Engagement für ein fast vergessenes Thema

Wenig bedroht unser Leben, unsere Umwelt und unsere Gesundheit so existenziell wie Atomwaffen. Sie warten nicht auf den richtigen Moment, sie unterscheiden nicht zwischen Zielen, die Zerstörung ist total. Jetzt soll ein neues Abkommen das internationale Verbot dieser Waffen regeln.

In Deutschland bekräftigte der Bundestag 2010 in einem fraktionsübergreifenden Beschluss die Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen in Büchel. Passiert ist seitdem: Nichts. Die US-Waffen stehen noch immer in der Pfalz, die USA investieren etwa 1000 Milliarden Dollar in die Modernisierung ihrer Waffen, Kim Jong Un testet in Nordkorea munter weiter. Und die geopolitischen Spannungen nehmen zu. Die reine Existenz von Atomwaffen ist momentan ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Solange Atomwaffen vorhanden sind, besteht die Gefahr eines absichtlichen und eines versehentlichen Einsatzes, zum Beispiel durch Fehlkommunikation oder aber der Aneignung durch Terroristen.

Die Generation der Mittzwanziger engagiert sich für viele Themen. „Atomwaffen verbieten!“ steht jedoch kaum auf den Demozetteln. Das war das Thema der 68er, der alten Friedensgeneration. Heute sind Atomwaffen fast vergessen. Die Aktivistin Erika Gregory sagt auf einem TED-Talk im Oktober 2016: „Ich nenne die Generation der heute 25-jährigen die ´Generation Possible`. Sie protestiert gegen alle möglichen Themen, doch Atomwaffen sind keines davon. Aber wir brauchen diese Generation, um einige wirklich wichtige Entscheidungen zur Abschaffung von Atomwaffen zu treffen.”

Birte Vogel, geboren 1993, gehört zu dieser „Generation Possible“. Und sie ist Campaignerin der deutschen Sektion von ICAN, der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen. Sie ist nicht allein. Weltweit setzt sich die internationale Aktivistengruppe mit vielen, oft jungen Leuten, für ein Ziel ein: die Ächtung der letzten Massenvernichtungswaffen.

Birte studiert Medizin im zehnten Semester. Kurz nach der letzten Prüfung dieses Semesters sitzt sie im Flieger nach New York, zu den UN-Verhandlungen für ein Atomwaffenverbot. Die Abschaffung von Atomwaffen verbindet ihr Interesse an politischen Prozessen, an Machtfragen und dem Drang auch außerhalb des Krankenhauses Verantwortung für Menschen zu übernehmen.

Die Konsequenzen sind irreparabel.

Im Fall von Atomwaffen geht das nur durch Prävention, also durch Abschaffung. Denn nach einem Einsatz, hat kein Mediziner eine Chance. Die Konsequenzen sind irreparabel. Durch einen Zufall konnte Birte letztes Jahr an einer UN-Sitzung zur nuklearen Abrüstung teilnehmen. „Mich hat es erschrocken, mit welchen Argumenten und welche Selbstverständlichkeit der sicherheitspolitische Diskurs zu Atomwaffen die realen Folgen dieser Massenvernichtungswaffen verschleiert und abwertet“, erinnert sie sich. Seitdem engagiert sie sich aktiv für ICAN.

Birte stellt Positionen in Frage. Hört man ihr zu, fällt das Wort „aushandeln“ immer wieder, im beruflichen, im privaten und eben auch im politischen Kontext. An der internationalen Kampagne hat sie beeindruckt, wie viele junge Leute mit Energie und großer Professionalität die Zukunft nicht mehr den Alten überlassen wollten. „Das Thema ist vielfältig und komplex, aber ICAN hat es geschafft dieser Komplexität Raum zu geben.“

Atomwaffen als die ultimative Verkörperung von Macht

Denn jahrzehntelang war der Diskurs nur von unserem Sicherheitsdenken beeinflusst. Macht und geopolitische Interessen waren die Parameter an denen mögliche Abrüstung gemessen wurde. Mit dem Beginn der Kampagne und der Resolution für die Aufnahme der Verhandlungen hat sich die Debatte geöffnet: Umweltaspekte, genderspezifische Auswirkungen von Radioaktivität und die verheerenden humanitären Konsequenzen stehen nun im Fokus.

Und zum ersten Mal wird auch gefragt wie Machtpolitik, und Atomwaffen als die ultimative Verkörperung von Macht, unsere Sprache beeinflussen. Dieser Aspekt lässt Birte nicht mehr los. Sie beschäftigt sich nun viel mit Sprache im abrüstungspolitischen Diskurs.

„Gerade Atomwaffen sind symbolträchtig verbunden mit Konzepten von Stärke, Potenz und Macht, die wiederum stark mit Maskulinität assoziiert werden. Die zwei Diskurse werden oft gegeneinander ausgespielt. Die Nationale Sicherheit durch Atomwaffen wurde als realistisch, pragmatisch und verantwortungsbewusst dargestellt. Der Ansatz der Humanitären Sicherheit aber als spaltend, emotional und irrational abgewertet. Die Genderperspektive zweifelt diese wahrgenommene Macht und Geltung durch Nuklearwaffen an und bringt neue Lösungsansätze“, erklärt Birte ihre spezifisches Interesse.

