Mitten in der Wüste, siebzehn Kilometer entfernt von Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, entsteht eine Stadt der Superlative: Masdar City will höchste Lebensqualität mit dem geringsten ökologischen Fußabdruck vereinen.
Kohlendioxidfrei und abfallfrei soll die Stadt sein sowie vollständig durch erneuerbare Energie versorgt. Als weltweit erste moderne Stadt will Masdar City ohne Autos mit Verbrennungsmotoren auskommen, stattdessen übernehmen autonome Elektrofahrzeuge die Transporte. Zwar ist der Masterplan für die perfekte Stadt inspiriert von der Bauweise traditioneller arabischer Städte, doch spielt Technologie eine nicht wegzudenkende Rolle, die ambitionierten Ziele zu verfolgen. Vom Müll bis zum Wasserverbrauch wird jede Regung der Stadt mittels Sensoren gemessen, überwacht und gesteuert. Nichts wird in Masdar City dem Zufall überlassen.
Auch in Songdo denkt die Technik mit. Die südkoreanische Stadt gilt als weitere Vorzeige-Smart-City, ist grün und nachhaltig und zeichnet sich dazu noch durch komplette Vernetzung, zahllose Sensoren und allgegenwärtige Kameras aus. Eine solche Infrastruktur verspricht den technikaffinen Südkoreanern ein komfortables Leben. Denn in ihren technisch aufgerüsteten Smart Homes sollen die Bewohner alles vom Sofa aus regeln können: Per Videochat lässt sich die Außenwelt erreichen, so können Behörden-, Gesundheits- und Bildungsdienste in Anspruch genommen werden. Leben, das früher auf den Straßen stattgefunden hat, wird in Songdo zu einem großen Teil ins Internet verlegt. Im städtischen Kontrollzentrum laufen alle Daten zusammen, hier werden die Weichen für maximale Effizienz durch reibungslose Abläufe gestellt: Ampelschaltungen nehmen das aktuelle Verkehrsaufkommen ins Kalkül, Knöllchen werden automatisch an Falschparker verschickt, Jalousien passen sich selbsttätig an die Lichtverhältnisse an, Straßenbeleuchtung und Heizungen erkennen von selbst, wann Menschen anwesend und daher Licht und Wärme vonnöten sind.
Blaupausen für die Stadt der Zukunft?
Zwar sind Masdar und Songdo Extrembeispiele des Smart-City-Konzepts, doch wollen sie nach Bekunden ihrer Planer Blaupausen für die Stadt der Zukunft sein. Tatsächlich ist seit geraumer Zeit nunmehr das Konzept Smart City bevorzugte Antwort auf die großen Herausforderungen urbaner Räume. Oft stehen große Technologieunternehmen hinter dem Ansatz und zeigen einem mit neuen Problemlagen konfrontierten Stadtmanagement fulminante Lösungswege auf. Denn immer mehr Menschen drängen in den Lebensraum Stadt und mit diesem Zustrom bündeln Städte wie ein Brennglas Probleme in allen städtischen Bereichen von Energie und Umwelt über Mobilität und Bauen bis hin zu Bildung und Kultur. Zudem sind Städte heute bevorzugtes Ziel von Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel. Denn die zunehmende Verstädterung hat auch bedeutende Auswirkungen auf die Umwelt: Zwar beanspruchen Städte bloß einen winzigen Bruchteil der weltweiten Landfläche für sich, jedoch geht jeweils ein Löwenanteil des Bruttoinlandsprodukts, des globalen Energiekonsums, der Treibhausgasemissionen sowie des weltweit anfallenden Mülls auf ihr Konto.
Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass immer mehr Städte den Verheißungen des Smart-City-Konzepts folgen: Durch Technologieeinsatz und massenhaftes Datensammeln sollen sämtliche Abläufe der Stadt beobachtet, ausgewertet und laufend optimiert werden. Dynamische, adaptive Systeme, die in Echtzeit auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren, zielen auf höchste Effizienz, um Ressourcen zu sparen, Sicherheit zu gewährleisten und die Lebensqualität der Bewohner zu erhöhen. Wie eine gut geschmierte Maschine funktionieren die am Reißbrett entworfenen Zukunftsstädte. So weit, so großartig. Bei aller technischen Brillanz fällt es jedoch schwer, sich auszumalen, wie in den makellosen, beinahe aalglatt und seelenlos wirkenden Retortenstädten authentisches, urbanes Leben entstehen soll. Nichts haben die aus dem Boden gestampften Städte gemein mit jenen quirligen Metropolen – ob Florenz, Paris, New York oder Berlin –, die wir gerade wegen ihrer Unvorhersehbarkeit, Unordentlichkeit, Ungeplantheit und Unübersichtlichkeit schätzen.
