Es haftet ihm etwas Anrüchiges an, dem Glück. Erst recht dem selbstbestimmten. Menschen mit der Angst vor Freude („Fear of Happiness“) befürchten sogar, dass zu viel Glück ernsthaft schadet. Es sei flüchtig und provoziere schlechte Zeiten.
Ein anhaltendes Hochgefühl beim Gegenüber ist deshalb vielen Leuten nicht geheuer. Die oft unbewusste Unterstellung: Freiheit, Reichtum oder Entfaltung bauen zwangsläufig auf die Nachteile anderer. Missgünstig wird Freude zu egoistischem Übermut umdeklariert.
Doch der mutmaßliche Verbündete von Pech und Selbstgefälligkeit mausert sich. Nachdem Lifestyle-Formate das Glücksstreben aus der spirituellen Nische holten, berichten nun sogar die Psychologiespalten in Apothekermagazinen hinter vorgehaltener Hand vom erlernbaren Glück. Schritt für Schritt avanciert das Glück vom Recht für alle zum Zukunftsauftrag. Und der beginnt bekanntlich in den Schulen.
Bereits mehr als 100 Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben seit 2007 das „Schulfach Glück“ eingeführt. Initiiert hat es der Oberstudiendirektor Ernst Fritz-Schubert. Der ehemalige Direktor der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg hatte lange beobachtet, wie die Institution Schule zu einem Ort des Unbehagens für Schüler*innen und Lehrer*innen geworden war. Es fehlte ihm dort an Freude und Vergnügen und an echter Vorbereitung aufs Leben.
Fritz-Schubert begann, gemeinsam mit einem eigens gegründeten Kompetenzteam aus den Bereichen der Psychologie, Neurowissenschaft und Kunst, das Klima an seiner Schule durch eine neue Haltung zum Lernen und Leben nachhaltig zu verbessern. Er integrierte den Glücksunterricht und entwickelte eine Weiterbildung für zukünftige Glückslehrer*innen. Schon ein Jahr nach der Einführung wurde das Projekt durch die Bundesinitiative „Deutschland. Land der Ideen“ ausgezeichnet.

Damit das Glück an eine Schule kommt, können sich interessierte Pädagogen*innen über zwölf Monate hinweg nach dem Modell des inzwischen gegründeten Fritz-Schubert-Instituts in Lektionen wie „Freude am Leben 1 und 2“ oder „Abenteuer Alltag“ zum*r Glückslehrer*innen ausbilden lassen. Das Neuerlernte nehmen sie dann mit zurück in ihre Berufe und sind gerüstet, die Kunst des Glücklichseins ein Jahr lang wöchentlich in einer Klasse zu behandeln.
In den Lehrplänen steht das „Schulfach Glück“ noch nicht und ist auch nicht erwünscht. In Berlin sei der Bedarf durch eine zweistündige Behandlung im Ethikunterricht gedeckt, lässt die Senatsverwaltung verkünden. Ausdrückliche Skeptiker der Glücksbewegung wie der Psychotherapeut Andreas Knuf, Autor des Achtsamkeitsratgebers „Ruhe, ihr Quälgeister“, dürften darüber froh sein, denn sie halten die Bemühungen um das Glück sogar für den direktesten Weg in die Misere. Die hohen Erwartungen, die plötzlich an das Leben gestellt würden, und die Verdrängung negativer Empfindungen führten zu Stress und Übersensibiliserung. Vor allem emotional instabile Schüler würden vom Glücksunterricht unglücklich. Ist das erlernbare Glück also doch eine Sackgasse und wir müssen zurück auf Start?
Mitnichten, meint Ursula Cyriax (62). Abgehobene Heilsversprechungen macht das „Schulfach Glück“ nämlich nicht. Sie betont, ein glückliches Leben sei kein Ziel, sondern ein oft beschwerlicher Weg.
Vor zwei Jahren beschloss die Künstlerin, ihrem 1999 gegründeten Berliner „Atelier MC“ unter der Überschrift „Happiness by design“ eine neue Richtung zu geben. Inspiriert von Prof. Paul Dolan und dem Bericht des Britischen Botschafters bei der Queen’s Lecture der TU Berlin 2013 über die Bestrebungen Großbritanniens, Weltführer in „Well Being“ zu werden, absolvierte sie die Ausbildung zur Glückslehrerin als ambitionierte Freiberuflerin. Seither verknüpft sie Kunst und Design mit Vorträgen und Unterricht zum Thema Glück als Lebenskunst. Heute ist sie Berlins erste Glückslehrerin.
