Die Illustration zeigt ein Steak im Himmel schwebend, mit Wolken links und rechts und darüber ein Auge an einem Mikroskop. Illustration: Philipp Beck
Illustration: Philipp Beck

Wie Fleisch ohne tote Tiere aussieht

Überfüllte Mastställe ade! Forscher:innen kultivieren Fleisch längst im Bioreaktor. Dass wir es im Supermarkt kaufen können, ist nur noch eine Frage von Jahren.

»Eine Apfelschorle und ein Steak bitte.«

»Ja, gerne. Konventionelles Steak aus Tieren oder kultiviertes Fleisch?«

Die Wahl zwischen einem Produkt aus totem Tier oder kultivierten Zellen klingt nach ferner Zukunft – könnte aber schon in wenigen Jahren Realität sein. Singapur genehmigte schon 2020 den Verkauf von kultiviertem Hühnerfleisch. 2022 zog die USA nach und gab grünes Licht für ein zellbasiertes Produkt. Marktforscher:innen gehen davon aus, dass kultiviertes Fleisch global bis 2040 sogar einen Marktanteil von 35 Prozent einnehmen wird.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Warum einem ganzen Huhn das Leben nehmen, nur um sein Fleisch zu essen? Wie absurd das ist, hat Winston Churchill schon vor fast 100 Jahren erkannt. Er träumte von einem Nährmedium, in dem die essbaren Teile eines Tieres gezüchtet werden. Sein Traum ist nun Realität: Mehr als 150 Unternehmen weltweit entwickeln Methoden, um aus Zellen ganze Steaks, Burgerpatties oder Würste herzustellen. Hotspots dafür sind die USA, Israel und die Niederlande. Auch in Deutschland experimentiert eine Handvoll Start-ups mit kultiviertem Fleisch.

Was ist kultiviertes Fleisch überhaupt?

Dass Europäer:innen noch kein kultiviertes Fleisch auf den Grill legen, liegt aber nicht nur an der fehlenden Zulassung. Bisher ist die Produktion noch viel zu teuer. Zudem gibt es noch einige Stellschrauben in der Produktion, an denen die Expert:innen tüfteln. Grob unterteilt besteht die Herstellung aus vier Schritten.

Zuerst werden einem Tier, das noch lebt oder gerade erst geschlachtet wurde, Zellen entnommen. Das geschieht per Biopsie und ist schmerzfrei. Diese Zellen werden im zweiten Schritt vermehrt mit Hilfe eines Mediums, das verschiedene Nährstoffe enthält. Dabei brauchen die Zellen einen Träger, also einen Untergrund, auf dem sie sich vermehren.

In Schritt drei entsteht aus den unzähligen Zellen Muskelgewebe. Das geschieht in einem Bioreaktor – also einem großen Behälter, der den Zellen ideale Temperaturen und pH-Wert bietet. Im vierten Schritt wird das Gewebe verarbeitet und mit Komponenten wie Fett- und Bindegewebe gemischt, sodass zum Beispiel eine Wurst entsteht. Unklar ist dabei: Welche Art von Stammzellen eignet sich am besten? Welches Nährmedium ist ideal? Wie sieht der perfekte Bioreaktor aus? Die Forschung dazu läuft.

Würstchen leicht, Steak schwierig

Was bereits gut gelingt: verarbeitete Produkte wie Würstchen oder Burgerpatties zu produzieren. Schwieriger ist die Produktion von beispielsweise Steaks. Das liegt daran, dass Fleisch aus Muskeln, Fett und Bindegewebe besteht. Weil diese Bestandteile unterschiedliche Nährmedien brauchen, lässt sich in einem Bioreaktor immer nur ein Zelltyp herstellen.

Für ein Würstchen werden diese unterschiedlichen Zelltypen separat produziert und anschließend vermengt. Für ein Steak funktioniert das nicht. 2021 gelang es jedoch erstmals ein Steak-ähnliches Gewebe herzustellen – ein Durchbruch für die zelluläre Landwirtschaft. Allerdings ist der Prozess mit erheblichem Aufwand verbunden.

Wie nachhaltig ist das alles?

Der Prozess schluckt nicht nur viel Zeit und Geld, sondern kostet auch sehr viel Energie. Also: Wie nachhaltig ist kultiviertes Fleisch wirklich? Für die Antwort gibt es verschiedene Parameter: Verbrauch von Fläche, Wasser und Energie sowie die Emission von Treibhausgasen. Klar beantworten lässt sich die Frage derzeit aus mehreren Gründen jedoch nicht. Einerseits ist die Datenlage für zelluläre Landwirtschaft dünn und schwankt je nach Hersteller. Andererseits stecken die Verfahren noch in der Entwicklung und könnten noch deutlich effizienter werden, sobald große Mengen an kultiviertem Fleisch produziert werden.

