Wieso junge Menschen nicht mehr arbeiten wollen

Die Welt schleppt sich zur Arbeit und kommt mit Depressionen und Burnout heim. Sie hakt, die Maschine Kapitalismus, wird zu selten gewartet. Junge Generationen machen nicht mehr mit. So ist das Meme »OK, (Baby-)Boomer« zum Ausdruck dafür geworden, dass man eine veraltete Meinung stehen lässt und sich abwendet. Eine stille Rebellion.

Spaßgetriebener Haufen ohne Motivation

Das Verhältnis zwischen den Generationen ist ambivalent. Einerseits werden die Jungen heute als recht politisch gelobt, andererseits als wohlstandsverwöhnte Individualist:innen mit Luxusproblemen belächelt. In letztere Erzählung passt die Unterstellung, um die Arbeitsmoral der jungen Generationen sei es schlecht bestellt. Die Arbeitskräfte der Zukunft scheinen vielen Unternehmen kaum noch Motivation an den Tag zu legen. Führungsverantwortung ist unattraktiv geworden. »Wie wird aus diesem spaßgetriebenen Haufen ein produktiver Teil der Gesellschaft?« Das erläutern Wirtschaftsblogs, Speaker:innen auf Fachmessen, zahlreiche Medienbeiträge und Karriereportale. Hedonismus greift als Erklärung für den Trend zu kurz. Vielleicht könnte man sogar sagen: Es ist eine stille Rebellion im Gange – und sie hat die Demografie auf ihrer Seite.

Die Jungen sind in eine Arbeitswelt hineingewachsen, die schleichend immer stärkere Selbstoptimierung und Selbstaufgabe fordert. Dies wird gerechtfertigt durch »Benefits«, die kaum verschleiern können, dass die Grundkonditionen sich im Verhältnis zu anderen Generationen massiv verschlechtert haben. Das Versprechen, dass zahlreiche Praktika in die berufliche Selbstverwirklichung und finanzielle Sicherheit führen, ist ein Trugschluss. Am Ende einer solchen Odyssee realisieren viele junge Menschen, dass unflexible Arbeitsstrukturen und Hierarchien wenig Platz für persönliche Entfaltung lassen. Das zeigte 2019 etwa die Erhebung »Work Better Together« der dänischen Firma ›Peakon‹, einer Tech-Firma für Mitarbeiterfeedback. In 125 Ländern wurden über 40 Millionen Antworten ausgewertet, davon stammen 2,4 Millionen aus Deutschland.

»OK, Boomer« – schon gut, alter Knacker. Das ist seit 2019 ein immer wiederkehrendes Meme mit dem sich junge Menschen von konservativen Positionen distanzieren. Besonderes Aufsehen hat das Meme erregt, als die damals 25-jährige neuseeländische Abgeordnete Chlöe Swarbrick den Spruch 2019 im Parlament fallen ließ. Dies geschah innerhalb ihrer Anklage kurzsichtiger Politik, deren Wirkung nur in Legislaturperioden gedacht wird und die Zukunft ausklammert.

Das Ergebnis: Millennials sind besonders unzufrieden mit ihren Arbeitskonditionen, sehen oft wenig Sinn in ihrer Tätigkeit und fühlen sich durch unangemessen schlechte Gehälter weniger abgesichert als ältere Mitarbeiter:innen. Zwar ist die deutliche Kritik auch ein Alterseffekt: Junge Menschen haben am wenigsten zu verlieren und trauen sich daher eher zu protestieren. Tatsächlich aber haben sich die Bedingungen dafür, sich einen Wohlstand zu erarbeiten, drastisch verschlechtert.

Dieser Text ist Teil unserer achten Ausgabe. In der geht es um Schmutz und Sauberkeit in allen gedanklichen Dimensionen, Phantasien, Putzkollektive und Lösungen für einem saubere Umwelt. Abgerundet wird das Ganze mit Tips für das Gute Leben, garniert mit einem Spritzer Rebellion.

