Junge Menschen im Diskurs.
Gesellschaftsdiskurs. Autor: Kate Kalvach

Wer bespricht die Gesellschaft?

Bei „Karakaya Talks“ diskutieren Millennials of Color, was sie in Gesellschaft und Politik beschäftigt. Über die Vision einer Medienbewegung, die Vielfalt bewusst feiert.

2020 spielte die Diversität der Gesellschaft eine große Rolle im öffentlichen Diskurs. Ausgelöst von rassistischen Verbrechen fand eine Reflexion auch alltäglicher Diskriminierungen von Menschen mit internationalen Wurzeln statt. Im NDR ging die Talkshow „deep und deutlich“ an den Start, moderiert von der afrodeutschen Journalistin Aminata Belli und dem Rapper MoTrip, ein Gegenentwurf zur sonst meist weißen Besetzung solcher Sendungen.

Das YouTube-Format „Karakaya Talks“ folgt diesem Prinzip schon viel länger. Die Show gibt Themen und Gäst*innen abseits des Mainstreams Raum. Zunächst fand sie unter dem Dach des jungen öffentlich-rechtlichen FUNK statt. Diese Zusammenarbeit endete, es passte nicht mehr. Nun hat das Team ein Crowdfunding gestartet. Das langfristige Ziel: Teil einer globalen Medienbewegung sein, die Respekt ins Zentrum rückt und bisher unterrepräsentierten Menschen eine Bühne gibt. Warum das dringend notwendig ist? Wir haben gefragt, Host Esra hat geantwortet.

Repräsentation in den Medien

transform: Ihr beschreibt euch als „Gegenprogramm zu den ganzen Talkshows, die viel zu weiß, akademisch, männlich, hetero und toooooodeslangweilig sind“. Führ das mal aus. Welche Probleme seht ihr? 

Ich glaube da sind so einige Baustellen, aber hier eine sehr konkrete: 2019 hat “hart aber fair” zwischen Juli und November elf Sendungen produziert und 56 Gäste eingeladen. Keine*r davon hatte einen sogenannten “Migrationshintergrund” bzw. war nicht-weiß. Der erste nicht-weiße Mensch war jemand mit arabisch-sprechenden Ahnen und durfte dann über Clan-Kriminalität sprechen hahaha. Einfach ein Witz. 

Wie müsste die Besetzung aussehen?

Um das mal in Kontext zu setzen: Mehr als ein Viertel der Menschen in Deutschland haben eine sogenannte Migrationsgeschichte. Das heißt, dass mindestens 14 der 56 Gäste hätten einen “Migrationshintergrund” gehabt haben müssen.

Was sollte eurer Meinung nach eine politische Talkshow leisten?

Es braucht halt eine Kultur, wo selbstverständlich ist, dass viele Menschen viele Perspektiven auf ein und dasselbe Thema haben können und dass Diskussionen nicht in einem luftleeren, neutralen Raum passieren. Es braucht ein Mitdenken davon, wie Macht verteilt ist. Es bringt mir nichts, in einer Diskussionsrunde zum Neutralitätsgesetz (das Frauen* mit Kopftuch verbietet z.B. Polizistin zu werden) einen auf “wir sind voll objektiv und neutral” zu tun, nur weil Hijabis und Nicht-Hijabis mit am Tisch sitzen.

Wer hat sich bisher sehr stark äußern dürfen?

Die Frage, die wir uns in unserer Arbeit immer stellen ist: Wer hat sich bisher in Mainstreammedien sehr stark zu diesem Thema äußern dürfen und wer sind die Menschen, die wirklich in Entscheiderpositionen sitzen? Daran lässt sich ein Gefühl dafür entwickeln, wo sich Macht bewegt.

Was ist euer Konzept?

Wir kuratieren Themen und Expert*innen für lösungsorientierte Diskussionsrunden, die Millennials of Color interessieren. Wir bieten einen Gegennarrativ zu stereotypisierenden und flachen Mainstreamdiskursen und wagen uns in komplexe Konversationen.

Wie wählt ihr dementsprechend Themen und Gäste*innen aus?

