Wenn man heutzutage mit seinen Bekannten und Freunden spricht, dann kommt man nicht umhin, es zu spüren: das Gefühl, dass die Welt in einer Krise steckt. Alles geht den Bach herunter. Die Entscheider entscheiden falsch, die Wähler wählen falsch. Klimawandel, Rassismus, Ungleichheit. Der Mensch handelt immer wieder gegen seine eigenen langfristigen Interessen.
Man findet sich zu Diskussionen zusammen und sagt mit ernstem Blick: Wir dürfen das nicht als Dummheit abtun, die Menschen sind nicht dumm.
Wenn wir nicht dumm sind, was ist dann das Problem?
Aber wenn die Menschen nun wirklich nicht dumm sind, warum handeln sie so oft im Widerspruch zu ihren Interessen? Warum kümmern wir uns nicht richtig um die Umwelt? Warum grenzen wir Menschen aus, mit denen wir auf gewinnbringende Weise kooperieren könnten? Oder auf einem etwas weniger politischen Level: Warum können wir nicht aufhören Süßigkeiten zu essen, obwohl wir wissen, dass sie nicht gesund sind?
Die Psychologie gibt einleuchtende Argumente für unser Verhalten. Die wichtigste Einsicht: Menschen handeln meist nicht rational.
Sie sind geleitet von ihrer (sozialen) Umwelt, die unter anderem Ängste und Normvorstellungen kreiert, nach denen die Menschen dann handeln. Das klingt schon mal wesentlich leichter zu verdauen, als das wir alle dumm sind.
Alex Gillespie von der London School of Economics erinnert uns daran, dass wir noch immer mit einem Steinzeit-Gehirn bestückt sind. Er meint damit, dass unsere Psyche heute größtenteils den gleichen Regeln folgt wie sie es schon zu Zeiten der Höhlenmalereien tat. Zwei wichtige Regeln waren damals folgende:
- Ich handele erst dann, wenn ich eine konkrete Gefahr sehe (im Falle des Steinzeitmenschen z.B. ein Mammut, das einen niederzutrampeln droht).
- Meine Gruppe ist mir wichtiger als alle anderen Menschen, denen ich begegne (andere Gruppen stellen unter Umständen sogar eine Gefahr für die meine dar).
Nichts neues ohne Software-Update
Leider kann die Anwendung dieser zwei Regeln im heutigen Zeitalter fatale Folgen haben. Die erste bedeutet mir, dass es eine Gefahr, die ich nicht sehe, nicht gibt. Das ist ganz schön blöd zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Der Klimawandel ist zwar angsteinflößend, aber gleichzeitig auch nicht klar und deutlich zu greifen – er legt es dadurch unserer Psychologie nah, nicht auf ihn zu reagieren und die Angst durch Leugnung rationaler Tatsachen zu verdrängen.
Die zweite Regel sagt mir, dass meine Gruppe wichtiger ist, als alle anderen Menschen (das sog. Ingroup-Outgroup-Denken der Menschen).
Wo sehen wir die fatalen Folgen dieses Denkens nicht? Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, religiöser Extremismus etc. sind implizite Themen einer jeden Nachrichtensendung.
Wir können mit der Psychologie also ziemlich gut erklären, warum Menschen das tun, was sie tun. So weit, so gut. Aber können wir dieses Wissen nicht auch dafür nutzen, die (soziale) Umwelt so zu verändern, dass Menschen das tun, was gut für sie ist?
Saadi Lalouh ebenfalls von der LSE (man scheint dort vielen Neanderthalern zu begegnen) hat dazu eine Theorie aufgestellt, die besagt, dass jede Handlung eines Menschen von drei Bereichen beeinflusst wird: der Innenwelt eines Menschen (welche Fähigkeiten hat der Mensch und wie interpretiert er die Situation?), der physischen Welt (welche Handlungen sind im Rahmen der gegebenen physischen Umstände überhaupt möglich?) und der institutionellen Welt (inwiefern wird die Handlung durch Institutionen kontrolliert?). Stellt man sich jeden dieser Bereiche als Stellrädchen vor, so kann theoretisch an jedem Rädchen gedreht werden und das Verhalten des Menschen verändert sich dementsprechend. So viel zur Theorie.
An den richtigen Rädchen drehen
Wie kann man diese doch sehr abstrakten Einsichten praktisch umsetzen? Ein Ansatz liegt in der Art und Weise, wie wir unsere physische Welt, unsere Umgebung gestalten. Wenn unsere Umgebung uns suggeriert, dass eine spezifische Entscheidung die bessere wäre, dann neigen wir eher dazu diese Entscheidung zu treffen.
