurden auch noch nie bedroht oder ähnliches. In den 70ern, 80ern und frühen 90ern war Palermo nicht der sicherste Ort. Aber heute ist das anders. Filme stellen Sizilien als einen Ort dar, wo man es nicht riskieren sollte, die falschen Leute zu verärgern. Das entspricht nicht der Realität, wir leben zum Glück nicht in einem Film. Und noch etwas: 40 Ehrenamtliche sind heute bei Addiopizzo aktiv. Aber es gab von Anfang an keine einzelne Person, die ausschließlich mit der Presse sprach oder sich als Vorsitzender in der Öffentlichkeit zeigte.

Das half euch?

Ja, denn die Mafia wusste wahrscheinlich nicht, wer wir sind und wen sie treffen können. Mittlerweile haben wir uns auch einen gewissen Namen erarbeitet. Wir haben die Unterstützung der örtlichen Polizei, der lokalen Verwaltung – und der Bürger Palermos.

Ihr seid auch in der Bildungsarbeit aktiv – was bezweckt ihr damit?

Eines der größten Probleme im Kampf gegen die Mafia ist, dass wir nicht genug über sie sprechen. Das Schutzgeld-Thema war bis vor weniger als 20 Jahren ein Tabu, man sprach einfach nicht darüber. Wenn man aber über etwas, das man loswerden will, schweigt, klappt es nie. Man muss so viel wie möglich darüber sprechen. Zweitens: Der Hauptfeind der Mafia oder allgemein einer kriminellen Organisation ist nicht die Polizei, sondern ist Bildung und Kultur.

Deshalb die Schulbesuche.

Ja! Man muss Kindern von klein auf erklären, was die Mafia ist und wie sie versucht, sich mit dem falschen Image von »Wir kümmern uns, wenn du ein Problem hast« zu schmücken. Denn das stimmt natürlich überhaupt nicht. Bittet man die Mafia um Hilfe, erwartet sie dafür eine Gegenleistung – der Beginn einer niemals endenden Spirale an Gefälligkeiten. Wir versuchen deshalb so viele Schüler wie möglich zu treffen, an Grundschulen, Gymnasien, aber auch Universitäten. Damit sie, wenn sie einmal selbst einen Betrieb führen, wissen, dass das Bezahlen von Schutzgeld zu nichts Gutem führt. Denn mit 30 oder 40 wird es ihnen schwerer fallen, das zu verstehen. Das merken wir ja auch heute: Es ist schwierig, die Denkweise unserer Eltern zu verändern.

Wie kam es zu eurem neuen Projekt ›Addiopizzo Travel‹?

Touristen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderen Ländern fragten sich, wie sie sichergehen können, dass sie mit ihrem Sizilien-Urlaub nicht die Mafia finanzieren. Aus dieser Nachfrage heraus entstand Addiopizzo Travel, ein klassischer Reiseveranstalter. Aber wir arbeiten nur mit Hotels, Restaurants usw. zusammen, die kein Schutzgeld bezahlen. Nicht ein Cent geht an die Mafia.

Organisierte Kriminalität verlangt auch andernorts Schutzgeld. Lässt sich euer Ansatz denn einfach übertragen?

Das Wichtigste ist, dass Leute mitmachen, die die Gegend und ihre speziellen Dynamiken und Akteure kennen. Addiopizzo wurde in Palermo gegründet, weil wir von hier kommen, hier leben, den Ort kennen. In Catania und Messina wurden ein paar Jahre nach uns auch zwei AntiMafia-Initiativen gegründet. Obwohl die Städte nur wenige Kilometer von uns entfernt sind, brauchten sie unabhängige Organisationen. Wir können dort nicht aktiv sein, da wir den Ort nicht gut genug kennen. Aber wir teilen gerne unser Wissen und unsere Erfahrungen.

Text: Alexander Wenzel
Foto: Mahdi Rezaei on Unsplash

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Engagiert sich in Deutschland gegen die Mafia.
tfmag.de/mafia | mafianeindanke.de

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Der Onlineshop verkauft Lebensmittel und Weine von befreitem Mafialand.
legalundlecker.de

Sizilien entdecken ohne Mafia
Wer die malerische Insel und ihre wechselvolle Geschichte entdecken möchte, kann mit ›Addiopizzo Travel‹ verhindern, dass dabei Geld an die Mafia fließt.
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