Warum reden wir so viel über Verbrenner und Heizungen statt über Yachten und Unternehmensanteile? Für das Gelingen der Klimatransformation sollten wir mehr über Verursacher und Betroffene sprechen. Zeit, die Klimadebatte neu zu führen.
Kennste den schon: Steht ein älterer Herr auf dem Flugplatz für Privatjets auf Sylt und meint, wir sollten alle mehr fürs Klima tun. Weniger verreisen, mehr Rad fahren. Er persönlich zum Beispiel sei in Hamburg mit dem Rad zum Flugplatz gefahren. Jetzt auf Sylt ein Buch lesen und dann zurück.
Klingt wie ein schlechter Witz, ist aber so dokumentiert worden im NDR-Videoformat STRG_F. Die Szene zeigt, dass es zwischen Reichtum und CO2-Emissionen eine direkte Verbindung gibt. In Zahlen: Die ärmere Hälfte der Deutschen verursacht im Jahresdurchschnitt 6 Tonnen Treibhausgasemissionen pro Kopf. Das reichste 1 Prozent verursacht 120 Tonnen pro Kopf.
Trotzdem richtet sich der öffentliche Diskurs für mehr Klimaschutz eher gegen die ärmeren Menschen, die böse alte Verbrenner fahren und »böse« viel zu viel Fleisch auf den Grill packen. Dabei ist ihr Lebensstil noch halbwegs mit den Pariser Klimazielen vereinbar. Warum also reden wir nicht über die klimakillenden Superreichen?
Superreiche
Ab 1,7 Millionen Euro Vermögen gehört man in Deutschland zu den reichsten 1 Prozent. Viele Banken sprechen ab 30 Millionen Euro frei verfügbarem Vermögen (ohne Immobilien) von Superreichen, es gibt jedoch keine einheitliche Definition.
Yachten und Aktien
Sowohl Einkommen, als auch Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt. Innerhalb Europas stehen wir auf Platz 9 der Länder mit der höchsten Vermögensungleichheit. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit spitzt das zu: Je nach Berechnung besitzen in Deutschland die reichsten zwei bis vier Familien so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.
Das liegt maßgeblich an der geringen Besteuerung von Erbschaften und Vermögen hierzulande. In den 1980ern war es noch ganz normal, dass Superreiche einen hohen Steuersatz auf ihr Vermögen zahlen. Das hat sich jedoch laut Netzwerk Steuergerechtigkeit und Finanzwende e. V. seit der Wende durch zahlreiche Steuerreformen geändert, die insbesondere Superreichen zugutekommen. Alleine die Erbschaftssteuer auf große Unternehmensvermögen wurde gleich dreimal gesenkt – 1992, 2008 und 2016.
Ein Beispiel des Steuerabbaus für Superreiche: Die BMW-Erbin zahlte auf ihr Vermögen laut Berechnungen des Netzwerk Steuergerechtigkeit: 1996 61 Prozent und 2022 nur noch 21.4 Prozent.
Das ist nicht nur sozial ungerecht, es treibt auch die Klimakrise an. Etwa ein knappes Drittel der Emissionen von Superreichen ist auf ihr (Konsum-)Verhalten zurückzuführen: der SUV, die Yacht, der Privatjet, die Luxusgüter. Zwei Drittel ihres Klimaeinflusses liegen jedoch in der (kaum besteuerten) Vermögensanlage begründet, also etwa in Unternehmensbeteiligungen oder Investitionen in fossile Industrien. Laut einer Oxfam-Studie sind die Emissionen des reichsten Prozents in der EU seit 1990 weiter gestiegen, während der Rest der EU-Bevölkerung den Fußabdruck verringert hat.
Die Klassenfrage im Werden
Soviel also zur Seite des Klimaschadens. Die Klimafolgen und die Kosten für echten Klimaschutz wiederum treffen die ärmeren Menschen, weltweit wie in Deutschland. Sie leiden stärker unter Klimafolgen wie Hitzewellen, weil sie oft in schlechter gedämmten Häusern in Stadtteilen mit weniger Begrünung leben.
