Oft gilt in der gesellschaftlichen Debatte das Klischee, es gehe um Jung gegen Alt. Gerade dem Rechtspopulismus verfallen Rentner*innen angeblich am schnellsten. Nicht so die »Omas gegen Rechts«.
Eine Welle von Strickmützen schwappt über den Heldenplatz in Wien. Hier demonstrierten tausende Menschen wöchentlich gegen die rechte Koalition Österreichs, bis sie aufgrund des Ibiza-Skandals 2019 auseinanderbrach. Aus dem Mützenmeer ragen Schilder empor. Auf weißem Untergrund steht da in dicken schwarzen Lettern: »Omas gegen Rechts«. Die Gruppe singt »Omas, Omas, uns braucht das ganze Land, wir kämpfen für die Kinder und machen Widerstand.« Mir ist klar: Die muss ich treffen. Unser Treffpunkt ist ein Café mit dem passendem Namen »Tachles«. Nach und nach trudeln immer mehr ältere Damen ein – heute ist ihr »Jour fixe«. Sie setzen sich an die runden Tische, bestellen Sprudelwasser oder Rotwein und tauschen sich aus. Eine gute Freundin ist gestorben, die Zähne schmerzen und die »rechts-rechte Regierung« muss weg!
Die Ausdauer der pensionierten Frauen, die jede Woche, manchmal mehrmals, auf der Straße ihren Kampf austragen, beeindruckt mich. Ich frage Scholl, ob sie sich nach den vielen Jahren im Medienbusiness nicht eher einen ruhigen Spieleabend verdient hätte, statt im Regen zu frieren. Sie muss lachen: »Ich hab’ noch nie gern Karten gespielt. Ich bin nicht bereit, zu Hause auf den Tod zu warten. Solange ich lebe, interessiere ich mich für das, was passiert, und werde auch meine Meinung dazu sagen.«
Für die Menschenrechte!
Schon in den 60er Jahren ging Scholl für linke Positionen auf die Straße. »Für mich hat Linkssein immer bedeutet, vor den Menschen Respekt zu haben, die Menschenrechte zu achten und eine Freiheit zu leben, die da aufhört, wo sie die Freiheit anderer beeinträchtigt.« Heute seien ihr die Begriffe links und rechts allerdings abhanden gekommen. Sie müssten eventuell neu definiert werden, überlegt die Aktivistin: »Ich bin Humanistin und ich möchte eine lebenswerte, tolerante und freie Gesellschaft haben. Das wünsche ich mir und das kann ich nicht über links oder rechts definieren.«
Nicht nur das Gefühl, was links ist, hat sich seit den 68ern verändert. »Die Demos sind ein bisschen chaotischer geworden. Es ist viel lauter! Ich muss mir immer Ohrstöpsel mitnehmen«, beklagt sich Scholl. Sie muss schmunzeln: »Es ist aber wahnsinnig schön zu sehen, dass viele junge Leute kommen und zu dieser nervigen Musik tanzen. Das sind auch in den vergangenen Jahren immer mehr geworden. Das macht mir Hoffnung!«
Die anwesenden Omas gegen Rechts wirken an diesem Abend entschlossen. Die Familie und Zukunft der Enkel*innen scheinen für sie die entscheidende Motivation zu sein. Susanne Scholl zwinkert mir noch zu: »Ich geh so lange demonstrieren, bis diese Regierung erst einmal weg ist. Und dann schau’n wir weiter.«
Handeln
- Omas gegen Rechts, Deutschland, Übersichtskarte & Vernetzung aller Regionalgruppen in Deutschland
- Omas gegen Rechts, Österreich, Ursprung der Oma-Bewegung
Foto: Dulcey Lima