Illustration von Eva Müller

Die engstirnigen Weltretter

Die anderen sind dogmatisch: die blöden, nervigen Veganer und die anstrengenden, Rasta tragenden Freiwilligen. Selber machen wir alles richtig, mit einer nachhaltigen Lebensweise ohne naive Brunnenbauprojekte in Gott-weiß-wo. Die unterschiedlichen Einstellungen verhindern oft jegliche Diskussion, aber: Muss es wirklich diese Kluft geben? Ein Plädoyer für mehr Verständnis unter Weltverbesserern.

Letztens habe ich ein Gespräch mit einer Projektmitarbeiterin bei einem Freiwilligenprojekt geführt. Für dieses Projekt fliegt sie jedes Jahr mindestens einmal nach Ecuador. Sie meinte: „Du kannst auch mitmachen, komm einfach mit nach Ecuador!“. Ihre fast schon ekstatische Begeisterung hat mich irritiert, das Wort „einfach“ im Zusammenhang mit „komm nach Ecuador“ ebenfalls.

Kommt es zu einer Diskussion über grundlegende Überzeugungen und Engagement, geben die wenigsten gerne zu, als Mensch so fehlbar wie fehlerhaft zu sein. Wir alle brauchen ein gewisses Maß an Haltung, an Überzeugung, um uns als Person und Persönlichkeit zu verteidigen. Wird diese Haltung in einer Diskussion angegriffen, fühlen wir uns schnell persönlich bedroht. Das verhindert den Austausch zwischen den verschiedenen „Weltverbesserern“, und das, obwohl sie das Ziel die Welt positiv zu beeinflussen eint.

„Der Veganer“

Man begegnet mittlerweile recht vielen Veganern, Vegetariern sowieso. Man trifft sie auf der Straße, im Freundeskreis, und natürlich und vor allem im Internet. Der Spruch „Woran erkennst du einen Veganer? Er sagt es dir.“ umschwebt diese Bewegung schon von Anfang an. Denn für viele scheint Veganismus eine Art Ersatzreligion geworden zu sein. Der Verzicht auf Tierisches als Heilsbringer und Klimawandel-Umdreher, als Lifestyle und Zeichen von Zugehörigkeit.

Natürlich ist es ein bisschen unfair, alle vegan lebenden Menschen in einen Topf zu werfen: nicht alle sind so militant, wie „Die vegane Armee Fraktion“, nicht alle so derart beharrlich, wie einige Youtuber es vermuten lassen. Selbst die Bloggerin Rice Milk Maid schreibt, dass „der Veganer“ für sie „dogmatisch [und] engstirnig [ist] und sich für etwas Besseres [hält]“, und das obwohl sie selbst eine ist.

Gutmenschen und Weltverbesserer

Diesen Vorwurf kriegen auch nicht-vegane Menschen zu hören, die in das Schema der Weltverbesserer passen: Menschen, die Freiwilligenarbeit in dritte Welt Ländern leisten und Umweltaktivisten, die in Hühnerfarmen einbrechen werden auch oft als sogenannte „Gutmenschen“ oder „Weltverbesserer“ alle in einen Topf geworfen.

Eigentlich ist es paradox, dass Worte wie Gutmensch und Weltverbesserer negativ konnotiert sind und die damit titulierten belächelt werden. Die Welt zu verbessern, das klingt doch eigentlich durchaus nobel und unterstützenswert. Woran liegt es also, dass wir tendenziell eher genervt auf die „Jeder kann die Welt verbessern, man muss es nur wollen“- Aussagen reagieren und wie können wir eine konstruktive Gesprächskultur etablieren?

Dogmatismus

Viele dieser Haltungen haben etwas Dogmatisches. Es sind Weltanschauungen, die als einzig richtige und unumstößliche Wahrheit propagiert werden. Wer nicht mitmacht, ist eben kein guter Mensch, dem ist die Welt egal. Aber manche Fragen und Einwände sind eben doch angebracht: mit dem Projekt in Ecuador das Klima retten wollen, aber ein paar Langstreckenflüge im Jahr müssen drin sein? Käse ist absolut tabu, aber dass die Avocados aus Israel eingeflogen werden, tja naja, wenigstens furzen uns die Kühe nicht die Atmosphäre voll?

Vielleicht muss es ja doch nicht immer alles oder nichts sein. Jeder Versuch etwas Gutes zu tun ist doch ein Anfang und lobenswert. Oder?

Dogmatismus
Dogmatismus ist ein unselbständiges, von Glaubenslehren abhängiges Denken; eine Einstellung mit der starken Neigung, Auffassungen, die der eigenen widersprechen, strikt zurückzuweisen, ohne die Fähigkeit Informationen anderer für sich selbst zu verwenden.

Glaubensbekenntnisse

An dieser Stelle könnte man die Einstellungen von den obengenannten Gruppen fast schon mit Glaubensbekenntnissen vergleichen. Sie glauben daran, dass durch ihren Aktivismus das Klima gerettet wird, die Tiere sowieso, und außerdem und überhaupt. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Glauben an Gott und Glauben an einen Weltverbesserungsansatz. Glaube ist als Überzeugung ohne Wissen definiert. Bei religiösem Glauben macht das Sinn. Menschen glauben, weil es ihnen Hoffnung und Halt gibt. Ähnlich ist es mit manchen Überzeugungen: Sie geben Sinn, Halt, Hoffnung und ein Stück weit auch Identität.

