Der putzfreudige Anwalt und sein Kollektiv

Wir alle wünschen uns faire Bezahlung, demokratische Mitsprache und Wertschätzung im Beruf. Gerade im Niedriglohnsektoren gibt es das kaum. Eine Ausnahme ist die Reinigungs-Kooperative aus Berlin. Rupay Dahm hat sie mitgegründet.

transform: Rupay, du bist einer der Mitgründer der Reinigungs-Kooperative. Putzt du gerne?

Rupay Dahm: Mir macht es persönlich Spaß, weil ich ja sonst eher am Schreibtisch sitze. Es ist körperlich wirklich anstrengend, aber man hat auch ein Erfolgserlebnis. Danach sieht es sauber aus und man macht anderen Menschen eine Freude. In der Kooperative reinige ich nicht oft, aber neulich habe ich in einer Kanzlei geputzt und vorgestern in einem Büroraum. Einen Acht-Stunden-Tag habe ich allerdings noch nie gemacht.

Wie reagiert dein Umfeld darauf?

Die meisten sind total überrascht und verständnislos: Ein Anwalt, der putzt! Als wäre das unter meiner Würde, dabei putze ich zuhause ja auch.

Warum braucht die Welt eine Reinigungskooperative?

Es braucht viel mehr radikale Demokratie in der Wirtschaft und Mitsprache von Leuten, die betroffen sind. Viele solcher Kollektivbetriebe sind eher im alternativen und akademischen Bereich angesiedelt, zum Beispiel in der IT-Branche, aber es gibt bisher nur wenige im Niedriglohnsektor.

Wie bist du zum Kollektiv gekommen?

Schon vor Jahren hatte ich mit unterschiedlichen Leuten die Idee, eine Kooperative in der Reinigungsbranche zu gründen, da es dort bitter notwendig ist. Ein Bekannter, den ich aus der Gewerkschaft und aus politischen Zusammenhängen kannte, schrieb mich Ende 2020 an. Er fragte, ob es diese Idee noch gäbe, da er für Hausprojekte, die er verwaltet, noch eine Reinigungsfirma braucht.

Und dann?

Nach einem ersten Treffen wurden es mehr Leute. Mittlerweile sind wir zu sechst. Seit einem Jahr läuft der Gründungsprozess und seit Sommer 2021 sind wir mit dem Betrieb am Markt. Noch stehen wir am Anfang. Es ist wichtig, langsam zu wachsen. Wenn wir jetzt plötzlich ganz schnell wachsen würden, dann würde sich die üblichen Hierarchien herausbilden, fürchte ich. Aber es ist auch nicht so leicht, Leute zu finden, die reinigen können und wollen und Lust auf eine Kooperative haben.

Bei der Mitbestimmung in Unternehmen ist die Eigentumsfrage essentiell. Wem gehört die Kooperative?

Wir sind bisher Teil der Smart eG. Das ist eine Genossenschaft vor allem für Leute, die freiberuflich arbeiten, und sich darüber anstellen lassen. Rein rechtlich betrachtet sind wir eine informelle Untergruppe der Smart eG. Wir haben zwar schon einen Betrieb, steuerrechtlich gesehen aber noch kein eigenes Unternehmen gegründet. Die Smart eG ist für uns eine riesige Hilfe im Gründungsprozess, weil sie uns etwa die Buchhaltung abnimmt. Alle Leute, die bei uns arbeiten, sind auch Genossenschaftsmitglieder der Smart eG und somit auch Mitinhaber:innen. Über unsere Arbeitsabläufe entscheiden wir aber selbst.

Dieser Text ist Teil unserer achten Ausgabe. In der geht es um Schmutz und Sauberkeit in allen gedanklichen Dimensionen, Phantasien, Putzkollektive und Lösungen für einem saubere Umwelt. Abgerundet wird das Ganze mit Tips für das Gute Leben, garniert mit einem Spritzer Rebellion.

Wer sind eure Auftraggeber:innen?

