Angesichts steigender Mieten sei das Leben in “Tiny Houses” die Zukunft. Das ist totaler Unsinn und zeigt, was uns geschieht, wenn wir alles dem Markt überlassen: Für die Ärmeren wird es eng. In Wirklichkeit haben wir alle ein Recht auf eine ordentliche Wohnung und Mini-Buden sollten nur das sein: Eine bewusste Entscheidung.
Wohnen werde Luxus, das hört man in letzter Zeit immer häufiger. Aber was soll das eigentlich bedeuten? Wird die Mietwohnung mit drei Zimmern jetzt ein Luxusgegenstand, der wie eine Yacht als überheblicher Protz gilt?
Die Realität hat diese Geschichte tatsächlich mancherorts bereits eingeholt: Schon heute gibt jeder sechste Haushalt mindestens 40 Prozent des Nettoeinkommens für die Kaltmiete aus. Dabei gilt bei Sozialwissenschaftlern die Schwelle von 30 Prozent bereits als “gefährlich”, denn es gibt ja durchaus auch noch andere Ausgaben.
Ein Rechenbeispiel: Wenn du 2400 Euro Netto verdienst und dann 40 Prozent für die Miete ausgibst, zahlst du 940 Euro für deine Wohnung. Das mag gehen. Nur ist es der Wohnung egal wie viel du verdienst. Sie kostet immer noch so viel, auch wenn du mit 1400 Euro im Monat nach Hause kommst. Ergo: Unsere Gesellschaft hat keinen Platz für Niedrigverdienende.
Wer wenig verdient, soll nicht mehr wohnen?
Doch kann etwas so essentielles wie Wohnen, also ein verdammtes Dach über dem Kopf, wirklich Luxus sein? Wohnen muss jeder. Wer schon einmal in einer Hotspot-Stadt auf Wohnungssuche war, der kennt das Gefühl der Verzweiflung vielleicht: “Was wenn ich nichts finde – wo bleibe ich denn dann?” Es dürfte klar sein, dass die Position von Wohnungssuchenden gegenüber Vermietern entsprechend schwach ausfällt.
Selbst dürftigste Buden in Randlagen können dann für Preise vermietet werden, die in keinem Verhältnis mehr zur Realität stehen. Nagut, zu einer Realität von gestern. Soviel zur unsichtbaren Hand des Marktes. Der regelt die Sache schon: Aber eben nur für diejenigen, die Wohnungen vermieten.
Die Logik des Marktes funktioniert beim Wohnen einfach nicht
Das Mantra geht seit Jahren durch alle Zeitungen, Fernsehshows und sämtliche Parteiprogramme: Wir müssen mehr bauen, am besten sozial, billig und ganz viel. Passiert ist bisher wenig.
Bekanntermaßen wird der Bau immer noch von privaten Händen erwartet. Die Länder klopfen sich stattdessen dafür auf die Schulter, seit Jahren zu sparen und Schulden abzubauen. Im Zuge dessen sind Zehntausende Wohnungen von öffentlichen in private Verwaltungen übergegangen. Und die tun natürlich, was sie tun müssen: Bei den Mieten von der Knappheit am Markt profitieren und beim Neubau wird auf wohlhabende Kundschaften gesetzt. Warum sollten sie auch etwas anderes tun? Natürlich wollen Unternehmen ihre Investitionen schnell zurück, Gewinne erwirtschaften und Mietausfallrisiken minimal halten.
Wir bewohnen Städte, sind also ein Teil der Stadt. Als Gesellschaft haben wir die Politik gewählt, damit sie uns einige der Veranwortlichkeiten abnimmt. Die Cops sorgen für Sicherheit, Müllmänner leeren die Tonne und eine Armee von Bürokraten sorgt für alle möglichen Auflagen wie Brand- und Katastrophenschutz. Das nervt alles manchmal tierisch, aber es ist irgendwie auch gut, weil wirs nicht selber machen müssen. Und auch nicht können. Genau so wie das Bauen von Häusern in der Stadt. Wer kann das schon? Ein weiterer Vorteil: Ist eine Verwaltung scheiße, können wir sie abwählen. Ein Hoch auf die Demokratie!
Das Problem kommt jetzt: Wenn nun aber ein privater Bauherr oder Vermieter uns die Wohnung zu teuer macht oder gar nicht erst reinlässt – dann sind unsere Tage als Teil der Stadt gezählt. Unternehmen hebeln so – auch wenn sie das in diesem Zusammenhang gar nicht mal beabsichtigen – die Demokratie aus.
Und hier hat die Politik Mist gebaut. Denn ihr Konzept von Privatisierung führt genau zu dem, was wir gerade erleben. Niedriges Angebot und große Nachfrage führen bekanntermaßen zu hohen Preisen. Aber ich kann zum Wohnen nicht sagen, “Neee – dann eben nicht.” Wohnen ist nun einmal keine Kaviardose, sondern Notwendigkeit.
Und hier ist eben auch eine Aufgabe des Staats, nämlich da wo der Markt nicht regeln darf, weil es sich um eine Lebensnotwendigkeit herrscht. Der Staat muss wieder Wohnungen besitzen. Er soll bauen und vermieten. Und zwar ordentlich.