Man kann sich das zunutze machen, indem man z.B. eine Schulmensa so konzipiert, dass die Kinder eher das gesunde Essen wählen als das ungesunde (obwohl die gleiche Auswahl an Essen angeboten wird). „Nudging“ heißt dieses Prinzip. Es ist letztendlich also eine Frage des Designs. Allerdings bezieht sich das Wort „Design“ hier nicht nur auf das, was Saadi Lalouh physische Welt nennt. Man kann nicht nur Objekte, sondern auch Interaktionen und Institutionen so designen, dass sie wirklich auf den Menschen passen und somit uns selbst helfen, die irrationalen Tücken unserer Psyche – die meisten von unseren Höhlen bemalenden Vorfahren vererbt – zu überwinden.
Einen neuen Menschen designen?
Ein Bereich, der sich unter anderem eben dieser Aufgabe widmet, heißt Design Thinking. Hier hat man sich der „human-centeredness“ verschrieben. Das heißt, dass man den Menschen stärker und bewusster einbezieht, wenn man Lösungen für ihn entwickelt und diesen ganzheitlich wahrnimmt. Dies hilft auch dabei zu validieren, ob das Problem, für das man eine Lösung sucht auch wirklich diesen Menschen betrifft oder ob er dieses ganz anders sieht.
Jede Gestaltung muss auf den benutzenden Menschen passen, um den gewünschten Effekt zu haben. Durch Interviews erforscht man die Bedürfnisse der Menschen und konzipiert und gestaltet dementsprechend Produkte, Dienstleistungen und vieles mehr. Seit einiger Zeit wird dieser aus der privatwirtschaftlichen Welt stammende Ansatz auch auf soziale und gesellschaftliche Themen und Problemstellungen angewandt. So gibt es nun Design Thinking Projekte zur Reintegration älterer Menschen, zur Umwelterziehung von Kindern oder zur Verbesserung der Situation von Obdachlosen – nur um ein paar Beispiele zu nennen. Hier greift das Wissen aus der Psychologie gleich doppelt: Einmal um den zukünftigen Nutzer besser und tiefer zu verstehen und dann noch einmal, um für ihn eine auf seine Bedürfnisse passende Lösung zu gestalten, mit der Hoffnung, dass diese Lösung den Nutzer auch hin zur langfristig ‘besseren’ Richtung ‘schubst’.
Neue Wege gehen, statt schockiert am Rand zu stehen
Ein richtiger und wichtiger Schritt, wie wir finden. Wie unser Zeitgeschehen und die aktuellen Debatten zeigen, ist es an der Zeit den Menschen und seine manchmal unangenehmen psychologischen Tücken in der Gestaltung unserer Umwelt einzubeziehen, wenn wir Veränderung bewirken wollen.
Natürlich sind für Themen wie zum Beispiel dem Klimawandel insbesondere politische bzw. institutionelle Anstrengungen gefragt. Wir können allerdings einen wertvollen Beitrag leisten, indem wir durch „human-centered“ Design oder schlicht tiefgründigem Einbeziehen der menschlichen Natur vorteilhafteres Verhalten begünstigen. Beispielhaft ist hier ein Projekt zu nennen, das von der Fluglinie Virgin Atlantic durchgeführt wurde. Die Fluglinie führte Befragungen und Tests mit ihren Piloten durch, um schließlich ein System zu entwickeln, das mithilfe von Feedback und persönlichen Zielsetzungen dafür sorgt, dass die Piloten während der Flüge erhebliche Mengen an Treibstoff einsparen.
Bei „human-centered“ Design bewegt man sich natürlich auf einem schmalen Grad – man kann als Gestalter nicht von sich weisen, dass es das Ziel ist den Menschen beeinflussen zu wollen.
Wie weit dies gehen darf und welche Richtung hier die richtige ist, ist eine separate ethische Diskussion, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.
Wir glauben allerdings, dass es unsere Verantwortung ist, den Faktor Mensch mehr in die Gestaltung unserer Welt einzubeziehen, ihn und seine Beweggründe zu verstehen und sich als Gestalter bewusst mit diesen Rahmenbedingungen auseinander zu setzen.
Falls wir das nicht tun, verpassen wir die Chance auf neuzeitliche größere oder kleinere Mammuts in Form von sozialen Konflikten oder Umweltkatastrophen zu reagieren. Wie das enden kann, ist in jedem dystopischen Roman nachzulesen.
Die Gastautorinnen: Nina Martin ist Verhaltenswissenschaftlerin und Autorin, Svenja Bickert-Appleby ist Service Designerin und Gründer des Social Innovation Labs “Future Flux“
Beitragsbild CCO Thomas Quine Wikicommons