Die vegane Schule

Wie müsste eine Schule aussehen, für die das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht? Welche Schritte müssten eingeleitet werden um das Thema seriös anzugehen? Die GIS in Chennai hat einige Antworten auf diese Fragen gefunden und sie in die Praxis umgesetzt.

“Wenn wir wirklich die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt reduzieren möchten, ist das einfachste und billigste, was jeder von uns tun kann, weniger Fleisch zu essen.”

Dieser Satz findet sich auf der Homepage der German International School (GIS) in Chennai im Süden Indiens. Bereits seit einem Jahr folgt die Schule diesem Gedanken. Sie geht sogar noch darüber hinaus und hat auf eine rein vegane Verpflegung umgestellt.

Die Gründe sind vielfältig und dennoch einleuchtend. Weiter heißt es:

“Wenn alle Punkte zusammengenommen werden, ergibt es keinen Sinn mehr, Fleisch in der Schule anzubieten. Der einzige Weg, um eine wirklich grüne und mitfühlende Schulgemeinschaft zu sein, ist, vegan zu werden.“

Am Anfang waren die Tiere

Thomas Pallushek hat die Schule mit gegründet und ist nun als Berater im Beirat der Schule tätig. Er hat dazu beigetragen, dass die Einrichtung heute weltweit viel Beachtung findet.

Die GIS ist allerdings nicht die erste Schule weltweit, die ein veganes Menü anbietet. Die MUSE School in Calabasas (Kalifornien, USA) hat dies bereits 2014 getan und die St. Christopher School (Großbritannien) wurde im Jahre 1905 mit einer vegetarischen Ernährung gegründet. Was die Deutsche Internationale Schule jedoch von den anderen Unterscheidet ist, dass der Respekt vor den Tieren und der Umwelt über die Küche und Mensa der Schule hinausgeht und alle Bereiche des Schulalltags betrifft.

Als Schulgemeinschaft bemühen sie sich darum ihren ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten. Schritte zur Förderung der Nachhaltigkeit sind zum Beispiel Kunstprojekte mithilfe von Upcycling und die Verankerung von Themen im Unterricht wie Energie, Wassernutzung, Abfallentsorgung und Biodiversität. Eine wichtige Komponente fehlte allerdings noch: „Um unsere Nachhaltigkeitsstrategie im Schulbetrieb wirklich umzusetzen, haben wir die pflanzliche Ernährung als Lösung gefunden“, heißt es seitens der Schule.

All diese Tiere gehören zur Familie, zum Stamm, und wir haben immer Neuankömmlinge.Thomas Pallushek

Was wäre eine vegane Schule ohne Tiere, oder andersherum? Ausschlaggebend für den Richtungswechsel war unter anderem ein großes Herz für Tiere. Es begann vor etwa 2 Jahren am örtlichen Strand mit schutzlosen Straßenhunden, die kurzerhand von der Schule aufgenommen und gepflegt wurden. Mittlerweile werden regelmäßig hilfsbedürftige Hunde angefüttert und an Menschen vermittelt.

Doch es blieb nicht nur bei Hunden, auf dem Gelände der Schule leben zur Zeit 4 Hunde, eine Kuh, zwei Ziegen, eine Katze, zwei Hasen, zwei Enten und 35 Hühner, die meisten davon vor Leid bewahrt und gerettet. All diese Tiere gehören zur Familie, zum Stamm, wie Thomas Pallushek sagt. Immer mal wieder gesellen sich für eine kurze Zeit weitere Freunde hinzu, wie zum Beispiel aus dem Nest gefallene Raben, die gemeinsam mit den Schülern aufgepäppelt und wieder in die Freiheit entlassen werden.

Hinter jedem Tier steckt auch eine Geschichte, so wurde die Kuh, die Mr. Jim Bob getauft wurde, als Waisenkind im Alter von sechs Monaten aus dem Betrieb eines Viehzüchters gerettet. Den Umgang mit Tieren und das Erkennen von unterschiedlichsten Persönlichkeiten der Tiere lernt man hier am lebenden Beispiel. Es ist ein Anliegen der Schule, den Kindern Mitgefühl und Empathie schon früh mit auf ihren Weg zu geben.