Allerdings sollte man, wenn man die Überzeugung hat, dass beispielsweise eine vegane Ernährungsweise den Klimawandel bremst, daran nicht nur glauben. Denn in Bezug auf diese Problematik ist sehr viel Wissen verfügbar. Was sind die größten Klimasünden, die man als Einzelperson einsparen kann? Wenn ich durch den Verzicht auf tierische Produkte CO2 einspare, erreiche ich noch mein Klimaschutzziel, wenn ich statt regionalem Käse Avocados esse? Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist entscheidend. Es ist wichtig, sich darauf zu besinnen, was man mit dem eigenen Lebensstil erreichen möchte, und wie man dieses Ziel erreichen kann.

Wir identifizieren uns mit unserer Haltung und grenzen uns gegen die anderer ab. Akzeptieren, dass jemand uns lang und breit seine Projekte erklärt und wie ihn das zu einem Weltverbesserer macht, das liegt uns manchmal schwer im Magen. Man kann nicht jedem Ansatz zur Weltverbesserung nachgehen, der sich als solcher versteht. Jeder, der sich für Umwelt und Tiere, für sozial benachteiligte und Geflüchtete einsetzt, sollte sich bewusst sein, dass das was er tut gut sein kann – ohne die einzige Lösung zu sein. An sich ist es doch schon mal sehr gut, wenn Menschen sich überhaupt für Rettung und Schutz von Klima und Menschen interessieren.

Echokammern

Oft sprechen wir über das was wir tun nur mit den Menschen in unserem Umfeld, die die Dinge genau so sehen wie wir und ähnlich Ansätze haben. Dieser Mechanismus wird auch als Echokammer bezeichnet: wir kriegen das Gefühl, dass unsere Haltung logischerweise die richtige ist, weil sie so gut wie nie angegriffen wird. Genau dieser Bruch ist aber sehr wichtig, damit wir uns ab und zu mal wieder bewusstmachen, warum wir das was wir tun denn eigentlich nochmal tun.

John Stuart Mill
…war ein britischer Philosoph und Ökonom des 19. Jahrhunderts. Er war einer der liberalsten Denker seiner Zeit und Anhänger von Utilitarismus und Feminismus. In „On Liberty“ erläutert er unter anderem, wieso Meinungs- und Diskussionsfreiheit eine der wichtigsten individuellen und politischen Freiheiten darstellt.

John Stuart Mill schreibt in seinem Werk „On Liberty“ über die Bedeutung von Diskussionen für Überzeugungen. Wenn Menschen davon ausgehen, dass sie das richtige tun und denken, ohne darüber zu diskutieren, ohne dass ihre Position je in Frage gestellt wird, laufen wir Gefahr an ein „Dead Dogma“ zu glauben. Wir vergessen sowohl die Gründe, als auch die Schwächen unserer Überzeugung. Deswegen ist es wichtig, dass ab und an mal jemand kommt, und versucht uns die Sache madig zu machen.

Konstruktive Diskussion

Um solche Gespräche führen zu können, die sich um Themen drehen, mit denen wir uns stark identifizieren, sollten wir versuchen, uns ein Stück weit von unseren Überzeugungen zu entkoppeln, sie sozusagen von außen zu betrachten. So fällt es uns leichter hinzunehmen, dass andere sie bemängeln und zu hinterfragen, aus welchen Gründen wir tun was wir tun. Selbst, wenn uns dabei bewusstwird, dass wir vielleicht nur in die Hühnerfarm einbrechen, um einer Gruppe zuzugehören. Dass wir vegan leben, weil wir eigentlich eh keinen Käse mögen, oder abnehmen wollen.

Dass wir Freiwilligenarbeit auf einem anderen Kontinent leisten, weil wir gerne reisen. In diesem Fall müssen wir ja gar nicht den Weltrettungsansprüchen genügen. Da wir aber meistens eben doch das Wohl des Planeten und kommender Generationen im Hinterkopf haben, können wir uns nun fragen: Ist die Kritik meines Gegenübers berechtigt, und inwieweit bin ich bereit diese anzunehmen?

In Gesprächen mit begeisterten Aktivisten plane ich in Zukunft nachzufragen. Wieso genau dieses Projekt? Es gibt schließlich fast überall auf der Welt Probleme und Bedürftige. Was denkt ihr über Langstreckenflüge im Zusammenhang mit eurem Klimaziel? Vielleicht haben sie ja Antworten, die mich überzeugen. Vielleicht lerne ich etwas aus den Erfahrungen und Diskussionen, die sie schon geführt haben. Und wenn nicht, kann ich mich wenigstens rühmen, eine offene, konstruktive Diskussion geführt zu haben.


Die Autorin Eva Schmidt ist im Herzen selber Weltverbessererin und arbeitet noch an der Engstirnigkeit. Ansonsten studiert sie Philosophie und VWL, während sie als Schreiberling und Redakteurin arbeitet.

Illustration: Eva Müller ist in einem sehr kleinen Ort, nahe der französischen Grenze, aufgewachsen. Das Leben dort war geprägt von Langeweile. Sie wollte mehr erleben, also hat sie in einigen Orten gelebt und seit vielen Jahren ihre Basis in Hamburg aufgeschlagen. 2017 hat sie ihr Illustrationsstudium an der Haw Hamburg abgeschlossen. Meistens findet man sie am Zeichentisch und dort ist ihr nie langweilig. Ihre Graphic Novel “Sterben ist echt das Letzte” ist in mehreren Sprachen erschienen und sie gibt regelmäßig Comickurse für Kinder.

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