Wir leben heute in einer offeneren, vernetzten Welt. Aber die Schlagbäume wurden in erster Linie deswegen abgebaut wurden, weil es zu wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen kam.
Die EU begann als gemeinsamer Markt
Ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Europäischen Union offenbart ökonomische Hintergründe der politischen Einigung. Die Anfang der Fünfziger Jahre gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl war ein gemeinsamer Markt für die in ihrem Namen benannten Güter. Keine Zollschranken sollten den Handel mit den beiden wichtigen Industrierohstoffen in ihren sechs Mitgliedsländern behindern. Die EGKS kam aber unter dem Druck und mit Unterstützung der Vereinigten Staaten zustande. Deren Motive waren geostrategischer und wirtschaftlicher Art:
Zwar war der US-Dollar die harte Leitwährung des Systems, er sollte aber nicht die einzige sein. Die Amerikaner wünschten sich weitere stabile Währungen, auf die das Kapital ausweichen konnte, wenn sich die Vereinigten Staaten in einem wirtschaftlichen Abschwung befanden. Die Wahl fiel auf den Japanischen Yen und die Deutsche Mark.
Deutschland und Japan waren durch ihre geographische Lage als Verbündete im Kalten Krieg besonders geeignet. Zudem hatten beide eine solide industrielle Basis und eine gut ausgebildete Bevölkerung. Anstelle der von vielen geforderten Deindustrialisierung profitierte Westdeutschland in der Folge von massiven Dollarzuwendungen des sogenannten Marshallplans und kam wirtschaftlich schnell auf die Beine. Stabile Währungen benötigen eine starke Industrie, denn die produziert Waren, die eine Währung im Ausland begehrt machen. Dafür sorgte man nun.
Europäische Einigung und deutsche Exporte
Der Weg von der EGKS zur heutigen EU kannte viele Zwischenschritte. Zunächst verschwanden die Grenzen nur für industrielle Rohstoffe, aber im Laufe der Jahre wurden immer mehr Handelsschranken aufgehoben. Auch Arbeitnehmer konnten Grenzen bald ungehindert überqueren, um im EU-Ausland zu arbeiten.
Die Bundesrepublik setzt bis heute auf Wachstum und Exportüberschuss. Ohne den Absatzmarkt nebenan, wären die Erfolge der deutschen Wirtschaft seit Kriegsende nicht denkbar. In diesem zentralen, den Markt betreffenden Sinne, haben die Mitgliedsstaaten der Union sich vereinigt. Und es ist dieser gemeinsame Markt, der die Schlagbäume an den Grenzen überflüssig gemacht hat.
Grenzen zementieren die globale Ungerechtigkeit
Das Beispiel illustriert, wie die Vereinigung der Binnenmärkte dem Zusammenwachsen von Nationalstaaten vorausgehen muss. Grenzen innerhalb der EU sind zwar kaum noch spürbar, aber das spricht nicht für ein Abnehmen ihrer Bedeutung. Europa als vereinigter Wirtschaftsraum grenzt sich nach außen weiter ab.
Die Einwohner weniger entwickelter Länder haben durch die ökonomischen Konzentrationsprozesse und die von ihnen verursachten durchlässigen Grenzen weit weniger zu gewinnen, innerhalb und außerhalb Europas. Ein chinesischer Arbeiter stellt Waren her, die ohne weiteres ins reiche Ausland exportiert werden. Er selbst wird sein Land wahrscheinlich niemals verlassen können: Waren überschreiten Grenzen, für Menschen bleiben sie verschlossen. Selbst diejenigen, denen Reisefreiheit gewährt wird, etwa EU-Bürger wie Polen oder Rumänen, haben meist nicht die finanziellen Möglichkeiten, um ihre Möglichkeiten zu nutzen.
Eine globalisierte Welt braucht globale Solidarität
Die reichsten Länder können der alltäglich gewordenen Katastrophe an ihren Grenzen nur nachhaltig entgegenwirken, indem sie mit der Entwicklungspolitik ernst machen. Grenzen wurden bisher vor allem dann durchlässig, wenn es den Interessen der Reichen und Mächtigen diente. Wenn uns große Vorteile durch die Globalisierung erwachsen, müssen wir dafür sorgen, dass der Wohlstand in weniger entwickelten Ländern proportional zu ihrer Einbindung in die internationale Wirtschaft wächst.
Früher galt die Solidarität im Rahmen des Nationalstaates. Da dieser aber in wirtschaftlicher Hinsicht keine Einheit mehr darstellt, muss auch die Umverteilung Grenzen überschreiten können. Den Frieden werden wir nur erhalten können, wenn wir dafür sorgen, dass auch die Schwächsten etwas von der Globalisierung haben. Dann werden die Grenzen wirklich verschwinden.
Beitragsbild: Swedish National Heritage Board, Flickr Commons