Es gibt drei Arten: Die einen sind Privatpersonen, deren Wohnungen wir reinigen und die dafür gerne eine faire Kooperative beauftragen möchten. Für sie ist das verglichen mit unversteuerter Arbeit ziemlich teuer. Der größte Teil ist die Reinigung der Büros von Unternehmen, die sich faire Arbeitsbedingungen wünschen. Außerdem reinigen wir die Treppenhäuser bei eher alternativen Hausprojekten. Die Arbeit unterscheidet sich auch immer, je nachdem ob wir zuhause, im Büro oder im Treppenhaus reinigen.

Was macht ihr anders als der Rest der Branche?

Eines unserer Grundprinzipien ist, dass alle den gleichen Lohn bekommen. Egal, ob man E-Mails bearbeitet, Rechnungen schreibt oder reinigt. Und dass alle Leute in den Arbeitsbereichen durchwechseln. Diejenigen, die in der Geschäftsführung arbeiten, reinigen auch und umgekehrt, sofern es möglich ist. Das funktioniert bisher auch ganz gut.

Wie setzt sich euer Stundenlohn zusammen?

Der Mindestlohn in der Reinigungsbranche liegt bei 11,55 Euro. Wir zahlen 12,50 Euro. Das ist auch nicht viel und unser Ziel ist es, mehr zu bezahlen. Wir nehmen 30 Euro von den Kund:innen. Wenn davon die Mehrwertsteuer, Sozialabgaben und Arbeitgeber:innenanteile abgezogen und Rücklagen für Urlaub und Krankheit gebildet werden, ist man schnell bei 12,50 Euro angelangt. Unsere Organisations- und Verwaltungsarbeit machen wir bisher ehrenamtlich. Wir haben auch nur ganz geringe anderweitige Kosten sowie kein eigenes Büro. Wir ziehen keinen Gewinn aus alledem. Alles übrige Geld bleibt in der Kooperative. Damit sollen die Verwaltungstätigkeiten und Investitionen bezahlt werden. Aber wichtig ist uns: Es gibt keine Inhaber:innen oder Investor:innen, die Profit sehen wollen.

Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln arbeiteten 2017 88,5 Prozent des Putzpersonals illegal. 3,3 der 41 Millionen Haushalte beschäftigten gelegentlich oder regelmäßig eine Hilfskraft, in 2,9 Millionen Haushalten schwarz

Wie setzt ihr das Miteinander und das Gemeinschaftliche bei euch konkret um?

Jeden Freitag treffen wir uns persönlich und tauschen uns aus. Wenn jemand Probleme hat und zum Beispiel einen Auftrag nicht machen will, kann die Person es sagen. Es wird niemand gezwungen, einen Auftrag zu übernehmen. Auch in Diskriminierungsfällen unterstützen wir uns gegenseitig. Das ist bisher zum Glück noch nicht vorgekommen. Es wird immer besprochen, wer was übernimmt, aber es gibt niemanden, der irgendwen zu etwas zwingen kann.

Seid ihr hierarchiefrei?

Unser Anspruch ist es nicht, vollständig hierarchiefrei zu sein. Wir wollen eine offene und transparente Hierarchie haben. Hierarchiefrei würde bedeuten, dass alle alles machen müssen und die gleiche Verantwortung haben. Das ist unrealistisch, wenn man Menschen hat, die schlecht Deutsch sprechen. Im Moment sind wir zu dritt in einem Organisationsteam. Alle die wollen, können da hinzukommen. Uns ist es wichtig, allen die Möglichkeit zu geben, Dinge zu lernen, die über das Reinigen hinausgehen.

Also eine Art Bildungsanspruch?

Auf jeden Fall. Und der dient dazu, zu lernen, wie eine Kooperative funktioniert und Verantwortung zu übernehmen. Alle sollen die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln. Bei uns ist das Orga-Treffen offen, die Leute können einfach dazukommen und sich einklinken oder zuhören. Man muss aber keine Organisationsaufgaben übernehmen, wenn man zum Beispiel sprachlich noch nicht alles versteht und erst einmal nur einen neuen Job sucht.

Reinigungstätigkeiten sind essentiell für alle Lebensbereiche, werden aber trotzdem nicht gut bezahlt. Wie kommt dieser Widerspruch zustande?