Auch sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen wie der CO2-Preis treffen Menschen mit weniger Einkommen stärker, solange es keinen finanziellen Ausgleich von Seiten des Staates gibt. Gleichzeitig würden die Sorgen dieser Bevölkerungsschichten vor den individuellen Belastungen durch die ökologische Transformation in der gesellschaftlichen Debatte um Klimaschutz nicht ernst genommen, sagt der Soziologe Linus Westheuser im Gespräch mit transform.
Das zeigt: Die Superreichen heizen mit ihrem Verhalten und dem Einsatz ihrer großen Vermögen die Klimakrise weiter an – auf Kosten der ärmeren Bevölkerungsschichten. Weil sich dieser Konflikt vermutlich noch verschärfen wird, nennen die Soziologen Steffen Mau, Tobias Lux und Linus Westheuser die ökologische Frage in ihrem Buch Triggerpunkte die »Klassenfrage im Werden«. Damit beschreiben sie, dass sich die Verursachung, Verantwortung und Betroffenheit in der Klimakrise zunehmend stärker zwischen den ökonomischen Klassen unterscheiden – in der Regel zum Nachteil der armutsbetroffenen Klasse.
Warum wir so wenig über Umverteilung sprechen
Trotz dieser Diagnose werden höhere Steuern für die Superreichen, also letztlich die Idee einer Umverteilung, im politischen Diskurs ignoriert. Das hat sowohl politische als auch gesellschaftliche Gründe. Der Wichtigste ist die Arbeit von Lobbys. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für eine gerechtere Steuer- und Finanzpolitik einsetzen, verfügen über wenig personelle und finanzielle Ressourcen.
Im Hintergrundgespräch berichtet eine zivilgesellschaftliche Lobbyistin, wie ein Finanzpolitiker einer Regierungspartei ihr sagte, es sei gut, dass sie kämen, aber sie müssten eigentlich mit mindestens 20 Personen kommen. Auf der anderen Seite gibt es Verbände wie Die Familienunternehmer, die sich laut einer Zeit Online-Recherche gegen sämtliche Klimaschutzmaßnahmen stellen und so einflussreich sind, dass sie in der Energiepolitik »meinungsbildend« auf die FDP und die Mittelstandsvereinigung der CDU wirken.
Die Familienunternehmer ist ein Lobby-Verband, der entgegen den Erwartungen keine kleinen mittelständischen Familienunternehmen vertritt, sondern internationale Großkonzerne wie Henkel, Dr. Oetker, Miele und Deichmann.

Darüber hinaus zeigt eine Studie von Ökonom:innen der Uni Duisburg-Essen, dass die Finanzpolitiker:innen der progressiven Parteien bei Steuerfragen aufgrund des politischen Selbstverständnisses weniger interessiert, weniger vernetzt und dadurch weniger kompetent sind als die der konservativen Parteien. Deshalb glauben sie häufiger Steuermythen, sind auf externe Expertise, die meist von Lobbies kommt, angewiesen und in Steuerdebatten mit Lobbyist:innen und Koalitionspartner:innen unterlegen.
Die Basis schmilzt
Zuletzt hat sich das Wähler:innenmilieu der linken Parteien verändert. Die Gewerkschaften verlieren an Bedeutung und die traditionelle Arbeiter:innenklasse schrumpft. Geringverdiener:innen haben zunehmend weniger politischen Einfluss und beteiligen sich weniger an Wahlen. So schmilzt langsam die Basis derer, die sich für Umverteilung einsetzen würden.
Linus Westheuser sagt im Gespräch mit transform, dass diese Gründe dazu führen, dass es keine politische oder gesellschaftliche Grundlage für eine Mobilisierung des Klassenkonfliktes gebe. Dies schaffe die Bedingungen dafür, »dass Leute ihre Ungleichheitskritik eher so kanalisieren, dass sie nach unten treten, anstatt ein kollektives Projekt zu artikulieren, das für mehr Umverteilung in der Gesellschaft sorgen könnte.«
Auch die Meritokratie verhindert also die Umverteilungsdebatte. Wir nehmen die Ungleichheit zwar grundsätzlich wahr, glauben aber, dass die Superreichen sich ihren Reichtum verdient haben. Dadurch wird sich mehr über eine Erhöhung des Bürgergeldes empört, als über vererbte Milliardenvermögen.