Denn die atomwaffenfreien Staaten wollen den Sonderstatus der Atommächte nicht mehr akzeptieren.

Die Sprache, die Art und Weise wie Atomwaffen international wahrgenommen werden, ändert sich gerade. Sehr langsam und in kleinen Schritten. Aber der Anstoß wurde vergangene Woche in New York ausgehandelt. Denn die atomwaffenfreien Staaten wollen den Sonderstatus der Atommächte nicht mehr akzeptieren. Sie wollen nicht mehr akzeptieren, dass die Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft durch eine Minderheit bedroht wird. Sie wollen der Eskalationsspirale entgegenwirken. Viele von ihnen sind bereits in atomwaffenfreien Zonen organisiert. Der Verbotsvertrag bekräftigt: Sie machen bei dem neuen Aufrüstungsspiel nicht mit.

Zum ersten Mal werden Atomwaffen nun völkerrechtlich delegitimiert. Ohne diese vertragliche Ächtung ist auch keine Abrüstung möglich. Auch wenn der nun verabschiedete Vertrag nicht unmittelbar zur Eliminierung der bestehenden Waffen führt, etabliert er eine neue internationale Norm. Und er macht den Weg frei. Er ist so offen gestaltet, dass die jetzigen Atommächte später beitreten können. Konkrete Pläne für die Abrüstung in einzelnen Staaten müssen dann unter Anwendung internationaler Sicherheitsstandards ausgehandelt werden. Das ist ein langfristiges Ziel.

Arme und reiche Staaten arbeiten zusammen

Vergangene Woche fanden bei den Vereinten Nationen in New York Verhandlungen zu einem Verbot von Atomwaffen statt. Alle anderen Massenvernichtungswaffen sind bereits geächtet. Somit wird eine noch bestehende Lücke im Völkerrecht geschlossen. Der Vertrag wurde am 7. Juli verabschiedet und muss nun von 50 Staaten ratifiziert werden, bevor er in Kraft tritt. Erstmals wird der Besitz, der Einsatz, die Herstellung, die Stationierung und die Androhung von Atomwaffen verboten.

Die Bundesregierung nahm nicht an diesen Verhandlungen teil. Diese Position ist sehr umstritten. Kritik kommt von NGOs, Friedensforschern und aus der Politik. Die Bevölkerung war ebenfalls mehrheitlich für eine Teilnahme.

Dass die Welt an diesem Punkt steht, war ein langer Prozess. Ein Prozess des Umdenkens. Weg von einer Politik der Abschreckungslogik, hin zu einem Fokus auf die humanitären Auswirkungen dieser Massenvernichtungswaffen. Campaigner*innen auf der ganzen Welt haben dieses Umdenken mit angestoßen, in zahllosen Gesprächen mit Diplomat*innen, durch Protestaktionen, Workshops und Lobbybriefe, in Diskussionsrunden, Zeitungsartikeln und Statements.

Die Resolution zur Aufnahme der Verhandlungen wurde von Österreich, Irland, Nigeria, Südafrika, Mexiko und Brasilien eingebracht. Einigkeit über drei Kontinente. Die unterstützenden Staaten kommen hauptsächlich aus dem globalen Süden. Zum ersten Mal haben sich diese Staaten in einem internationalen Forum in einer sicherheitspolitischen Frage gegen wirtschaftlich stärkere Staaten, oftmals sogar Geberländer in der Entwicklungszusammenarbeit, positioniert. Ein Umdenken in der internationalen Gemeinschaft beginnt, eine Normensetzung durch gegenseitiges Vertrauen wird gestärkt.

Alexander Marschick, österreichischer Vizeminister für politische Fragen in New York, sagt zu den Verhandlungen: „Wenn man die Gefahren anschaut – was ist die Alternative? Ist Nichtstun eine bessere Strategie? Auf ein Desaster warten ist keine Strategie.“122 Staaten haben das erkannt und am vergangenen Freitag für die Annahme des Vertragsentwurfs gestimmt.

Wie kannst du aktiv werden?

Mache dir die katastrophalen Auswirkungen von Atomwaffen bewusst. Frage dich wie wir Sicherheitspolitik heute gestalten können.

Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage hätten sich 75 Prozent der Bevölkerung eine Teilnahme der Bundesregierung an den Verhandlungen gewünscht. Auch im politischen Spektrum war der Boykott umstritten. Zeige deine Unterstützung für den Vertrag, zum Beispiel indem du deinen Abgeordneten kontaktierst, sobald der Ratifizierungsprozess beginnt. Informiere dich, ob deine Bank in Atomwaffen und Aufrüstung investiert. Zum Beispiel unter: Don’t Bank on the Bomb.

 

 

Autorin: Anne Balzer, 26, studiert an der FU Berlin Politikwissenschaften im Master und arbeitet seit März 2017 bei ICAN.

 

 

 

Beitragsbild: NASA CC0

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