Den Wandel der Arbeitswelt hin zu einer besseren Balance mit dem Privatleben bezeichnet man als »Easy Economy«. Darunter fallen etwa flexible Arbeitszeiten, Bezahlung nach Leistung statt nach Stunden oder auch Homeoffice. Letzteres ermöglicht digitales Nomadentum, die ortsunabhängige Arbeit.

Ein deutsches Problem ist das nicht, sondern eines alternder Industrienationen generell – und kein neues. Schon 2013 attestierte die österreichische Ökonomin Maria Kovarik in ihrem Buch »Der Ruf der Generation Y nach ›Easy Economy‹« Österreich einen »Braindrain«, also die Abwanderung von Fachkräften. Dies beschreibt sie als Folge der schlechten Lebensperspektive. Junge Menschen müssten künftig für eine gigantische Zahl Rentner:innen aufkommen, hätten aber selbst mäßige Verdienstaussichten und Entwicklungschancen. Dementsprechend stieg die Zahl ausgewanderter Österreicher:innen zwischen 25 und 39 Jahren von 2005 bis 2010 um ganze acht Prozent. Auch in den Folgejahren blieb die Zahl der Auswanderungen hoch.

Wohlerworbene Rechte und zusammengequetschte Mittelschicht

Etwas, das der Verbesserung der Umstände für junge Menschen im Weg steht, ist das ausgeprägte »Senioritätsprinzip«. Das Problem erläutert der Autor und Ökonom Lukas Sustala in der Zeitung ›Der Standard‹: Ältere Arbeitnehmer:innen hätten durch langen Einsatz »wohlerworbene Rechte«. Das können zum Beispiel eine hohe Gehaltsstufe oder mehr Urlaubstage sein. Gespart werde dafür bei den Jungen. So hatten junge Beschäftigte 2017 insgesamt 16 Prozent weniger Geld zur Verfügung als dieselbe Altersgruppe noch 2004. Im gleichen Zeitraum sind demgegenüber die Einkommen der 50- bis 60-Jährigen nur um ein Prozent gesunken. Sparmaßnahmen im Zuge der Weltwirtschaftskrise trafen demnach vor allem jüngere Arbeitnehmer:innen. Die Generation Y sei die erste seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem schlechteren Einkommen als dem der Vorgeneration. Diesen Trend nennt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einem internationalen Report von 2019 »Squeezed Middle Class«. Es gibt demnach immer weniger Jobs, die Berufseinsteiger:innen überhaupt einen mittleren Lebensstandard ermöglichen.

Die Generation Y sei die erste seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem schlechteren Einkommen als dem der Vorgeneration.

Unterstellt man jungen Menschen also eine schlechte Arbeitsmoral, so muss man schon beide Seiten des Generationenvertrages betrachten: Die Jungen kommen für die Älteren auf – nachdem die Älteren ihnen einen guten Weg geebnet haben. Weniger Mitbestimmung, schlechterer Verdienst, hohe Belastung durch personelle Sparmaßnahmen, totale Flexibilität, immer längere Erwerbszeiten um den demografischen Wandel zu stemmen, immer längere Ausbildungszeiten um steigende Qualifikationsvorgaben zu erreichen, eine nach wie vor schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie – puuh! Von einem guten Weg der den Generationen Y und Z geebnet wurde, kann im Hinblick auf deren Arbeitsperspektive schon lange nicht mehr die Rede sein.

Gesundheit, Freiheit und Vertrauen

Auch andere gesellschaftliche Baustellen tragen zur existenziellen Unsicherheit junger Menschen bei, etwa zunehmende Klimakatastrophen oder steigende Lebenshaltungskosten. Wenig verwunderlich ist daher das Ergebnis der Studie »Junge Österreicher:innen 2021« des Allgäuer Jugendforschers Simon Schnetzer. Vertrauen und Freiheit sind demnach für junge Generationen die wichtigsten Werte im Leben, gleich nach der Gesundheit. Politik und Unternehmen werden in der Verantwortung gesehen, die Bedürfnisse der Generationen Y und Z nicht länger zu ignorieren. Zu demselben Ergebnis kommt auch die Erhebung der Universitäten Hildesheim und Frankfurt ›JuCo 2‹ aus dem Jahr 2020. Diese befragte junge Deutsche zu ihrer Situation in der Pandemie. »Sie haben wichtige Ideen zur Umsetzung unterschiedlicher Maßnahmen in ihrem Alltag. Doch ihre Stimme wird kaum gehört«, sagt Johanna Willmes, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Frankfurt.

