Was ist eigentlich aus Generationskonflikten geworden? Warum ist die heutige Kindergeneration so seltsam handzahm mit ihren Eltern? Ein Kind auf der Suche nach dem Generationskonflikt im Briefwechsel mit seinem Vater.
Vor einiger Zeit war ich mit meinem Vater bei einem Konzert der Rolling Stones, er fand es „überragend“, ich fand es „ziemlich geil“. Dann aber sagte er etwas, das mich nachdenklich machte: „Ich habe die Stones gehört, weil meine Eltern sie hassten. Die wären niemals mit mir dahingegangen, und wenn, dann hätte ich sofort aufgehört, die Stones zu hören. Und was macht Deine Generation?“ Tja, lieber Papa, die hört die gleiche Musik und provoziert euch mit nichts. Wir sind die Geschichten, die wir von uns erzählen können. Für meinen Vater war es das Auflehnen gegen eine Eltern-Generation, die in der Hitlerjugend war. Er fragte mich, warum es keinen Generationskonflikt mehr gibt. Und ich hatte darauf keine Antwort. Sind wir denn nur Nachmieter in den ideologischen Häusern unserer Eltern?
Generationskonflikte als Treiber der Gesellschaft?
Die 68er hatten ihre Altnazis, für die deutsche Jugendbewegung um 1890 waren die Eltern als „Spießer“ verhasst. Der dunkelste Generationskonflikt wurde aber von den „1933ern“ ausgetragen, die sich mit aggressiven Parolen wie „Macht Platz, ihr Alten!“ gegen die „Ewiggestrigen und Kaisertreuen“ wandten und sich einem jungen, lauten Politiker anschlossen, der 41 Jahre jünger war als der amtierende Reichspräsident.
Man kann wirklich nicht sagen, dass Generationskonflikte immer etwas Gutes sind, das die Gesellschaft vorwärts bringt. Die jungen Generationen wollen dem Rest stets zeigen, wo der Hammer hängt und wissen es natürlich immer besser. Eine schwer erträgliche Selbstgerechtigkeit ist der rote Faden der Generationskonflikte. Die Selbstherrlichkeit der Jugend ist dabei ebenso töricht wie die Besserwisserei der Alten. Ich halte fest: Man kann also auch einen Konflikt mit Generationskonflikten haben!
»Ich will nicht werden, was mein Alter ist«
— Abgrenzung ist trotzdem wichtig!
Ein Glück, dass wir nicht mehr eine solche Wut auf unsere Eltern haben müssen, oder? Trotzdem ist Abgrenzung wichtig. Vielleicht ist es in unsere individualistischen Welt für die junge Generation nur schwerer geworden, herauszufinden, gegen was sie sich abgrenzen sollen. Jeder Mensch hat ein natürliches Interesse an der Suche nach eigenen und kollektiven Identitäten. Eine solche Suche wiederum wird in der Psychologie als wichtig für die persönliche Entwicklung und Autonomie gesehen. Ich beschließe deshalb, meinem Vater einen Brief zu schreiben. Ich kann zwar nicht für meine gesamte Generation sprechen, aber das konnten Dutschke und Co. ja auch nicht. Und sie haben ihren Konflikt bekommen.
Also her damit!
Lieber Papa,
Wenn Du unter Generationskonflikt verstehst, dass eine Alterskohorte sich so deutlich von der anderen abgrenzt, wie ihr es getan habt, dann kann ich Dir über meine Generation sagen: Game Over. Von euch wurden auch die letzten Levels durchschritten! Was wollen wir noch erkämpfen? Was wäre denn für euch noch ein Bürgerschreck?
Es gibt keine Nazieltern, die es zu entlarven gilt, es gibt keine Gesellschaft zwischen Extremen wie Kaiserreich und Faschismus. Und sollten wir darüber nicht glücklich sein? Wenn (nur) solche krassen Extreme einen Generationskonflikt bilden, ja, dann gibt es tatsächlich keinen Konflikt mehr. Und zwar nicht, weil wir dazu nicht in der Lage wären, sondern weil die Welt eine andere ist.
Eure Gegensatzpaare werden der Komplexität nicht mehr gerecht. Ihr habt unter den Talaren noch Muff von tausend Jahren herausholen können, aber wir stehen vor globalen Zusammenhängen und Herausforderungen, für die es keine Sponti-Sprüche gibt.