Unsere Community und vor allem Club-Mitglieder sind in unserer Arbeit immer der Fokus. Wir “crowdsourcen” nicht nur unsere Finanzen, sondern beziehen eben auch unsere Themen und Gäste direkt aus unserer Community. Wir haben natürlich den Vorteil, dass wir als gesamtes Team auch in der Zielgruppe sind, sodass sich viele Community-Vorschläge mit unseren teaminternen Ideen decken.

Welche Rückmeldungen bekommt ihr aus den Communities, die ihr repräsentiert?

Ich würde nicht sagen, dass wir Communities repräsentieren, sondern vielmehr eine Plattform bieten, wo einzigartige Realitäten, Narrative und Meinungen sichtbar werden. Unsere Club-Mitglieder spiegeln uns, dass sie den Tiefgang und die Komplexität unserer Diskussionen schätzen. Wir bekommen mit, dass sich einige mithilfe unserer Show aneignen, wie sie in bestimmten Situationen argumentieren wollen.

Just do it – yourself

In den letzten Jahren gab es immer mehr Medien, die die Lebensrealität von Menschen mit Migrationsgeschichte spiegeln, z.B. die Podcasts „Halbe Kartoffl“, „Made in Germany“, „Rice and Shine“ und die YouTube-Reihe „Germania“. Selten bekommen solche Formate aber eine große Bühne bei den klassischen Medien wie zuletzt die Talkshow „deep und deutlich“. Ist das nur eine Frage der Zeit? Inwieweit seht ihr da einen Wandel?

Ich würde „Germania“ nicht gleichsetzen mit den anderen genannten Formaten. „Germania“ ist ein von einer großen und weißen Produktionsfirma für das öffentlich-rechtliche (read: weiße) Haus entwickelte Format, das BIPoCs portraitiert und ihre Herkünfte fetischisiert. Die anderen Publisher haben ohne jegliche Finanzierung aus einem eigenen „Need” heraus ihre Formate entwickelt.

Medien sehen, dass sie ganze bestimmte Zielgruppen nicht mehr erreichen und sie zusätzlich nicht mehr ignorieren können.

Ich würde behaupten, dass „deep und deutlich“ auch nur passiert, weil öffentlich-rechtliche Häuser langsam ins Schwitzen kommen. Sie sehen, dass sie ganze bestimmte Zielgruppen nicht mehr erreichen und sie zusätzlich nicht mehr ignorieren können, weil sich Publisher selber organisieren und auf eigene Faust etwas starten.

Die DIY-Formate setzen also „die Großen“ unter Druck?

Hätte es „Rice and Shine“, „Feuer & Brot“, „Halbe Katoffl“  – oder unser Format – nicht gegeben, wäre „deep und deutlich“ wahrscheinlich auch nur ein Format mit 56 weißen Millennials und einem Clan-Mitglied geworden. Wie lange es braucht für einen nachhaltigen Wandel bei den öffentlich-rechtlichen kann ich nicht sagen, aber es passiert was. Und das ist gut. Ich würde mir wünschen, dass es zukünftig sowohl nachhaltige Formate bei den Öffis, aber auch weiterhin unabhängige Publisher gibt. 

Wie sollte es weitergehen mit „Karakaya Talks“ und insgesamt dem Thema Diversität in den Medien?

Es ist unsere Vision, „Karakaya Talks“ als festen Bestandteil einer deutschsprachigen und globalen Medienbewegung zu etablieren, die eine nachhaltige Plattform für respektvolle und unterhaltsame Diskussionen schafft, wo die Einbindung von marginalisierten Stimmen gefeiert wird. Ich freue mich auf den Moment, wo sich unsere Gästebesetzung normalisiert und sich Zuschauende nur noch durch unsere Inhalte inspiriert fühlen und zum Nachdenken angeregt werden.


Esra Karakaya

Esra Karakaya ist Journalistin, Moderatorin und Gründerin. Ihre Ende 2019 gestartete Show „Karakaya Talks“ erhielt im Sommer 2020 den Grimme Online Award für „Kultur und Unterhaltung“.

Die Zukunft seiner Arbeit will das Team mit einem Crowdfunding sichern. Infos gibt’s auf https://steadyhq.com/de/karakayatalks .

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