Die strukturellen Ursachen der Klimakrise und die damit verbundenen Ungerechtigkeiten werden kaum thematisiert. Stattdessen stellen wir individuelles Verhalten in den Mittelpunkt der Debatte. Westheuser beschreibt, wie auf der einen Seite umweltbewusste Gutverdienende sich über ihr ökologisches Einkaufsverhalten abgrenzen, während auf der anderen Seite Menschen skandalisiert werden, die ein Steak grillen und sich dann darüber aufregen, dass sie irgendwann eine neue Heizung einbauen sollen.
Die Letzte Generation, vor allem für Straßenblockaden bekannt, fährt seit dem Sommer 2023 eine neue Strategie. So waren im Yachthafen von Neustadt in Holstein eines Tages zwei Luxusschiffe orangefarben angemalt, das Wasser giftgrün gefärbt. »Während die Stadtviertel von Ärmeren und der Mittelschicht überhitzen, können sich die Superreichen in ihren klimatisierten Villen und Yachten schützen«, wird eine Aktivistin in einer Pressemitteilung der Gruppe zitiert. Die Aktivist:innen gehen also bewusst gegen die Hauptverursacher:innen der Klimakrise vor. Was wäre, wenn Politiker:innen dies auch tun würden?
Ein neues Framing der Klimakrise
Für die viel zitierte »breite Gesellschaft« ist dieser Gedanke übrigens nicht zu radikal. In einer im Juni 2024 veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos in den G20-Staaten sprachen sich 68 Prozent der Bürger:innen für eine höhere Vermögenssteuer für Reiche aus, mit der die Transformation der Wirtschaft finanziert werden solle. Deutschland lag dabei genau im Durchschnitt.
#wirfahrenzusammen ist eine Kampagne von Fridays for Future und verdi. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Klimafrage mit der Gerechtigkeitsfrage zusammengebracht werden kann.
Und auch eine wichtige Erkenntnis für die deutsche Klimapolitik aus der Studie von Mau, Lux und Westheuser ist: Grundsätzlich ist die Mehrheit der Deutschen eindeutig für Klimaschutz. Konflikte ergeben sich erst bei der Frage darum, wie der Klimaschutz umgesetzt wird und wer wie stark davon betroffen sein wird.
Das zeigt, wie wichtig es ist, die Ungleichheit in der Verursachung und der Betroffenheit der Klimakrise endlich politisch anzugehen, zum Beispiel durch eine Politik der Umverteilung. »Die Angst vor Verlusten durch die ökologische Transformation wäre natürlich genau das, was durch Umverteilung zu adressieren wäre«, sagt Westheuser.
Die Verbindung von Klimapolitik mit Gerechtigkeit und einer Umverteilungspolitik wäre aus zwei Gründen sinnvoll. Zum einen kann sie dafür sorgen, dass viele, die wegen Verlustängsten aktuell skeptisch gegenüber Klimaschutzmaßnahmen eingestellt sind, sich von diesen überzeugen lassen. Denn obwohl die Superreichen besonders in der Verantwortung sind, ihren Fußabdruck zu verringern, wird auch die ärmere Bevölkerungshälfte von Maßnahmen zur CO2-Vermeidung, wie höhere Heiz- und Benzinkosten, betroffen sein.
Die Angst, populistisch zu wirken
Eine progressive Besteuerung von Einkommen, Erbschaften und Vermögen könnte beispielsweise Gebäudesanierungen oder den ÖPNV-Ausbau finanzieren. So etwas wäre eine Art der Umverteilung, die gar nicht explizit als solche benannt werden muss. Zum anderen kann der Fokus auf Gerechtigkeit den sich andeutenden Klassenkonflikt verhindern oder zumindest möglichst klein halten.
Westheuser sagt dazu, dass es bei linken Parteien eine Angst gebe, dass es populistisch wirke, auf übermäßigen Konsum und Einfluss von Superreichen hinzuweisen. Eine Scheu, »die aber eigentlich sehr kontraproduktiv ist, weil sie sich damit eines ihrer Alleinstellungsmerkmale nehmen und dann die Artikulierung dieser Sorgen immer nur von rechts abgeholt wird, sei es jetzt durch die AfD, oder sei es auch durch die CDU (…).« Wenn Gerechtigkeit im Zentrum der Klimatransformation
stünde, würde man der AfD einen zentralen Ansatzpunkt nehmen, so Westheuser. Dann »zielt man auf den Kern dessen, was derzeit die Blockade der Klimapolitik ausmacht.«
Sowohl für den Klimaschutz als auch für das Funktionieren der Demokratie ist es entscheidend, dass Phrasen, wie »wir müssen die Leute bei der Transformation mitnehmen«, mit Leben gefüllt werden. Das bedeutet mehr als nur gute Kommunikation, sondern auch spürbare Unterstützung.
