In Zeiten von Erasmus, Discount-Airlines und weltweiter Vernetzung reisen wir mehr als je zuvor. Doch beim weltweiten Jetten entgeht uns viel zu viel. Zeit, sich zu erinnern: Nicht das Ankommen ist das Ziel.
Alle wollen reisen. Es wäre auch eine Schande, würden wir das kosmopolitische Abenteuer und das Wandern an fremde Orte, hin zu anderen Menschen, plötzlich sein lassen. Ist es doch immer noch das Wissen aus erster Hand, welches uns die Gewissheit schenkt, dass die Welt gar kein so schlechter Ort ist, wie die Nachrichten und Apokalyptiker uns weismachen wollen. Dass Menschen in anderen Ländern offener sind, sagen die meisten immer wieder. Noch wahrer ist allerdings, dass wir selbst nie offener sind, als in Abwesenheit unseres gewohnten Umfeldes.
Nicht ohne Grund hat sich das Flugzeug als Fortbewegungsmittel erster Wahl herumgesprochen. Ein Flug, der uns hunderte Kilometer weit weg in eine komplett andere Zone katapultiert, kostet oft nicht mehr als ein Essen für zwei beim etwas besseren Italiener um die Ecke. Und dann die Zeit: Der Job und allerlei andere Verpflichtungen schaffen es, dass wir uns für eine derart wichtige Tätigkeit wie das Reisen oft nur zwei oder drei Wochen im Jahr Zeit nehmen.
Die Vorstellung, gleich mehrere Tage davon im Zug zu verbringen, scheint dabei total absurd. Doch der britische Autor Dan Kieran beschrieb 2012 in seinem Buch über das langsame Reisen, die großen Vorteile der langsamen Fortbewegung. Seiner Meinung nach kann man die Dinge, an die man sich später erinnern können wird, nicht vorhersehen. Und die beste Geschwindigkeit, um diese zufälligen Erlebnisse zu ermöglichen, sei die Langsamkeit. Am besten, so Kieran, reise man eigentlich zu Fuß.
Der erhobene Zeigefinger über die enormen ökologischen Folgen der schnellen Fortbewegung hat bisher nur wenige beeindruckt: Zu groß scheinen die Vorteile der Highspeed-Reisen, zu abstrakt die Nachteile. Dabei sind letztere durchaus handfest. Man denke nur einmal an die unsäglichen Flughäfen, die Reisende zu Stunden der eintönigen Warterei inmitten von grellen Einkaufspassagen wie in einem riesigen Gefängnistrakt, verdonnern. Vom Flug ganz zu schweigen.
Es wäre nett, von unzumutbaren Sitzbedingungen zu sprechen und das Essen, das ist schlicht fürchterlich. Manchmal ist es auch überteuert und fürchterlich. Sicher, wer etwas mehr ausgibt, mag sich ein Upgrade in eine höhere Klasse leisten können. Dafür muss sie oder er aber auch mit schnöseligen Businessmenschen zusammensitzen, die glauben, sie schwelgen in luxuriösen Zuständen, nur weil sie etwas mehr Beinfreiheit haben und mit stählernem Löffel essen dürfen.
Soweit, so bekannt. Was jedoch viel schwerer wiegt, als diese Unannehmlichkeiten, ist das, was wir verpassen. „Reise – und komm nicht nur an“; Kieran bringt es auf den Punkt. In dem kleinen Satz wird klar, warum wir mit der Standard-Art zu reisen eigentlich nur scheitern können. Wir kommen einfach nur an, haben nur das Ziel vor Augen. Nicht aber den Weg. Dabei sind wir Menschen nicht so gestrickt – der Weg macht uns weise, er schenkt uns Erinnerungen und bringt uns im wahrsten Sinne des Wortes weiter.
Zu Recht kommt der selbstgedruckte Doktortitel von der University of Clownsdale nicht an das Akzeptanzlevel eines über die Jahre hart erarbeiteten Abschlusses heran. Wer könnte uns auch die Jahre des Lernens ersetzen. Für viele gelten diese Zeiten zu Recht als die schönsten im Leben, und das nächste Ziel – die Rente – scheint mit einer langen Reise verbunden zu sein.