Nach eigenen Aussagen verhilft der Glücksunterricht seinen Schülern zu mehr Lebenskompetenz und Lebensfreude, Lösungs- und Ressourcenorientierung, das heißt zu mehr Bewusstsein über die eigenen Fähigkeiten, sowie zu einer starken Persönlichkeit. Doch weder beschert es andauernde Glückseligkeit, noch kann es vor schlechten Zeiten bewahren. „Aber darauf kommt es auch nicht an, wenn man weiß, wie man mit ihnen umgehen kann“, sagt Ursula Cyriax.
In der Übung „Vom Flow zur Stärken-Karte“ zum Beispiel berichten sich die Teilnehmer*innen gegenseitig von einer wahren Begebenheit ihres Lebens, die ihnen das Gefühl gab, etwas Tolles geschafft zu haben. Anschließend filtert das Gegenüber drei Stärken des Erzählenden heraus und überreichen sie ihm auf seiner persönlichen „Stärken-Karte“. Das Bewusstsein über die eigenen Fähigkeiten soll in Krisenzeiten helfen.
Der israelisch-US-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman hat für diese Erkenntnis 2002 indirekt sogar den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Sie lässt sich aus seiner „Prospect Theory“ („Neue Erwartungstheorie“) über die Widerlegung der Annahme des Menschen als Homo oeconomicus ableiten. Demnach fällt der Mensch nicht stets, wie früher angenommen, rationale Entscheidungen. Tatsächlich wird er durch kognitive Verzerrungen, also durch erlernt fehlerhafte Neigungen der Wahrnehmung, beeinflusst.
Der Entschluss zu einer potentiell glückbringenden Handlung basiert also nie auf reiner Vernunft, sondern auch auf für den Menschen typischen, aber irrationalen Denkweisen. Dazu zählt die unverhältnismäßig intensive Beschäftigung mit kleinen Entscheidungen gegenüber großen und dass uns Verluste mehr motivieren als Gewinne. Wir sind bereit, ein höheres Risiko für den Erhalt als für die Änderung des Status Quo einzugehen. Demnach neigen wir auch dazu, eine gegenwärtig weniger zufriedenstellende Lebenslage der Chance auf mehr Freude durch einen Wandel vorzuziehen.
Vor allem aber sind wir laut Kahneman Meister der Fehleinschätzung. Wir bewerten den Einfluss zukünftiger Ereignisse auf unser Leben zu hoch, egal ob positiv oder negativ. Doch weder Trauer noch Euphorie sind Dauerzustände. Sie vergehen. Einzig die häufige Wiederholung eines Zustandes und unsere subjektive Bewertung der Erfahrung leiten unser Leben insgesamt in die eine oder andere Richtung. Wir selbst können also viel tun, um uns öfter mal besser zu fühlen. Der Glücksunterricht will das zeigen.
Obwohl Ursula Cyriax auch erwachsene Lernende in großen Firmen oder Selbsthilfegruppen über ihre Gestaltungsmacht in Sachen Glück unterrichtet, liegt ihr die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen besonders am Herzen. „Die Masse wird in unserer Gesellschaft nicht glücklich gemacht. Der Mensch soll funktionieren. Mit dieser Jahrhunderte alten Tradition müssen wir brechen und neue Wege gehen. Am besten schon in den Kindertagesstätten.“
Um noch einmal den Unterschied zwischen der Vorstellung vom ständigen Glücksgefühl oder gar der Gunst des Zufalls und der inneren Haltung eines frohen Menschen zu verdeutlichen, zitiert Cyriax ein irisches Sprichwort über die Liebe: „Love doesn’t sit there like a stone, it has to be made, like bread; re-made everyday, made new.“* So wäre es auch mit dem Glück.
Das Glück im Titel der Unterrichtsreihe steht also stellvertretend für Vieles, das sich anders nur schwer abkürzen lässt. Lebensfreude, Liebe, Menschsein. Die Vielschichtigkeit des Glücksbegriffs sollte nicht zu Wortklauberei verkommen. Vielleicht ist Glück das falsche Wort, der Weg aber der Richtige.
* „Liebe wartet nicht wie ein Stein. Sie muss geformt werden, wie Brot, jeden Tag aufs Neue.“
![]() |
Der Artikel erschien in unserer gedruckten Ausgabe zum Thema Empathie. Diese kannst du dir hier bestellen. |
- Der Glücksunterricht kommt auch an deine Schule, wenn eine*r der Lehrer*innen die Fortbildung bei einem Lehrbeauftragten des Fritz-Schubert-Instituts besucht oder die Schulleitung eine*n externe*n Glückslehrer*in engagiert.
- Ateilier-mc
- Firtz-Schubert-Institut – Fortbildungen
- Glücksstifter
- Hier macht Glück bereits Schule: Schulen mit ständigem Glücksunterricht
Fotos: André Groth