Hier geht es nicht mehr um unterschiedliche Geisteshaltungen (habe ich Sex mit der Gattin oder der WG?), die aus heutiger Perspektive seltsam ichbezogen sind. Hier geht es um globale Fragen, wie den Klimawandel, Epidemien und Ernährung. Bei solchen „Feindbildern“ würde man nur Gespött ernten, wenn man mit einem herbeifantasierten Eltern-Kind-Konflikt käme. Die Schubladen sind zu klein, die Probleme zu groß. Nein, es gibt keinen Generationskonflikt mehr. Und das ist gut so!
— dein Hans
Lieber Hans,
Machst Du es Dir nicht zu einfach, wenn Du diese
Konflikte einfach wegdefinierst und unter Deinen fair gehandelten Teppich schiebst? Eine Generation der Wegducker und Entmoralisierer! Ja, ihr seid bereit, ihr müsst ja auch bereit sein, euch durch Krisen zu kämpfen, aber das ist hier doch nicht das Problem. Statt euch zu fragen, wofür ihr lebt, fragt ihr euch nur noch, wie ihr möglichst lange (über)leben könnt – nach den völlig unreflektiert zum Gebot erhobenen Prinzipien wie Gesundheit, Sicherheit, Nachhaltigkeit und, natürlich, Kosteneffizienz. Ihr könnt nicht mehr über Moral reden, ihr habt keine Vorstellung vom guten Leben. Ihr seid unpolitisch und schaut nur noch passiv zu.
Es gab welche unter uns, die haben Familien aufgebaut, weil Familien eben die kleinste politische Einheit sind, weil hier antiautoritäre Erziehung ausprobiert wurde – das war ein Ort für Utopien. Und mit unseren Kindern wollten wir dann weiter die Welt verändern. Das Private war für uns politisch. Die Kinder, ihr! Und nun scheint mir, dass für euch nicht einmal das Politische politisch ist. Progressiv ist nur die Gemüsekiste, die euch durch den Sommer begleitet und im Winter pausiert, weil „dann ja echt zu viel Kohl dabei ist“.
Was hätten wir gemacht, wenn mit Universitäten,
Arbeitslosen oder Kriegsflüchtlingen so eine Ausbeutung betrieben worden wäre, als wir jung waren? Auf den Pariser Studentenunruhen 1968 soll ein Polizist gerufen haben: „In 30 Jahren seid ihr eh alles Advokaten“ – das stimmt insofern, dass wir jetzt alt sind und etwas zu verlieren haben. Und ihr? Was mich bei dem Stones-Konzert so nachdenklich, ja, fast melancholisch gemacht hat, ist, dass ihr scheinbar eine Generation seid, die nicht weiß, wohin sie gehört und es vorzieht, sich diese Frage auch nicht zu stellen.
Kennt ihr überhaupt das Gefühl, nichts zu verlieren zu haben? Oder denkt ihr schon in der Schule an euren Wert auf dem Arbeitsmarkt? Gibt es Ansichten, für die ihr einstehen würdet? Dann kommt mal aus der Deckung, alt und spießig werdet ihr von alleine. Soviel kann ich Dir aus der Zukunft berichten
— dein Papa
PS: Vielleicht helfen Dir meine provokativen Zeilen ja beim Aus-der-Deckung-kommen!
Lieber Papa,
Ich habe über Deine Worte nachgedacht. Deine Strategie, mich zu einer Reaktion zu provozieren, ist Dir gelungen! Ich habe Spuren gefunden, die zeigen, was meine Generation von Deiner unterscheidet. Das ist kein Konflikt, dabei bleibe ich, aber ein Fortschritt. Und das ganz ohne Straßenschlachten und Freie-Liebe-Kommunen.
Da ist der Sozialarbeiter, der vier Tage die Woche arbeitet, weil er die restliche Zeit lieber in seine Band steckt. Da ist die Studentin, die sich mit klösterlicher Regelmäßigkeit einmal im Monat am Samstagabend zum Bingo-Spielen in der Eckkneipe trifft. Da ist die Software-Ingenieurin, die erstmal auf Weltreise geht und dann vielleicht als „digital nomad“ ein paar wohldosierte Kontakte in die Arbeitswelt aufnimmt.
Was haben die drei gemeinsam? Die machen Dinge, die eure Generation nicht versteht. Ihr habt euch wund gelaufen im Marsch durch die Institutionen, habt euch fix und fertig provoziert und dabei das Ziel vergessen. Jetzt seid ihr alle „Advokaten“ und glorifiziert eure Jugend. Wir nehmen da mal die Hektik und die Selbstgerechtigkeit raus. Eins hat eure Generation uns vermittelt: Dass wir nicht zu den Enttäuschten gehören wollen, die nur an Geld glauben. Ihr habt vielleicht von einer besseren Welt geträumt, aber jetzt träumt ihr nur noch vom Feierabend.