Das ist wirklich ein interessantes Phänomen. Allen ist wichtig, dass das Büro, die Wohnung, das Restaurant sauber ist. Ich glaube, das ist sehr selbstverständlich und vielen Leuten deshalb gar nicht bewusst. Das liegt auch daran, dass diese Reinigungsarbeit nach den Öffnungszeiten stattfindet. Sie ist unsichtbar. Die Sauberkeit ist den Leuten sehr wichtig, wenn sie aber 30 Euro pro Stunde dafür zahlen sollen, ist das zu viel. An der Reinigung muss immer gespart werden, denn es ist ja »nur« reinigen.

Woher kommt diese gesellschaftliche Missachtung?

2020 verdiente eine Pflegefachkraft im Krankenhaus durchschnittlich 42.396 Euro brutto pro Jahr, laut der Beschäftigungs statistik der Bundesagentur für Arbeit/IAT. Im Vergleich dazu verdiente ein:e Chefärzt:in laut Kienbaum Vergütungsreport 2019 durchschnittlich etwa 300.000 Euro im Jahr.

Auf jeden Fall hat es eine geschlechtliche Komponente, weil Reinigung als Frauenarbeit gilt. Gebäudereinigung weniger, das machen auch viele Männer, aber Wohnungsreinigung wird vor allem von Frauen übernommen. Deswegen ist es eher ein weiblich konnotierter Beruf. Außerdem ist es ganz klar eine Sache von Klassen. Wenn man für andere Leute reinigt, sind es oft Menschen mit einem höheren Bildungs stand. Eigentlich sollte die Lohnstruktur in einer Gesellschaft so sein: Je unangenehmer eine Aufgabe ist, desto höher wird sie bezahlt. Viele Leute empfinden Reinigen als eine wenig angenehme Arbeit, deswegen sollte sie eher besser bezahlt werden als angenehmere Büroarbeit. Aber so ist die Logik nicht.

Natürlich hat es auch etwas mit Migration zu tun. Gerade im Reinigungssektor arbeiten sehr viele Personen, die nach Deutschland gekommen und nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Viele wissen auch gar nicht genau, was ihre Rechte sind, dadurch können sie viel einfacher ausgebeutet werden.

Welche Schritte wären nötig, um gute Arbeitsverhältnisse in der Branche zu einem Standard werden zu lassen?

Der Mindestlohn sollte angehoben werden. Von derzeit 9,82 Euro kann man nicht wirklich leben. Es gibt in der Branche einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag, das ist super. Oft wird der allerdings nicht eingehalten, da viele gar nicht davon wissen.

Fehlt es an gesellschaftlicher Wertschätzung?

Genau: Was ist uns welche Arbeit wert? In der Pandemie hat man plötzlich gesehen, dass systemrelevante Berufe komischerweise zum großen Teil im Niedriglohnbereich liegen. Paketbot:innen zum Beispiel, oder Pfleger:innen. Ein Chefarzt verdient grob zehn Mal so viel wie eine Krankenpflegerin. Wenn der Chefarzt ausfällt, ist das so schlimm wie wenn zehn Krankenpfleger:innen ausfallen? Auf Reinigung bezogen: Was ist es uns wert, jeden Morgen in ein sauberes Büro zu kommen? Was ist es uns wert, durch ein sauberes Treppenhaus zu laufen oder in sauberen Wohnungen zu leben? Es wird viel zu wenig über Lohn geredet. Auch Reinigungsarbeit wird tabuisiert und so unsichtbar gemacht. Kaum jemand erzählt gerne: »Meine Eltern sind Reinigungskräfte.« Das ist ein seltsames Stigma, denn es ist ja absolut nichts Verwerfliches daran, ganz im Gegenteil: Reinigen ist schließlich eine sehr sinnvolle Tätigkeit.

Warum wird in der Branche nicht gestreikt?

