Warum wir neue Schulen brauchen
Das Gebräu aus Fleiß, Ordnung und Gehorsam
Schauen Sie nicht so verdattert. Sie wissen es. Ich weiß es. Jeder Lehrer weiß es. Und jeder Schüler, der sich morgens aus dem Bett quält, um sich in einer staatlichen Bildungseinrichtung seine Ration Wissen abzuholen, fühlt es. Schule ist eine Maschine, die wenig mit Bildung zu tun hat und erst recht nichts mit der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts.
Der individualisierte Konkurrenzkampf, der sich wie ein roter Faden durch die Schulzeit und das Leben zieht, ist eine heilige Kuh des Bildungs- und Wirtschaftssystems der Industriestaaten. Dieses Rindvieh, was Sie und ich durch immer bessere Leistungen gemästet haben, müssen wir schlachten.
Schule ist ungesund
In Deutschland sind bei etwa 25 Prozent aller Kinder und Jugendlichen im Verlauf der Schulkarriere psychosomatische Störungen, Formen der Depression oder Angst- und Schlafstörungen zu beobachten. Diese Krankheitsbilder mit der Überlastung durch das System Schule zu erklären, wäre zu billig. Da spielen Faktoren wie das soziale Umfeld, die neuen Medien und überhaupt der ganze Lebensstil mit rein. Es sollte uns trotzdem zu denken geben, wenn Kinder- und Jugendärzte davon sprechen, dass Schule krank macht.
Richard David Precht, ein Bildungskritiker, hat einmal behauptet, ein Kind würde bis zum Abitur 100.000 Stunden Schule erleben. Diese maßlose Übertreibung ist notwendig, um die Unmengen an Wissen zu beschreiben, mit denen sich ein Kind in der Schule konfrontiert sieht. Dabei wird das meiste Gelernte vergessen. Herausgefiltert und im Gedächtnis abgespeichert wird nur das, was in Zukunft von Bedeutung sein könnte. Aber was ist von Bedeutung? Die nächste Geschichtsklausur?
Emotionen und das einzigartige Wir
Informationen speichern wir immer am besten, wenn Sie uns emotional berühren. Hat Sie Mathematik berührt? Den Deutsch-Unterricht haben Sie in den Sommerferien bestimmt vermisst, oder? Aber Sie erinnern Sie sich an Ihr Lieblingsfach.
Emotionen sind ein wichtiger Indikator, ob Ereignisse langfristig speichernswert sind oder nicht. Der Psychologe Hans Markowitsch hat einen griffigen Satz formuliert, der dazu passt: „Ohne Gefühle gibt es keine Erinnerung.“ Und an Erlebnisse, die positiv verknüpft sind, erinnert man sich besonders gerne.
Dazu kommt eine interessante Erkenntnis. Sie wissen bestimmt, dass der Mensch von Natur aus ein kooperatives Wesen ist. Kooperation und Anerkennung motiviert uns. Wir strengen uns dann ganz besonders an und helfen uns gegenseitig, um es gemeinsam zu schaffen. Die Bereitschaft zur Kooperation kann man bereits bei Kleinkindern erkennen. Wenn wir mit anderen ein Problem lösen und Erfolg haben, macht uns das richtig happy. Dann werden Glückshormone ausgeschüttet. Das kennen Sie vielleicht vom Fußball, wenn Sie mit Ihrer Mannschaft ein schweres Spiel gewonnen haben. „Wir haben es geschafft!“ Dieses Wir ist einzigartig.
Haben sich Ihre gemeinsamen Erfolge in Englisch, Deutsch, Mathematik, Chemie, Physik, Latein oder Kunst ins Gedächtnis eingebrannt? Natürlich nicht. Es gab ja kaum welche.
Der Kampf um die Karriere
Auf der Schulbank beginnt der Kampf um die lukrativen Arbeitsplätze und die Karriere. Dafür muss ein guter Abschluss her. Wenn es sein muss, mit der Brechstange. Der Abschluss zählt in Deutschland ohnehin mehr, als ihre Fähigkeiten und Talente.
Ohne Schulabschluss oder lediglich mit einem Hauptschulabschluss, stehen die Chancen auf eine Lehrstelle nicht besonders gut. Ein Realschulabschluss kann für eine Ausbildung als Bürokaufmann, Goldschmied oder Uhrmacher reichen. Das sind ehrbare Berufe, deren Existenz in der Zukunft ungewiss ist. Durch die Verschmelzung der industriellen Produktion mit der Informations- und Kommunikationstechnik zur Industrie 4.0 werden einige Berufsbilder langsam verschwinden. Niemand kann vorhersagen, welche Wissensbereiche in der Zukunft wirklich relevant sein werden. Vielleicht sind die Perspektiven für Bauingenieure, Softwareentwickler oder Wirtschaftsmathematiker rosiger. Dafür muss das Abitur her.
Mit der Peitsche zum Akademiker
Üben. Pauken. Durchbeißen. Und noch viel mehr auswendig lernen. Vielleicht bringt Nachhilfe die Rettung vor dem Fegefeuer. Irgendwo hat man schließlich aufgeschnappt: „Viel hilft viel.“ Die Überdosis an schulischer Bildung ist sowieso beschlossene Sache.
Das Hardcore-Programm aus Anspruchsdenken und schulischer Anforderung halten nicht alle durch. Es ist auch ein Vorgeschmack auf die Welt der Arbeit. Dort, wo zäh um Zeitverträge, halbe Stellen und Positionen gerungen wird. Und dann steht in fast jeder Stellenausschreibung irgendetwas von Teamfähigkeit. Sind Sie teamfähig?
Die Revolution beginnt jetzt
Jeremy Rifkin, ein Soziologe und Ökonom, hat vor über zehn Jahren darauf hingewiesen, dass durch die digitale Revolution langfristig die Arbeit verschwinden wird, da sogar die billigste menschliche Arbeitskraft immer noch teurer sei als die einer Maschine. Ich finde das gut. Roboter können die körperlich schweren Arbeiten erledigen, während sich die Menschen wieder dem Denken zuwenden.
Wir brauchen jedes Talent, um den gesellschaftlichen Niedergang zu verhindern, der sich nicht nur durch Konflikte, Umweltzerstörung und soziale Verwerfungen abzeichnet. Sondern auch durch eine zunehmende Gleichgültig und Empathielosigkeit gegenüber dem Schicksal von Mensch und Tier. Das wissen Sie. Das muss ich nicht ausführen.
Damit sich aus dem individuellen Potential Fähigkeiten entwickeln, die für alle gut sein können, gehören sie wie die Farben eines Malers auf eine Leinwand. Die Leinwand, das ist eine Gemeinschaft, in der man Sicherheit, Inspiration und Anerkennung findet. Das kann die Schule sein, der Arbeitsplatz oder die Straße. Hauptsache es sind Menschen beteiligt, die dieser Idee folgen wollen.
Begleitendes Mentoring
Kooperation, der Austausch von Erfahrungen und der Wissenstransfer zwischen den Mitgliedern der Gruppe sind die Motivation, um das Potential von allen auszuschöpfen.
Dafür bedarf es einer Kommunikation, die auf Augenhöhe stattfindet. Benotungen, Erwartungshaltungen oder Idealvorstellungen, die mit aller Gewalt erfüllt werden müssen, braucht niemand. Da entwickelt sich weder Begeisterung noch ein echtes Wir-Gefühl.
Verbunden durch das Wir machen sich alle auf den Weg zur Spitze des Berges. Die Notwendigkeit der Bemühungen wird akzeptier und als Selbstverpflichtung angenommen. Jeder trägt damit freiwillig Verantwortung, um Teil von etwas Großartigem sein wird. Das bringt Höchstleistungen hervor. Es ist wie das perfekte Zusammenspiel eines Orchesters.
Jeder hat ein Talent
Fangen Sie an eine Gemeinschaft aufzubauen, die den Gedanken der Potentialentfaltung in den Mittelpunkt stellt. Werden Sie ein Mentor, der andere ermutigt. Werden Sie ein Potentialentfalter. Bringen Sie ihr Wissen und ihr Können in die Gruppe ein, die sich für ein spezielles Thema interessiert bei dem der Mensch Mittelpunkt ist, und Sie werden sehen, welche Power sich daraus entwickeln kann. Gründen Sie einen Verein, starten Sie ein Projekt oder bauen Sie eine Genossenschaft auf, die sich dem Gemeinwohl verschreibt und in der jeder eine hohe Wertschätzung erfährt.
Wo Sie Leute finden, die genau das wollen? Sie kennen bestimmt jemanden. Fragen Sie direkt. Suchen Sie im Netz. Sie finden Projekte, Organisationen und Menschen, die die Potentialentfaltung als Ziel haben.
Ach … Die Zeit ist fortgeschritten. Es ist nicht alles ausgesprochen, aber das wesentliche schon. Geben Sie mir noch einen Augenblick für ein Zitat von Prentice Mulford.
PS: Ich biete Ihnen gerne das Du an.
Autor Gunther warf sich mit Begeisterung in die New Economy, brannte für den Journalismus und rotierte in Werbung und PR. Nach erfolgreicher Entschleunigung tritt er für eine Gesellschaft der Potentialentfaltung ein.
Beitragsbild: Baim Hanif, unsplash.com