Die Parole » Bildet Banden! « klingt nach 1968er-Revolution. In den 2020er Jahren ist sie immer noch Realität und von höchster Dringlichkeit. Im Gespräch mit zwei Aktivist:innen der › FemAktion Flensburg ‹ wird deutlich, wieso feministische Rebellion so wichtig ist und was jede*r dafür tun kann.
Eine Szene des 21. Jahrhunderts: Ein Schiff fährt in einen Hafen ein. Es ist kein xbeliebiger Hafen und doch ist er austauschbar. Das Schiff wird bereits erwartet, doch freudig eher nicht. Im Hafen wartet ein Pulk aus Menschen – überwiegend männlich. Es werden Paro len gerufen, die lauter werden, je weiter sich das Schiff dem Ufer nähert. Es herrscht eine aggressive Stimmung. Die Polizei ist angerückt, sogar das Militär. Wer oder was ist auf diesem Schiff, das die Menschen so in Aufruhr versetzt? Werden sie bedroht? Ist es ein Angriff? Welche Gefahr kommt da auf sie zu?
Tatsächlich ist es die Crew von › Women on Waves ‹, die mit einem Schiff Länder anfährt, in denen Schwangerschaftsabbrüche strafrecht lich verfolgt werden. Die Crew aus Ärztinnen und Aktivistinnen nimmt Menschen an Bord, die ungewollt schwanger sind und fährt mit ihnen hinaus ins Niemandsland. Dort nehmen sie ein Medikament, das den Schwangerschaftsabbruch einleitet. In den Niederlanden, unter deren Flagge das Schiff fährt, sind Abtreibungen legal. Laut Schifffahrtsrecht befinden Menschen sich auf niederländischem Staatsgebiet , wenn sie mit dem Schiff auf offener See sind.
Wenn nötig führen wir Abtreibungen auf einem
Schiff auf offener See durch!
Vessel
(engl.) 1. Container, Gefäß 2. Schiff 3. Eine Person, der eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen wird. Im Kontext des Films spielt der Begriff provokant darauf an, dass ein schwangerer Körper in manchen Deutungsweisen nichts weiter als ein Gefäß ist. Gleichzeitig steht der Begriff auch für das Schiff, auf dem die Abbrüche durchgeführt werden und er bezieht sich auf den weiblich gelesenen Körper als Projektionsfläche des Mütterlichen.
Solche Szenen sind zu sehen im Dokumentarfilm » Vessel «, der die Geschichte von › Women on Waves ‹ erzählt. Nun können wir von Glück sprechen, dass wir in einem Land leben, in dem Schwangerschaftsabbrüche nicht strafrechtlich verfolgt werden und für Menschen allerorts zugänglich sind – oder? Im Hafenstädtchen Flensburg spielt sich derzeit etwas ab, das an der Freiheit zur Selbstbestimmung, die in Deutschland herrschen soll, zweifeln lässt. Hier wird ein neues Krankenhaus gebaut. Die zwei bestehenden werden geschlossen, da ein großes modernes Krankenhaus als besser gilt. Doch hoppla, liest mensch richtig? Schwangerschaftsabbrüche sollen dort künftig nicht mehr durchgeführt werden? Beschlossen und gar als Bedingung gestellt hat dies die Kostenträgerin: die katholische Kirche. Und was sollen Personen künftig tun, die schwanger sind und kein Kind haben wollen oder können, aus welchen Gründen auch immer? Es herrscht Ratlosigkeit im Flensburger Rathaus.

Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist nicht verhandelbar
Es wird das Recht auf körperliche Selbstbestimmung angegriffen, wenn der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht gewährleistet oder gar strafrechtlich verfolgt wird. Sozialer Gerechtigkeit wird so eine Absage erteilt. In Flensburg hat dieser Missstand die Dringlichkeit geweckt, ein neues feministisches Aktionsbündnis zu gründen. Seit 2019 stehen Aktivist:innen im Gespräch mit den Entscheidungsträger:innen und kämpfen für die Einhaltung dieses Rechts. Am 28. September jährt sich regelmäßig der bundesweite » Safe Abortion Day «, an dem auf den 150jährigen Widerstand gegen die Gesetzesparagraphen 218 und 219a aufmerksam gemacht wird. An diesem Tag des Jahres 2021 knüpfte der Protest der FemAktion Flensburg symbolisch an das Projekt von › Women on Waves ‹ an: In der Förde schipperte ein Segelboot, auf dessen Segeln ein mittelfingerzeigender Uterus in der Farbe Lila prangte. Daneben stand: » Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung ist nicht verhandelbar. « Die Botschaft dahinter richtet sich an die Entscheidungsträger:innen: Wenn ihr keine Schwangerschaftsabbrüche in Flensburg möglich macht und damit eure Verantwortung einer medizinischen Grundversorgung untergrabt, dann finden wir andere Wege. Wenn nötig führen wir Abtreibungen auf einem Schiff auf offener See durch!
§218
Gesetz zur Freiheitsstrafe. Macht einen Schwanger- schaftsabbruch illegal. Seit 1993 » rechtswidrig, aber straffrei «.
§219a
Strafverfolgung für Ärzt:innen, die öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Der Bundestag strich den Paragrafen im Juni 2022.
Ein Schmuddelthema?!
Das Schiff, das mit gespannten Segeln in den Sommermonaten in der Förde seine Kreise zieht, stellt eine bedeutsame Sichtbarkeit her. Es bringt das Thema unverblümt in die Öffentlichkeit und an der Hafenpromenade inmitten der Stadt direkt in den Alltag der Spaziergänger:innen. Viele Menschen mit oder ohne Uterus wissen oft gar nicht, wie die Lage in Deutschland ist. Antje und Maya von der › FemAktion ‹ berichten, dass sie bei ihren Protesten auf schockierte Gesichter trafen, als sie erzählten, dass Schwangerschaftsabbrüche beispielsweise nicht im Medizinstudium gelehrt werden. Oder dass die Ärzt:innen, die es noch tun, zunehmend in Rente gehen. Oder dass die Kosten nicht ohne weiteres von der Krankenkasse übernommen werden. Oder oder oder. Die Stadt Flensburg bietet als Lösung für den Missstand vor Ort an, ein externes Versorgungszentrum einzurichten. » Aber damit wird wieder mal ein sogenanntes › Frauenthema ‹ externalisiert «, meint Maya. » Es bleibt ein › Schmuddelthema ‹ «, sagt Antje. Latente Diskriminierungen werden oft als gesellschaftliche Gegebenheit hingenommen, erscheinen uns als nicht veränderbar und werden unbemerkt weiter reproduziert. Es braucht weiterhin eine feministische Debatte, um bestehende Machtstrukturen aufzulösen. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung muss geltend gemacht werden.
In gewaltvoller Sprache, Rededominanz und unhinterfragter geschlechtlicher Aufgabenteilung reproduzieren sich ungleiche, nicht freiheitsgemäße soziale Muster.
Feministische Rebellion im Alltag
Mansplaining
Ein Mann erklärt einer meist weiblich gelesenen Person einen Sachverhalt, weil er davon ausgeht, es besser zu wissen, ohne gefragt zu haben, es die Person interessiert oder was sie über die Sache weiß.
Neben der Forderung nach systematischen Veränderungen, plädiert die › FemAktion ‹ noch für eine weitere, ebenso wirksame Form von Aktivismus: feministische Rebellionen im Alltag. Zentral ist dabei ein wertschätzendes Miteinander in jeglichen sozialen Räumen. Denn dass Feminismus nicht bei der Emanzipation der Frau enden darf, zeigt sich nicht nur in großen Debatten, sondern immer wieder im Kleinen.
