Überall in der Welt wird der Erfolg eines Landes anhand seiner Wirtschaftsleistung gemessen. Und wehe wenn sie mal nicht wächst! In Bhutan hingegen wird das Glück erfasst. Sollten wir uns davon eine Scheibe abschneiden?
Bhutan ist ein Sehnsuchtsort. Mit einem staatlichen Bio-Programm will das kleine, lange abgeschottete Land im Himalaya etwa komplett auf biologische Landwirtschaft umstellen. Statt Richtern gibt es Mediatoren und anstelle des Bruttoinlandsprodukts, dem BIP, wird in der Monarchie das »Bruttonationalglück« (BNG) gemessen. Glück spielte dort in der Politik bereits seit dem 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle und wurde schließlich 1972 vom damaligen König als höchstes Staatsziel ausgerufen.
Befragt werden die Bhutanesen unter anderem, ob sie sich psychisch wohlfühlen, Kriminalität fürchten, ihr Haus reparieren können oder sich verpflichtet fühlen, die Natur zu schützen. Die Regierung untersucht nicht nur offizielle Statistiken, etwa zu Kriminalität oder Einkommensunterschieden, sondern auch Selbsteinschätzungen. Auch die Bewahrung von Dialekten, Kunsthandwerk und traditionellen Sportarten sind politische Ziele in Bhutan. Wie herzlos dagegen wirkt doch unser wirtschaftsvernarrtes Bruttoinlandsprodukt!
Es beschreibt ausschließlich den Wert der Waren und Dienstleistungen, die in einem Land produziert oder angeboten werden. Es gilt also: Ohne Moos nichts los. Wer seiner Großmutter hilft, auf Geschwister aufpasst oder kostenfreie Konzerte organisiert, erschafft nach dieser Logik keinen Mehrwert. Einbezogen wird eine Leistung nur, wenn dabei Geld fließt. Dieser Umstand kann skurrile Auswirkungen haben: Umweltschäden oder Katastrophen lassen das BIP steigen. Schließlich gibt es dann viel zu reparieren. Zwar korreliert auch die mittlere Lebenszufriedenheit mit dem BIP — allerdings nur bis zu einem bestimmten Wohlstandsniveau. Während seit den 80ern zwar immer mehr Produkte und Dienstleistungen in Deutschland produziert und verkauft werden, bleibt die Zufriedenheit der Menschen konstant.
Was für den Glücksreport spricht
Es scheint naheliegend, sich an dem bhutanischen Glücksindex zu orientieren. Tatsächlich steht man weder mit der Kritik an der vollständigen Konzentration auf die Wirtschaftsleistung, noch mit der Idee, Menschen nach ihrem Befinden zu fragen, alleine da: Die Vereinten Nationen erarbeiteten den »Index der menschlichen Entwicklung« und veröffentlichen den World Happiness Report. Die Weltbank berücksichtigt mittlerweile soziale und ökologische Aspekte bei der Berechnung des Wohlstands, und auch die EU-Kommission suchte schon nach einer »Nachfolgerin« für das BIP.
2008 brach die jüngste große Wirtschaftskrise aus und führte bestens vor Augen, was schiefgehen kann, wenn sich alle Gesellschaften auf das Wirtschaftswachstum fokussieren. Leider wurde der Ansatz zur Lösung mithilfe einer alternativen Wohlstandsmessung in vielen politischen Kreisen als »Luxusproblem« wahrgenommen und verschwand daher erst einmal wieder in den Schubladen. Immerhin: Manche Organisationen, Staaten oder Parteien blieben dran. In Deutschland gibt es den Grünen Wohlstandsbericht der gleichfarbigen Partei. In aktivistischen und akademischen Kreisen wird das südamerikanisch-indigene Prinzip Buen Vivir, das »Gute Leben« diskutiert. Auch die European Quality of Life Survey befragt alle vier Jahre die EU-Bürger nach ihrem gesundheitlichen Wohlbefinden oder der Qualität von nachbarschaftlichem Kontakt.” Glück wird von Region zu Region und von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich definiert.”
Bhutan ist also bei weitem nicht der einzige Ort auf Erden, in dem mehr als nur das Wirtschaftswachstum vermessen wird. Das Problem: Diese Alternativ-Indikatoren kommen kaum gegen die lauten Statusmeldungen zum Wirtschaftswachstum an. Ein Grund dafür ist, dass es schlichtweg zu viele einzelne Messgrößen gibt. Der Zustand einer Gesellschaft und Umwelt kann mit derart vielen Messgrößen beschrieben werden, dass es schwerfällt, sich für einige wenige zu entscheiden. Außerdem: Wer beschäftigt sich schon gern mit einer Vielzahl von Indikatoren? In Bhutan hat man sich daher für 33 von ihnen entschieden und diese zum Glücksindex zusammengefasst.
Doch Glück wird von Region zu Region und von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich definiert. Bhutanesen, die unter den Regeln des konservativen Königreichs leiden, sind in »ihrem« Glücksindex nicht erfasst. Homosexualität ist in Bhutan illegal. Demokratische Teilhabe und Veränderungen haben es schwer, denn politische Parteien geben sich allesamt königstreu. Laut Bhutans Glücksindex sind daher, wenig überraschend, vor allem Beamte und Mönche so richtig glücklich.
Der Vorwurf der Unvollständigkeit trifft nicht nur auf Bhutans Glücksindex oder das westliche BIP zu: Kein Indikatorenset und erst Recht kein einzelner Indikator kann den Zustand einer Gesellschaft erfassen. Doch selbst wenn es rein theoretisch möglich wäre, mehr als nur die Wirtschaftsleistung zu vermessen, sondern alles Schöne, einschließlich Sommerabende und Kinderlachen: Es ist letztendlich fast egal was wir messen. Die krampfhafte Suche nach dem Immer-mehr ist einfach absurd.
Warum Messwerte so wertvoll sind
Gleichzeitig brauchen wir diese Werte, also die Indikatoren: Sie zeigen uns, was schon geschafft ist und wo Nachholbedarf liegt. Sie machen es möglich, politischen Druck aufzubauen und auf Lücken hinzuweisen. Lokale Indikatoren wie die Anzahl von Sozialwohnungen sind dabei genauso wichtig wie nationale, etwa der ökologische Fußabdruck. Obwohl ihre Zahlen kalt und neutral wirken, ist die Definition von Indikatoren hochpolitisch. Ebenso hochpolitisch wie es ist, familiäre Pflegearbeit aus dem BIP herauszudefinieren.
Wem Bhutans Bruttonationalglück genauso abstrakt erscheint wie die Erfassung unserer nationalen Wirtschaftsleistung, der kann sich ja eigene Wohlstandsindikatoren aufstellen. Wer abseits der großen Wohlstandsvermessungen das eigene Lebensglück einschätzt und dabei bemerkt, dass es mit guten Büchern und Schlaf steigt, sollte mal die Nickerchen und ausgelesenen Bücher zählen. Es muss nicht immer mehr sein, es muss nicht immer alles wachsen. Es geht darum, die selbstgesteckten Ziele nicht zu vergessen. Und dafür braucht es weder BIP noch Bruttonationalglück.
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»Das Bruttoinlandsprodukt ist oft kritisiert, aber untot«
Artikel im transform Onlinemagazin
»Entwicklung sollte sich um Glück drehen, nicht um BIP-Wachstum«
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BNG Report, 2015
So sieht ein Glücksbericht in Bhutan von innen aus | grossnationalhappiness.com