„Es sind die nicht planbaren Ereignisse, die das Gesicht einer Stadt ausmachen“, fasst der italienische Stararchitekt Renzo Piano die Unmöglichkeit von Masterplänen in der Stadtentwicklung zusammen. Am Ende sind es doch immer die Menschen, nicht Pläne und Programme, die eine gelungene Stadt am eindrücklichsten prägen. In wessen Vorstellungswelt existiert schon das Urbane ohne das menschengemachte Chaos, Durcheinander und Spontane? Doch in der Smart City ist für all dies kein Raum, denn in der smarten Stadt geht es einzig um Effizienz.
Am Menschen vorbei geplant
Auch wenn in urbanen Räumen vielerlei Probleme auf eine zeitgemäße Antwort warten, so ist die Stadt aber nicht nur Problemherd. Immer schon waren Städte Laboratorien für Neues, Experimentierräume und Innovationsmotoren. Daher wäre es doch gelacht, wenn sich nicht gerade Städte am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen könnten. Die Frage ist nun, ob dies mit dem hochtechnologisierten, auf Effizienz getrimmten Smart-City-Konzept gelingen kann? Zwar lässt die Smart City kaum einen Wunsch offen, doch wollen Menschen wirklich ein effizientes, programmiertes Leben?
In der Idealwelt der Smart City bewegt sich der Bewohner mit seiner persönlichen Schaltzentrale, dem Smartphone, durch die Stadt und hat jederzeitigen Zugriff auf alle möglichen Dienste. Dabei hat die Bequemlichkeit ihren Preis. Denn Stadtbewohner stellen ihre Daten zur Verfügung, die der Steuerung der Stadt dienen, ansonsten bleibt diese für ihre Bewohner weitestgehend eine Black Box: Wie die in Aussicht gestellte Effizienz hergestellt wird, wie Entscheidungen getroffen werden, davon dringt nichts zum Einzelnen vor. Außer den vom System vorgesehenen hat der Bewohner keine Interaktionsmöglichkeiten mit der Stadt. Auf diese Weise reduziert die Smart City den Bewohner zum Konsumenten städtischer Ressourcen. Der Bewohner hört auf, Stadtbürger zu sein, denn Partizipation und gesellschaftliche Verantwortung bleiben auf der Strecke. Über seinen Kopf hinweg wird dem Bewohner ein gutes Leben verordnet; was Lebensqualität bedeutet, bestimmen die Smart-City-Macher. Weil die Smart City keinen Platz für Diskurse lässt, klafft unübersehbar eine legitimatorische Lücke in der smarten Stadt.
Wie schafft man es nun, den Menschen stärker ins Zentrum zu rücken und Stadtentwicklung entlang menschlicher Bedürfnisse voranzutreiben? Die Antwort auf diese Frage führt einige Jahrzehnte zurück. In den 1960er Jahren suchte der große US-amerikanische Visionär R. Buckminster Fuller nach ganzheitlichen Lösungen für die großen Weltprobleme. Dabei setzte er auf das Spiel: Denn seiner Meinung nach bilden Spiele eine geeignete Oberfläche, um komplexen Herausforderungen durch spontane Kooperation zu begegnen. In seinem computergesteuerten World Game konnten die Teilnehmer Effekte ihrer eigenen Ideen in einer globalen Dimension erkennen. Fuller betrachtete das World Game als demokratischen Prozess, in den Menschen ihre Werte, Fantasie und Problemlösungskompetenz einbringen, um globale Herausforderungen durch Bottom-Up-Mobilisierung statt Top-Down-Planung zu überwinden. Auch auf städtischer Ebene erscheint es sinnvoll, stärker auf Partizipation und Kollaboration als auf Vorgaben per Masterplan zu setzen. Immerhin sind viele urbane Probleme – allen voran Umweltschutz und Klimawandel – nur lösbar, wenn jeder Einzelne Verantwortung übernimmt und einen Beitrag leistet.