Das machen wir anders: Wir sind dabei, die Verhältnisse zwischen Arbeit und Leben neu zu ordnen. Wir sind flexibler, unsere Wege haben viele Kreuzungen und Abzweigungen. Befeuert von den technischen Möglichkeiten, können wir arbeiten, wo und wann wir wollen. Doch das liegt nicht nur an der Digitalisierung, wir haben auch gesehen, was passiert, wenn man nur dem Konsum hinterherrennt. Die gesellschaftliche Ungleichheit ist hoch, unterbezahlte Arbeit floriert, damit wir uns das kaufen können, mit dem die Werbung uns allerortenpenetriert, die Umwelt ächzt.
Und wie reagieren wir darauf? Wohl nicht mit fliegenden Steinen, sondern mit ruhiger, aber bestimmter Prioritätenverschiebung. Wir glauben an Evolution statt an Revolution. Eure Revoluzzer sind derweil Lobbyisten bei BMW. Unglücklich ist das Land, das Helden nötig hat. Und eure Helden haben euch auch noch verraten. Wir setzen deshalb lieber auf gemeinsame Evolution. Deswegen kennen wir vielleicht nicht so eine heroische Rhetorik, in der revolutionäre Subjekte „nichts zu verlieren“ haben. Wir glauben an schrittweise Prozesse und nicht an laute Helden.
Und die Bingo-Spielerin? Es gibt noch viele andere Beispiele: Die Freunde, die sich zum veganen Kochen treffen, statt Nächte durchzusaufen. Ein Freund berichtete mir sogar, wie er von einem ehrenamtlichen Sprachkurs für Geflüchtete stocknüchtern zurück zu seinen Eltern nach Hause kam und sie dort beim Haschischkonsum erwischte. Generationskonflikt auf den Kopf gestellt. Aber Unterschiede bestehen trotzdem: All diese Beispiele stehen für ein hohes Sicherheits- und Harmoniebedürfnis. Der 11. September hat uns geprägt, die Reaktionen (von euch?) haben die Welt nicht gerade besänftigt. Als Gegenentwurf zu einer egoistischen und oftmals sexistischen Selbstverwirklicher-Generation setzen wir nicht auf Konflikt, sondern auf Konvergenz, engagieren uns lieber für andere in dieser Welt, als uns drogeninduziert in andere Welten zu befördern, in denen man ja doch nur alleine ist.
Wir machen Dinge anders, wir sehen die Welt anders als ihr. Wir glauben nicht mehr daran, dass es eine andere Welt gibt, die man revolutionär erkämpfen könnte. Für uns gibt es nur eine andere Art, in dieser einen Welt zu leben. Deine „idealistische“ Generation hat erst so laut moralisiert und dann, kaum, dass sie in Macht und Verantwortung kam, still, aber deutlich, die Welt gegen die Wand gefahren. Vielleicht ist die Selbstbesessenheit der rote Faden, den wir nun durchschneiden. Ihr habt also Familien gegründet und dabei an kleine Ideologie-Zwerge gedacht, die eure tollen Ideen weitertragen?
Wenn das ein Grund fürs Kinderkriegen war, für uns ist er es nicht mehr. Vielleicht gibt es einige von uns, die bei all den Wegkreuzungen keine Lust oder gar Zeit für Kinder haben, vielleicht gibt es auch welche, die in einer überbevölkerten Welt ihre Liebe und Energie anders verwenden wollen. Sicher ist das aber jedem Menschen selbst überlassen und kein „politisches Projekt“. Unser Geist der Freiheit ist einer, der sich seiner Sache nicht zu sicher ist.
Wir gehen unseren eigenen Weg, setzen andere Prioritäten, setzen uns füreinander ein und wissen, dass wir mit weniger Gewalt und Exzess glücklicher werden können als ihr mit eurem BMW und der High End-Stereoanlage. Weniger goldene Kälber, mehr Gutes Leben. Und wenn ihr uns dazu bewegen möchtet, jetzt einen möglichst schrillen, lauten Konflikt vom Zaun zu brechen, dann machen wir das schon mal aus Prinzip nicht.
Stattdessen lachen wir.
In diesem Sinne, „Viva la evolución“
— Hans
Illustration: Bartholomäus Zientek
Dieser Artikel wurde in der vierten Ausgabe des transform Magazins gedruckt, welche du hier bestellen kannst.
Ein Gutes Leben mit Kindern oder doch lieber ohne? Wir leben in einer Zeit, in der das Kinderkiegen längst nicht mehr zwingende Norm ist. Sollten wir uns also lieber auf uns selbst konzentrieren? Und würde uns das nicht letzten Endes auch zu besseren Eltern machen?