Das ist schwierig, weil der Sektor so zersplittert ist. Die meisten großen Reinigungsunternehmen haben auch Tarifverträge und halbwegs geregelte Arbeitsverhältnisse. Abgesehen davon gibt es aber viele Miniunternehmen, die häufig mit Subunternehmen arbeiten. Von der Kund:innenseite höre ich oft, dass Firmen alle paar Wochen eine andere Reinigungskraft schicken, die dann jedes Mal neu eingearbeitet werden muss. Das hat damit zu tun, dass die guten Leute für die ersten paar Male zu den Kund:innen geschickt werden und danach wird der Auftrag an Subunternehmen weitergegeben. Diese Minifirmen kann man schwer bestreiken, weil man sie gar nicht kennt. Es wäre gewerkschaftlich ein enormer Aufwand, hier die Leute zu organisieren. Das ist praktisch leider fast unmöglich.

Ist die Vorstellung einer fairen Reinigungsbranche also utopisch?

Die Anhebung des Mindestlohns ist zwar ein Fortschritt, weil damit der Unterbietungswettbewerb ein bisschen vermindert wird. Aber eines der größten Probleme ist, dass große Firmen wie ›Helpling‹ den Menschen kein festes Anstellungsverhältnis bieten. Sie kriegen ihren Lohn zwar bar auf die Hand, dafür haben sie aber keine Sozialversicherung, müssen Steuern selber abführen, und bekommen keine Fortzahlungen bei Krankheit oder Urlaub. Weil sie rechtlich gesehen selbstständig sind, müssen sie vielleicht auch noch Gewerbesteuern zahlen. Ähnlich ist es bei ›ebay Kleinanzeigen‹. Diese Art von Beschäftigung zu verbieten ist aber auch schwierig, weil sie für viele Leute einen Einstieg bietet. Die Unternehmen profitieren also leider davon, dass die Leute gezwungen sind, unter Wert zu arbeiten.

Siehst du in der Gründung von weiteren Kooperativen eine Zukunft?

Ja! Einerseits sollte die gesamte Wirtschaft demokratisch organisiert sein, mit viel mehr Mitsprache der Mitarbeitenden. Das heißt, dass sie wirklich Miteigentümer:innen und Inhaber:innen der Betriebe sind, in denen sie arbeiten. Gleichzeitig mache ich mir keine falschen Vorstellungen, dass wir es mit Billiganbietern aufnehmen können. Über ›Helpling‹ zahlen Kund:innen zum Teil nur 13 Euro in der Stunde, von denen ›Helpling‹ mindestens 25 Prozent behält. Bei uns sind es 30 Euro. Eine Familie, die wirklich aufs Geld achten muss, kann nicht einfach mal eben das Doppelte zahlen, nur um faire Arbeit zu unterstützen. Das ist utopisch. Die Ampelkoalition möchte Zuschussmöglichkeiten für Haushaltshilfen schaffen, das ist aber noch nicht spruchreif. Schon jetzt kann man aber haushaltsnahe Dienstleistungen zu 20 Prozent steuerlich geltend machen. Statt 30 Euro zahlt man dann effektiv nur 24 Euro pro Stunde. Dennoch ist die Konkurrenz bei der Wohnungsreinigung hart. Bei Gewerben ist das etwas anders, weil sie Reinigungskosten als Betriebsausgabe abrechnen können und die Umsatzsteuer weiterreichen. Es gibt weniger illegale Arbeit und die Differenz ist nicht ganz so groß. Hier sehe ich etwas Licht am Ende des Tunnels.

Text: Hannah Prasuhn & Yann Schmidt

Bild: Stephanie Weppelmann

Zur Person

Interviewpartner:in
Rupay Dahm ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und berät Kollektivbetriebe und Genossenschaften. Er kann Gummihandschuhe und bevormundende Hierarchien nicht leiden, steht auf Demokratie im Betrieb und putzt lieber mit bloßen Händen. Aber er isst auch komisch riechendes Kimchi, vielleicht ist er davon abgehärtet.

Weiterlesen

Die Reinigungs-Coop
Falls ihr mitmachen wollt oder euch das Prinzip der Kooperative interessiert.
reinigungscoop.wordpress.com

Quellen

ZEIT ONLINE
Schwarzarbeit: Fast 90 Prozent derprivaten Putzkräfte arbeiten illegal.
transform-magazin.de/zeit

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