Um neue Umgangsformen im Alltag zu etablieren, führt kaum ein Weg daran vorbei, Personen immer wieder auf ihr nicht wertschätzendes Verhalten aufmerksam zu machen. In gewaltvoller Sprache, Rededominanz und unhinterfragter geschlechtlicher Aufgabenteilung reproduzieren sich ungleiche, nicht freiheitsgemäße soziale Muster. Um sich dabei nicht alleine zu fühlen, gilt es sich zu vernetzen (» Bildet Banden! «), denn gemeinsam sind Menschen stärker und Situationen lassen sich zusammen umfänglicher reflektieren. Maya empfiehlt, immer auf Augenhöhe zu kommunizieren. » Ich versuche Menschen nicht anzugreifen, sondern deutlich zu machen, dass auch ich diese Denkstrukturen und Verhaltensweise in mir trage. Dadurch versuche ich verständlich zu machen, dass nicht die Person, die ich gerade kritisiere, falsch oder schlecht ist, sondern dass es ein strukturelles Problem ist und es möglich ist, auszusteigen. « Auch Antje versucht, Personen erst einmal freundlich darauf hinzuweisen, wenn ihr Verhaltensweisen wie zum Beispiel » Mansplaining « auffallen. » Wir haben den Feminismus auch nicht gepachtet, sondern begeben uns immer wieder in den Prozess. « Diese Handlungen brauchen vor allem Mut und dafür braucht es Training und Support. Maya hat dafür einen Tipp: » Ich frage mich in Situationen oft: Wenn du heute Abend ins Bett gehst, wirst du dich ärgern nichts gesagt zu haben? Wenn die Antwort Ja lautet, sage ich etwas. Natürlich nicht immer perfekt, aber immerhin habe ich etwas gesagt. «
Alte Leier versus Transformation
Dass wir alle ein Miteinander reproduzieren, dass oftmals nicht auf Verständnis und Verbindung abzielt, liegt vor allem an unserer Sozialisation. Es lohnt nicht irgendjemandem die Schuld zuzuweisen, denn die Reproduktion von Normen und Werten verläuft in der Regel unbewusst. Das Bewusstmachen stellt daher den ersten Schritt dar. Medien sind in der Sozialisation von Jugendlichen und Kindern eine besondere Kraft, die entweder reproduzierend oder aber transformierend wirken kann. Filme, Serien und Videospiele vermitteln überwiegend auf Herrschaft basierende Werte. Sie müssen deswegen nicht gleich aus dem Alltag verbannt, sollten aber thematisch eingeordnet werden. Die feministische Empfehlung lautet hier: Sprecht miteinander und erklärt die Dinge ganzheitlich und so wie sie sind.
Der » Male Gaze « in Medien diverser Art unterstützt beispielsweise ein Verhältnis zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität, das auf Trennung und Bewertung basiert. Dabei steht das Konzept der Liebe doch eigentlich für Verbundensein.
Male Gaze
Männlicher, meist sexistischer Blick auf weiblich gelesene Personen, der bei der Kameraführung angewandt wird.
Die › FemAktion ‹ und andere feministische Bündnisse auf der ganzen Welt können durch den Ansatz der » Transformativen Gerechtigkeit «, der sich in den Tipps von Maya und Antje zeigt, zu einem Miteinander fernab von Macht und Herrschaftsverhältnissen beitragen. Jenseits des Konzepts von hierarchischer Ordnung hat auch das Recht auf körperliche Selbstbestimmung eine reelle Chance, unantastbar zu sein. Feminismus zeigt sich in vielen Nuancen und kann mitunter ausgrenzend gegenüber bestimmten Gruppen sein. In Flensburg zeigt sich eine andere Form: ein Feminismus, der für alle da ist und von dem alle profitieren.
» Transformative Gerechtigkeit « beschreibt ein Konzept der Konfliktlösung, das auf Verbindung statt auf Trennung basiert. Das Konzept der klassischen Bestrafung wird dadurch in Frage gestellt. Angewandt im Alltag hat es Auswirkun-gen auf gesellschaftliche Normen und Werte.
Text: Imke Langmann
Bild: Lindsey LaMont on Unsplash
Zur Person
Interviewpartner:in
Antje und Maya sind Mitglieder der Feministischen Aktion Flensburg. Antje ist Sozialarbeiterin und arbeitet mit Frauen, die Gewalt erfahren haben. