Warum wir Smalltalk neu lernen müssen

Es ist der Klassiker der Smalltalk-Floskeln: Mit „Und bei dir?” horchen wir Freunde, Verwandte und Bekannte aus. Dabei kommt es uns oft gar nicht auf das Wohlergehen der Person an, sondern auf deren beruflichen Erfolg. Auch wenn wir es nicht gerne zugeben: Wir bewerten unser Gegenüber nach seiner Karriere. Ein Themenwechsel würde uns gut tun.

Ob auf Geburtstagspartys, Klassentreffen oder Familienfesten: Wenn sich Familie, Verwandte und alte Bekannte nach langer Zeit wieder treffen, wird geschlemmt, geschenkt, und gegenseitig ausgehorcht. Bei Grillwurst und Bowle, genau wie bei Schwarzwälder Kirsch und Kaffee kreist der Gesprächsstoff häufig um dieselbe, wenig feierliche Frage: „Was machst du zurzeit eigentlich?“

Gemeint ist damit nicht, ob das Gegenüber zurzeit gerne Tennis spielt, oder welches Buch die Person gerade in ihrer Freizeit liest. Auch nicht Familien-, Reise- oder Umzugspläne. Gemeint ist der Job, die berufliche Karriere. Was uns wirklich interessiert, ist: „Wie anerkannt ist dein Arbeitgeber?“, „Verdienst du mehr als ich?“, „Wie viel Ansehen genießt du?“ Mit den Antworten auf diese Fragen gleichen wir ab, ob unser Gegenüber eine bessere soziale Stellung hat, und wer von uns somit in der Gesellschaft einen vermeintlich höheren Rang einnimmt. Wir definieren unser Gegenüber durch den Faktor Karriere. Du bist, was du arbeitest.

Ist dieses Kräftemessen ein Problem unserer Generation, der Generation Y? Auch Großeltern wollen wissen, ob ihre Enkel ordentlich verdienen und geben damit beim Senioren-Stammtisch an. Auch Onkel sitzen zähneknirschend an der Festtagstafel, wenn der Schwager von seiner Beförderung erzählt. Ein gewisser Konkurrenzgedanke liegt wohl in unserer Natur. Doch die wirklich bohrenden Fragen stellen uns Cousinen, alte Kindergartenfreunde und ehemalige Schulkameraden. Gleichaltrige, die sich in derselben Lebensphase befinden wie wir selbst. Mitten dabei, sich im Berufsleben zu etablieren und so etwas wie eine Karriere aufzubauen. Immer auf der Hut vor anderen, die womöglich erfolgreicher sein könnten.

Kein Wunder – diese Denkweise wurde uns bereits in der Schule antrainiert. Nur die Besten bekommen den Platz im Schüleraustauschprogramm. Nur die Besten dürfen auf den zusätzlichen Nachmittagsunterricht verzichten. Nur die Besten bekommen die Ausbildung oder den Studienplatz ihrer Wahl. Und nur die Besten erhalten ein Stipendium. In immer kürzerer Zeit sollen Schüler immer exzellentere Leistungen erbringen. Das eigene Denken wird durch dieses Bildungssystem nicht gefördert. Keine Zeit, eigene Interessen zu entwickeln. Somit haben es viele schlichtweg nie gelernt, neben dem Prestige auch den Sinn ihrer Arbeit zu hinterfragen. Entscheidend für Berufseinsteiger ist meist, ob der Arbeitgeber ein hohes Einstiegsgehalt bietet und ob ausreichende Aufstiegschancen gegeben sind. Wenn die berufliche Tätigkeit, die wir antreten, gut bezahlt und angesehen ist, sind wir zufrieden. Was sonst soll „gute Arbeit“ sein?

Für wen wir arbeiten und welchen Nutzen unsere Arbeit für die Gesellschaft hat, fragen sich nur wenige. Dabei sollte es uns nicht egal sein, ob unsere berufliche Tätigkeit tatsächlich sinnvoll ist. Schließlich verbringen wir wöchentlich etwa 40 Stunden damit. Das Umfeld sollte uns also zumindest nicht krank machen – sei es durch unregelmäßige Ernährung, weil Meetings die Mittagspausen ersetzen, oder durch unverhältnismäßige Überstunden, die uns in einen Burn-out treiben.

Statt permanent um Anerkennung zu wetteifern, müssen wir uns dringend zusammentun und uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. Wie viel Einfluss soll unser Job auf unser Privatleben nehmen? Wollen wir für unsere Kollegen und Chefs wirklich ständig erreichbar sein oder möchten wir unsere Abende und Wochenenden lieber ganz unseren Hobbys, Freunden und unserer Familie widmen? Und gibt es nicht interessantere Merkmale eines Menschen als seinen Job? Wenn wir ein Leben neben der Arbeit haben möchten, sollten wir unsere Mitmenschen in unserer Freizeit nicht ständig nach ihrem Karrierestatus bewerten. Um in einer gemeinschaftlichen Gesellschaft leben zu können, müssen wir uns dem permanenten Konkurrenzkampf mit unseren Mitmenschen entziehen.

Erfinden wir den Smalltalk neu. Erkundigen wir uns, ob unsere alte Schulfreundin immer noch ein Faible für nordische Krimis hat, statt sie mit der Frage nach ihren zahllosen erfolglosen Bewerbungen in Verlegenheit zu bringen. Statt mit „Und was machst du?“, könnte man die neue Bekanntschaft auf der Party in eine Diskussion über die perfekte Playlist verwickeln. Und auch der Cousin, mit dem es in der Schule immer einen Wettkampf um das beste Jahreszeugnis gab, freut sich, wenn auf Omas Geburtstagsparty statt einem Vergleich der Studienleistungen die gemeinsamen Erinnerungen an den Klassenclown von damals im Mittelpunkt stehen. Stellen wir die Arbeit hinten an. Unsere sozialen Kontakte werden uns dankbar sein.

Bild: Steffi Reichert: „Hahnenmeeting“, CC BY-NC-ND 2.0

Madeleine Hofmann

Madeleine Hofmann lebt in Berlin und gehört zur viel diskutierten Generation Y. Als freie Journalistin schreibt sie unter anderem für The European, taz und Gründerfreunde über die Themen Generationengerechtigkeit und Zukunft der Arbeit.

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