Weil andere versagen, sollen wir uns verkleinern
Stattdessen wird immer öfter eine ganz besonders perfide Lösung für die ganze Misere präsentiert: sogenannte Tiny Houses, also Minihäuser oder Mini-Wohnungen. Die Idee geht auf eine Bewegung von freiheitsliebenden Konsumverzichtlern aus US-Amerika zurück. Deren Logik: Verkleinere deinen Besitz, dann brauchst du wenig Platz und bist glücklich.
Jetzt soll daraus Mainstream werden. Familien, die auf 50 Quadratmeter wohnen. Studenten in ausgebauten Containern, und das zu Preisen, für die vor 10 Jahren noch für damalige Verhältnisse “normale” Wohnungen zu mieten waren: 400-600 Euro im Monat. Der Traum vom Haus soll nun ein reduzierter sein.
Selbst ein schnödes Reihenhaus mit Mini-Garten ist heute schon für die meisten Menschen nicht mehr erschwinglich. Dafür steht nun das Tiny-House. Das günstigste gibt es bereits von der Stange: für gerade einmal 40.000 Euro. Dafür bekommst du 10 Quadratmeter mit “Schlafloft” und einem “komplett ausgestatteten Wohnzimmer”. Sogar eine “Veranda” gehört dazu. Sie bemisst ganze zwei Quadratmeter.
An dem Beispiel zeigt sich bildhaft, wie flexibel der Luxusbegriff ist. Setzt man die niedrigste Schwelle nur niedrig genug an, wird aus der gestrigen Norm der Protz von heute. Diese sehen zwar aus wie eine Gartenlaube mit Designermöbeln, sind mit 90 Quadratmeter dann aber bereits: “Luxus”.
Ist diese Verkleinerung gerecht, wenn wir davon ausgingen, dass wir vorher schlicht “über unsere Verhältnisse gelebt” haben? Global gesehen mag das sogar stimmen. In vielen Ländern ist es nicht unüblich, dass Familien wie die Sardinen gemeinsam in einem Raum schlafen. Nur: Luxus wird das auch dort niemand nennen. Auch nicht, wenn wir die Bude mit skandinavischen Minimalistenmöbeln vollstellen.
Wenn wir uns verkleinern wollen, wenn wir minimalistisch leben wollen, dann sollte das vor allem eine bewusste Entscheidung sein. Ja, okay ich brauch den ganzen Kram nicht mehr. Kannst du machen! Der Verzicht auf viel Besitz kann tolle Nebeneffekte haben.
Doch ist es für Geringverdienende keine freie Entscheidung mehr, ob sie in der Stadt noch eine normale Bude beziehen wollen. Und wenn uns dann suggeriert wird, dass wir uns doch in Trendy-Tiny-Houses ohnehin viel besser fühlen würden – dann läuft hier gerade etwas richtig schief.
Wie wir wohnen wollen
Was wir brauchen, sind Wohnungen, die den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen. Eine Immobilien-Plattform gab für eine Werbekampagne kürzlich bekannt, was am meisten gesucht wird: 2,5 Zimmer, 66 Quadratmeter, 446 Euro Kaltmiete.
Nicht nur diejenigen, die genau wissen, was gesucht wird, sagen: Es wird am Bedarf vorbei gebaut und Tiny-Houses sind keine Lösung für alle. Was wir brauchen, sind schöne Wohnungen in schönen Umgebungen. Große, kleine. Wohnungen mit guten , verschiedensten Schnitten für alle die unterschiedlichen Lebenskonzepte. Für Paare mit Kindern, Paare ohne Kinder, mehrere Eltern mit mehreren Kindern, Singles, Rentner-WGs und was weiß ich noch alles. Die Häuser sollen schön sein, innen und außen. Warum sonst wollen alle in Altbau-Quartiere ziehen?
Natürlich: Sie haben hohe Decken, nutzen schöne Materialien und ihre stuckverzierten Fassaden schmücken im Idealfall baumgesäumte Straßen, die über ein gutes Netzwerk aus Einrichtungen für das alltägliche Leben verfügen. Kurz: Sie sind schön und ihre ehemalige Bezahlbarkeit in einigen Städten wie Berlin ließ interessante, lebenswerte Wohngegenden entstehen. Ebenjene, die heute als Luxus gelten – und damit ihre Bezahlbarkeit verloren haben.
Moderne Wohnsilos mit ihren kalten Fassaden in von Architektenteams leider viel zu häufig angelegten Pseudo-Kiezen werden keiner dieser Aufgaben gerecht. Altbauten mögen in Sachen Dämmung vielleicht schlechter abschneiden als die modernen A+++Häuser. Aber wo wollen wir lieber wohnen?
Christian Illies, Professor für Architektur-Philosophie an der Universität Bamberg sagte dem Spiegel im August 2018 dazu: “Zusätzlich sollten wir vor allem die Schönheit wieder als einen der wichtigsten Nachhaltigkeitsfaktoren entdecken. Was schön ist, bleibt.”
Vielleicht ist das die große Aufgaben, vor der wir stehen: So zu bauen, wie wir wohnen möchten und da, wo wir leben wollen. Tja, es braucht eben Luxuswohnungen für alle.
Titelbild: Häuser in Berlin, Jonas Denil, CC0 unsplash
Wie Luxus für alle noch aussehen könnte und wie wir vielleicht da hinkommen könnten, diskutieren wir in unserer neuen Luxus-Ausgabe. Die kannst du jetzt vorbestellen.