Spiele als Plattformen für Stadtentwicklungsprozesse
Weil Spiele tatsächlich nicht nur ein motivationsförderndes Anreiz- und Belohnungssystem liefern, sondern auch als Räume der Kommunikation und Interaktion, als Forschungs- und Experimentierfeld, als Orte des Probehandelns und Austestens aufgefasst werden können, entsteht zurzeit eine Reihe von Spielen nach R. Buckminster Fullers Vorbild, die Stadtplanungsprozesse mit spielerischen Mitteln aufladen und Bürger auf diese Weise an der Gestaltung ihres Umfelds beteiligen. Attraktiver als herkömmliche Bürgerversammlungen erscheinen vielen Stadtverantwortlichen Online-Anwendungen wie etwa Community PlanIt oder Play the City, die einerseits Spiel sind, aber gleichzeitig auch Umfrageinstrument und soziales Netzwerk. Deren Teilnehmer haben Missionen zu erfüllen, tauschen sich dabei über ihre Wohnviertel aus und können je nach Intensität der Beteiligung Punkte verdienen und auf der Bestenliste nach oben klettern. Die Stadt erhält Einblicke und Planungsdaten, für die Bewohner ergeben sich neue Kontakte, sie lernen neue Sichtweisen kennen und gewinnen die Möglichkeit mit zu entscheiden.
Das niederländische Unternehmen Tygron wiederum hat eine Game Engine entwickelt, die von Städten eingesetzt werden kann, um im Mehrspielermodus online das Durchspielen von Entwicklungsprojekten zu ermöglichen. Dabei wird auf Basis echter Daten eine 3D-Welt modelliert, innerhalb derer die verschiedenen Akteure Entscheidungen treffen können und dabei Effekte wie Lebensqualität, Bevölkerungsdichte, Parkraum und vieles mehr im Blick behalten und gleichzeitig das vorgegebene Budget einhalten sowie gesetzliche Vorschriften beachten müssen.
Diese Beispiele geben einen Eindruck, wie die Anleihe beim Videospiel einen Weg ebnen kann, in der Stadt des 21. Jahrhunderts Stadtplanungsprozesse partizipativ zu gestalten: Genauso wie in der Fantasiestadt SimCity werden Interessierte an der Stadt basteln, Ideen einbringen, Projekte austesten und Szenarien von Ressourcen-Allokationen und deren Effekte in Modellen echter Städte „durchspielen“. Denn anders als im „echten Leben“ hinterlässt im Spiel die Trial-and-Error-Methode keinerlei nachteilige Spuren. Das Ausprobieren von Möglichkeiten, das Eingehen von Risiken ist in Spielräumen konsequenzlos möglich. Häuser einstampfen, Straßenführungen verändern, ganze Wohnviertel verpflanzen – jedes denkbare Szenario ist im Spiel im Handumdrehen umsetzbar. Spielumgebungen haben daher nicht nur die Kraft, Problemlösungsprozesse ansprechend darzubieten, ebenso ermöglichen und orchestrieren sie Lernprozesse. Solche Lernprozesse sind wesentliche Voraussetzung, dass offene Systeme wie die Stadt mit Unvorhergesehenem umgehen können: Denn selbstorganisierende urbane Prozesse müssen immer wieder neue Informationen aufnehmen und sich entsprechend anpassen können.
Das Spielerische kann somit wertvolle Beiträge leisten, den technologielastigen Smart-City-Ansatz zu erweitern und stärker die Bedürfnisse der Stadtbürger zu berücksichtigen. Auch in der verspielten smarten Stadt wird Technologie eine Rolle spielen. Doch werden hierbei nicht Technikgläubigkeit und die Orientierung am Machbaren regieren, sondern Technik wird nichts weiter als ein Werkzeug und dem Menschen zu Diensten sein.
Nora S. Stampfl ist Publizistin, Organisationsberaterin und Zukunftsdenkerin. Mit f/21 Büro für Zukunftsfragen ist sie dem gesellschaftlichen Wandel auf der Spur. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Beitragsbild: Supertree Grove von Shiny Things, CC 2.0