Schlechte Arbeitsmoral ist Existenzsicherung

Selbstausbeutung ist mittlerweile Teil der Sozialisation – und gleichsam ein gemeinschaftlicher Reifeprozess. Der Grundsatz »Leistung lohnt sich!« läuft für die jungen Generationen allerdings sehr oft ins Leere. In großen Teilen bedeutet die Arbeitswelt für sie Varianten der Ausbeutung. Ihre vermeintlich schlechte Arbeitsmoral ist so gesehen eigentlich eine Existenzsicherung, eine Demonstration für einen gesunden Arbeitsplatz der nicht erwartet, zu jeder Zeit Priorität vor Privatleben und Gesundheit zu sein. Lernunwillige Unternehmen zu boykottieren, scheint konsequent.

Gefrustet von Ohnmacht und der Missachtung ihrer Bedürfnisse durch die Politik, suchen Jugendliche nach eigenen Möglichkeiten, um etwas zu bewegen.

Es ist eine typische stille Rebellion: Nachgewiesenermaßen organisieren sich junge Leute flexibler, nicht mehr unbedingt in festen Verbünden wie Parteien und Gewerkschaften. Das zeigte etwa die Shell Jugendstudie von 2019. Gefrustet von Ohnmacht und der Missachtung ihrer Bedürfnisse durch die Politik, suchen Jugendliche nach eigenen Möglichkeiten, um etwas zu bewegen. Politisches Engagement ist individueller geworden, ebenso wie sein Einfluss. Die Werbebranche zum Beispiel hat sich in den letzten Jahren immer stärker auf eine junge Konsument:innenschaft eingestellt, der Nachhaltigkeit und Diversität wichtig sind. Diese Gruppe lehnt Produkte ab, die ihren Wertvorstellungen nicht entsprechen. Auch das, was oft als »Cancel Culture« betitelt wird, kann als persönlicher Ausdruck von politischem Willen gedacht werden. Man muss halt nicht überall mitmachen, man kann problematisches Verhalten und schlechte Zustände öffentlich ablehnen und konsequent boykottieren. Mancher Gesellschaftswandel vollzieht sich gerade abseits großer Demonstrationen. Wieso sich verbrennen in einem Job, der weder Freude noch Sicherheit schafft? Jungen Menschen fehlt nicht die Arbeitsmoral, sie bringen sie gerade wieder zurück.

Text: Josephine Macfoy

Bild: Marvin Meyer on Unsplash

Weiterlesen

Die Einkommen der Millennials haben sich deutlich verschlechtert
Analyse in der österreichischen Zeitung
›Der Standard‹
transform-magazin.de/std

Under Pressure: The Squeezed Middle Class
Report der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ›OECD‹, über die schrumpfende Mittelschicht.
transform-magazin.de/oecd

Der Ruf der Generation Y nach Easy Economy
Buch der Wirtschaftswissenschaftlerin Maria Kovarik über die neue Generation Arbeitnehmer:innen.
Maria Kovarik, Diplomica Verlag, 2013

Wir leben in einer Abstiegsgesellschaft
Interview mit Soziologe Oliver Nachtwey über die soziale Aufstiegs-Fahrstühle und Abstiegs-Rolltreppen.
transform-magazin.de/std1

Media

Generation Z – Herausforderung für Unternehmen?
Vortrag von Prof. Dr. Antje-Britta Mörstedt von der Privaten Hochschule Göttingen zur Nacht des Wissens 2017.
transform-magazin.de/yt9

Quellen

Working Better Together
Studie der dänischen Firma Peakon für Mitarbeiterfeedback zu Generationen und Arbeit.
transform-magazin.de/peak

Shell Jugendstudie 2019
Regelmäßige Erhebung zur Lebensrealität junger Menschen und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft.
transform-magazin.de/shl

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