Vielleicht sind es gerade die allseits bekannten Negativerfahrungen, die uns den Weg zum Ziel vielmehr als unerwünschte Begleiterscheinung erscheinen lassen. Dabei sind bereits die alten Griechen lieber unterwegs gewesen, als an ihrem Ziel anzukommen. Odysseus ist lieber jahrelang übers Meer gefahren, als nach Hause zu kommen.
Wer langsam reist, ist immer am Ziel
Die größten Abenteuer erleben wir auf dem Weg. Wer sich nicht zu sehr beeilt, kann dabei unglaubliche Entdeckungen machen. Eine Reise nach Istanbul entschied ich mich vor einigen Jahren mit dem Zug zu bestreiten. Doch statt ein paar Tage einfach durchzurasen, besuchte ich einfach die Hauptstadt jedes Landes auf dem Weg. Wie sonst wäre ich in dieser Zeit an solch exotische Orte wie die österreichische Hauptstadt, Belgrad, oder gar Sofia gekommen? Es war ein einzigartiges Erlebnis, und ich konnte Bekanntschaften schließen, die noch heute ein wichtiger Teil meines Lebens sind.
Gerade das macht das langsame Reisen so spannend: die Orte dazwischen. Wir reisen so oft unglaublich weit weg und kennen noch nicht einmal unsere Nachbarschaft. Dabei ist die meist weniger langweilig als wir denken, und hat oft viel mehr zu bieten als überlaufene Statuen und Museen oder langweilige Hotelanlagen im globalen Süden. Wenn der nächste Urlaub ansteht, probier es doch einfach mal aus: der Weg nach Italien mit dem Zug. Großbritannien mit dem Schiff oder das Schwarze Meer mit dem Daumen.
Wie wütend du sein wirst, wenn du erfährst, welche Orte dir Reiseunternehmen bisher unterschlagen wollten! Du wirst Dinge und Orte sehen, die Reiseunternehmen gerne vor dir verstecken wollten – weil sie dreckig sind, weil sie laut sind. Ja, weil sie echt sind. Du wirst echte Menschen treffen. Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht mit gelangweilten Touristen bestreiten, denen es eigentlich egal ist, wo sie sich gerade aufhalten, solange es billig ist und die Sonne scheint.
Und langsam wirst auch du dich wieder in einen echten Reisenden verwandeln. Ob du in Begleitung, alleine, oder mit Kindern unterwegs bist: Alle werden dich für einen Helden halten, wenn du zurück bist. Denn endlich hast einmal mehr zu erzählen als von laschen Cocktails, der vierstündigen Wartezeit auf dem Flughafen oder den überzogenen Reiserücktrittsversicherungskosten.
So gehst du vor
Hol den Globus raus oder such dir eine wundervolle Karte, und ruf die Menschen zusammen, die deine Reisebegleitung werden sollen. Sag ihnen, dass ihnen ein wahrhaftes Abenteuer bevorsteht. In aller Angesicht legst du den Zeigefinger auf euren Standort und deutest vorsichtig an, in welche Himmelsrichtung es gehen soll. Mit Sicherheit gibt es ein Nachbarland oder einen Ort auf diesem Kontinent, den ihr spannend findet. Das wird euer Ziel. Wenn du alleine reist, ist das Ganze natürlich noch viel einfacher.
Ein Blick auf die Distanz beider Orte wird dir offenbaren, was alles auf dem Weg liegt. Suche via Bus, Bahn oder Auto die schönste Route aus und plane Zwischenstopps mit Übernachtung und eigenen Erkundungen. Der Trick liegt darin, auf keinen Fall irgendwo nur kurz zu bleiben. Der Königsweg dabei ist, eine alternative Rückreiseroute zu erfinden. Denn wer wirklich reist, kommt nie wieder zurück.
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Zum Weiterlesen
transform Blog »Die unerträgliche Leichtigkeit des Daumens – Trampen«
Interview mit Dan Kieran in der ZEIT (2013)
Beitragsbild: Flickr taroona6, CC By NC