Umverteilungsmaßnahmen können sicherstellen, dass ärmere Bevölkerungsschichten nicht zu den Verlierer:innen der Transformation werden, sondern dass die Verursacher:innen einen Großteil der Kosten tragen – leisten können sollten sie sich das ja allemal. Das wäre nicht populistisch, sondern könnte Deutschland gerechter machen und dem Populismus von rechts Wind aus den Segeln nehmen.
Text: Nils Hilder
Illustration: Lea Dohle
Weiterlesen
Triggerpunkte – Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, edition suhrkamp, 2023 (Link)
Männer, die die Welt verbrennen – Der entscheidende Kampf um die Zukunft der Menschheit. Christian Stöcker. Ullstein, 2024 (Link)
Die Klimaschmutzlobby. Susanne Götze und Annika Joeres. Piper, 2022 (Link)
Verband Die Familienunternehmer – Die heimliche Rückschrittslobby. Annika Joeres und Tania Röttger. ZEIT ONLINE, 4. April 2023 (Link
Media
Das Klima und die Reichen. Dokumentation von Christian Baars, Robert Holm, Oda Lambrecht und Katharina Schiele. Das Erste, Panorama. 12. Januar 2023 (Link)
Die geheime Welt der Superreichen – Das Milliardenspiel . Dokumentation von Julia Friedrichs und Jochen Breyer. ZDFzeit. 12. Dezember 2023 (Link)
Quellen
World Inequality Report 2022. Lucas Chancel, Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman. 2021 (Link)
MillionärInnen unter dem Mikroskop: Datenlücke bei sehr hohen Vermögen geschlossen- Konzentration höher als bisher ausgewiesen. Carsten Schröder, Charlotte Bartels, Konstantin Göbler, Markus M. Grabka und Johannes König. 2020. In: DIW Wochenbericht 87(29): 511–21. (Link)
Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2024. Julia Jirmann und Christoph Trautvetter. Berlin: Netzwerk Steuergerechtigkeit, 2024 (Link)
Confronting carbon inequality in the European Union. Tim Gore und Mira Alestig. 7. Dezember 2020. In: Oxfam Media Briefing. (Link)
Carbon Billionaires: The investment emissions of the world’s richest people. Alex Maitland, Max Lawson, Hilde Stroot, Alexandre Poidatz, Ashfaq Khalfan und Nafkote Dabi. 2022. In: Oxfam Briefing Note. Oxfam International. (Link)
Klimasoziale Transformation – Klimaschutz und Ungleichheitsreduktion wirken Hand in Hand. Miriam Rehm, Vera Huwe und Katharina Bohnenberger. 2023. In: Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft, Focus Paper #6. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. (Link)
Ungleichheit – Deutschland. Martyna Berenika Linartas. Kein Datum. ungleichheit.info (Link)
Triggerpunkte – Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, edition suhrkamp, 2023 (Link)
Why is it so difficult to tax the rich? Evidence from German policy-makers. Florian Fastenrath, Paul Marx, Achim Truger und Helena Vitt. 2022. In: Journal of European Public Policy, 29(5). (Link)
Acute Financial Hardship and Voter Turnout: Theory and Evidence from the Sequence of Bank Working Days. Max Schaub. 2021. In: American Political Science Review, 115(4): 1258 – 1274. Cambridge University Press. (Link)
Earth for All 2024 Survey. Ipsos, Earth4All, Global Commons Alliance. Juni 2024 (Link)
Vermögensbesteuerung für eine nachhaltige Zukunft für alle. Yannick Schwarz. März 2021. In: Positionen Steuergerechtigkeit. Arbeitsgruppe Vermögen und Erbschaft des Netzwerk Steuergerechtigkeit. (Link)
Schreibe einen Kommentar