Die gemeinschaftliche Fürsorge für hilfsbedürftige Tiere war ein erster Schritt in Richtung einer Schule, in der keine tierischen Produkte angeboten werden. Sebastian Joy, Geschäftsführer von ProVeg (ehemals VEBU – Vegetarierbund Deutschland e.V.), begrüßt den eingeschlagenen Weg: „Die pflanzliche Lebensweise gewinnt weltweit an Bedeutung. Wir begrüßen es, dass eine internationale Schule den pflanzlichen Weg geht und den Kindern die Zusammenhänge zwischen unserer Ernährung und weltweit dringenden Problemen deutlich macht.

Das ist ein tolles Projekt, von dem auch noch viele Schulen in Deutschland von ihren Kollegen im Ausland lernen können.“ Vor allem im Bildungsbereich sei es wichtig, die Themen rund um eine pflanzliche Lebensweise zu integrieren, so Joy. Eine pflanzliche Lebensweise umfasst nicht nur die Ernährung, sondern alle Bereiche des alltäglichen Lebens wie Kleidung und Kosmetik. Abgebildet sind darin keineswegs nur vegan lebende Menschen, sondern auch Vegetarier und Menschen die ihren Fleischkonsum reduzieren möchten.

Wir testen unser Essen

Wir haben mit 35 ausgewiesenen Gerichten die Eltern begeistern können und zeigen können, dass wir mit einer veganen Ernährung die Kinder nachhaltig ernähren können.Thomas Pallushek

Schüler und Eltern von der Sache zu überzeugen war ein leichtes. Anfangs fiel den Schülern nicht mal auf, dass das Fleisch durch Fleischalternativen ersetzt wurde, erzählt Thomas Pallushek. In einem weiteren Schritt konnten auch die Eltern begeistert werden. Mit der Aktion „Wir testen unser Essen” konnten sie 35 verschiedene Gerichte testen und sich von der Ausgewogenheit und Nachhaltigkeit der Mahlzeiten überzeugen.

Wert gelegt wird unter anderem auf Saisonales, regionale Zutaten und eine gesunde Vielfalt. Als Beispiel nennt Thomas Pallushek das Kochen mit wenig belastenden Ölen, wie etwa Kokosöl. Schließlich bekommen die Schüler drei Mahlzeiten am Tag: Frühstück, Mittagessen und einen Snack.

Zusammengearbeitet hat die Schule dabei mit einem Experten, der über die Nährwerte aufklärte und ebenfalls im Beirat der Schule vertreten ist.

Vom Brot zum Eigenanbau

Es geht nicht nur allein um eine pflanzliche Verpflegung, ebenso wichtig sind deren Zutaten.

Um die Kontrolle über die Inhaltsstoffe zu behalten, wird viel Wert auf die eigenständige Herstellung der Nahrungsmittel gelegt. Schon seit Jahren kommt das Brot aus der hauseigenen Bäckerei und auch die Gewürze werden selbst produziert, ganz ohne chemische Zusatz- und Farbstoffe.

Etwas ambitionierter klingt dagegen der nächste Schritt, in dem Gemüse auf einem großen Campus für den täglichen Verzehr angebaut werden soll. Neben einem Bewusstsein für die Herkunft und Produktion ihrer täglichen Nahrungsmittel erlangen die Schüler durch das gemeinsame Verarbeiten der Produkte und Zubereiten der Mahlzeiten eine noch tiefere Verbindung zu diesen. Oder wie es Thomas Pallushek verdeutlicht, eine Verbindung zum holistischen Ansatz.