Antworten mit mehr Aussagekraft gibt es zu gesundheitlichen Vorteilen der zellulären Produkte. Durch das verwendete Nährmedium lassen sich die Inhaltsstoffe gut kontrollieren. So wäre es beispielsweise im Rahmen einer personalisierten Ernährung auch denkbar, den Produkten über das Medium Nährstoffe wie Vitamin B12, Vitamin D oder Omega-3-Fettsäuren zuzufügen. Ein weiterer Vorteil der zellulären Landwirtschaft: Sie kommt weitestgehend ohne Antibiotika aus.

Was ändert sich an der Tierhaltung?

Am offensichtlichsten ist der Vorteil von kultiviertem Fleisch für das Tierwohl. Werden Tieren nur noch wenige Stammzellen entnommen, können sie weiterleben, ohne für den Fleischkonsum zu sterben. Die Haltung von Tieren zur Lebensmittelproduktion könnte damit überflüssig werden. Damit entfiele die Schlachtung von jährlich 700 Millionen ­Hühnern, 50 Millionen Schweinen und 3 Millionen Rindern allein in Deutschland.

Ob sich jedoch die Beziehung zwischen Mensch und Tier durch kultiviertes Fleisch verbessern lässt, bezweifeln Kritiker:innen. Die Methode könnte womöglich zu einer weiteren Instrumentalisierung von Tieren beitragen. Denkbar ist, dass jeder Mensch sein Lieblingstier hält, aus dessen Zellen individuelle Fleischprodukte in Heimproduktion entstehen. Absurd, aber theoretisch möglich: Es könnten auch Stammzellen aus Menschen entnommen werden, um daraus Lebensmittel herzustellen. Zum Geburtstag gäbe es dann eine Wurst aus Papas Oberschenkel oder ein Steak aus der Hüfte von Billie Eilish. Es entstünde eine Art gewaltfreier Kannibalismus, so die Befürchtung.

Wann kann ich es kaufen?

Realistischer hingegen ist, dass kultiviertes Fleisch aus tierischen Zellen in wenigen Jahren in den Supermarktregalen liegt. Expert:innen sind sich sicher, dass die Produkte auf den Markt kommen. Die Frage ist nur: Wann? Bevor es so weit ist, muss die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Zulassung erteilen. Dieser Prozess dauert etwa drei Jahre – hat aber noch gar nicht begonnen, denn bisher hat niemand in Europa eine solche Zulassung beantragt.

Unklar ist auch, wie die Produkte heißen werden. Im Umlauf sind Bezeichnungen wie »Künstliches Fleisch«, »In-Vitro-Fleisch«, »Laborfleisch«, »Sauberes Fleisch« oder »Kultiviertes Fleisch«. Nach der Bezeichnung wird sich die Bereitschaft der Verbraucher:innen richten, die ungewohnte Art von Würstchen und Steaks zu kaufen. »Sauberes Fleisch« rangiert bei Stakeholder:innen unter den Top-Favoriten, »Laborfleisch« oder »In-Vitro-Fleisch« hingegen will kaum jemand essen.

Deutschlandweit würden bisher nur 17 Prozent der Menschen überhaupt kultiviertes Fleisch kaufen, aber mehr als die Hälfte würde es immerhin probieren. Neben rechtlichen und technischen Aspekten sind also auch aus Konsum-psychologischer Sicht noch Fragen zur Akzeptanz des neuen Lebensmittels offen. Forschung und Entwicklung laufen unter Hochdruck, denn für alle, die auf Steak nicht verzichten wollen, ist klar: Fleisch zu essen, ohne dafür ein Tier zu töten, klingt nach einer wirklich guten Aussicht für die Zukunft.

Text: Julia Schächtele & Florian Fiebelkorn

Dr. Florian Fiebelkorn ist Vertretungsprofessor der Biologiedidaktik an der Universität Osnabrück. Ziel seiner Forschung ist, Menschen zu nachhaltigen Verhaltensweisen anzuregen – vor allem im Bereich Ernährung. Dafür untersucht er die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch und Insekten als neuartige Lebensmittel.

Illustration: Philipp Beck

Media

„Fleisch aus dem Labor? Was dann“: Der “mal angenommen” Podcast der tagesschau über kultiviertes Fleisch, Klima und Tierleid. (Zum Podcast)

Quellen

„Zukunft des Fleischmarkt“: Kearney Studie zur Zukunft des Fleischmarkts bis 2040. (Zur Studie)

„Fleisch(r)evolution“: Fiebelkorn, F.; J. Dupont; L. Szczepanski; N. Filko (2022). Fleisch(r)evolution, (52) 3. (Zum Artikel)

„State of the Industry Report“: Good Food Institute (2022). Cultivated Meat an seafood (Zum Report)

„Alternative Proteine in Deutschland“: Good Food Institute (2023). Report zu aktuellen Entwicklungen rund um nachhaltige Proteinquellen auf Basis von Pflanzen, Zellkultivierung und Fermentation. (Zum Report)

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