Unsere Kinder kochen auch selbst, und das ist ein Punkt, wo die Kinder eine bessere Verbindung, eine Verbindung zum holistischen Ansatz bekommen.Thomas Pallushek

Über Grenzen hinaus

Eine wichtige Komponente in diesem Ansatz ist der Bestandteil der Hintergründe und Zusammenhänge einer veganen Lebensweise im projektorientierten Unterricht. Immer wiederkehrende Themen sind zum Beispiel die Fleischindustrie und Umweltauswirkungen wie Entwaldung. Diese Themen sind fest verankert im Repertoire der Lehrkräfte und Thomas Pallushek weiß, dass die Schüler sich der Zusammenhänge und Auswirkungen dank des Unterrichts bewusst sind. Diese Potenzialerweiterung der Kinder, wie Thomas Pallushek es nennt, hat auch viel mit den Gegebenheiten der Strukturen der Schule zu tun. Auf einen Lehrer kommen 8 Schüler, beste Voraussetzungen für individuelle Betreuung.

Traditionell veggie

Es sind allerdings nicht nur die Strukturen der Schule, die diesen Weg ermöglichen. Es ist vor allem auch die Kultur des Landes. Nach Angaben der FAO aus dem Jahr 2013 ist Indien das Land mit dem zweitniedrigsten Fleischkonsum weltweit. Es leben dort mehr Vegetarier als in allen anderen Ländern zusammengerechnet. Traditionell werden in der Küche im Süden des Landes sehr wenig tierische Produkte verwendet, sodass seit vielen Generationen, vor allem im ländlichen Raum, die pflanzliche Ernährung im Vordergrund steht. Davon profitiert auch die GIS. Diese kulturelle und religiöse Einstellung bietet eine gute Umgebung, um Projekte wie eine vegane Schule zu etablieren. Sie vereinfacht den Zugang zu der Thematik und erhöht die Akzeptanz einer veganen Lebensweise in der Gesellschaft.

Das ist auch ein Thema für die Zukunft, das wir nicht unangefasst lassen wollen, weil es da auch wieder um awareness geht und wir da schon eine Menge Erfahrung gesammelt haben.Thomas Pallushek

Über Grenzen hinaus

Dank der erhöhten medialen Aufmerksamkeit möchte die German International School in Chennai ihre Botschaften in die Welt hinaustragen. Mehrere Kampagnen, die beispielsweise über YouTube laufen, sollen das Bewusstsein für eine nachhaltigere Lebensweise vergrößern und die emotionale, spirituelle und physische Basis eines jeden Ansprechen sowie über Umweltaspekte aufklären. Wichtig ist Thomas Pallushek dabei, dass es gelingt, Zusammenhänge zu erkennen und herzustellen. So wie es ihm selbst vor zwei Jahren erging, als er noch nicht viel über die Thematik wusste und mit dem aufkommenden Bewusstsein seine Lebensweise radikal hin zu einer veganen umstellte.

Mit seiner persönlichen Geschichte sowie der der ganzen Institution möchte die Schule die Erfahrungen auch über Landesgrenzen hinaus teilen. So bestehen bereits Partnerschaften mit der Ludwig-Maximilians-Universität in München und der Goethe-Universität in München für einen Lehrer- und Schüleraustausch. In Deutschland ist ProVeg (ehemals VEBU – Vegetarierbund Deutschland e.V.) mit der Kampagne “Aktion Pflanzenpower” bereits an einigen Schulen landesweit aktiv und organisiert Aktionstage, um die Kinder für gesundes und nachhaltiges Essen begeistern.

So bleibt nun zu hoffen und zu wünschen, dass viele weitere Schulen in Indien, Deutschland und der ganzen Welt die vegane Lebensweise in ihren Schulalltag integrieren. Schulen haben ein enormes Potential, den Kindern ein Bewusstsein für die Situation unseres Planeten und die nötigen Skills, die zur Lösung der globalen Probleme beitragen, mit auf ihren Weg zu geben. Wir sind schon dabei, die Welt ein bisschen besser zu machen, aber ohne unsere Kinder werden wir es sicher nicht schaffen.


Nico Nettelmann studierte Geographie und Umweltmanagement. Nachdem er ein Auslandsjahr in Indien verbrachte, widmet er sich nun privat sowie beruflich dem Thema der pflanzlichen Lebensweisen.

Bild: Privat

 

Beitragsbild: Privat, Thomas Pallushek mit weiteren GIS-Mitarbeiterinnen vor der Schule

Newsletter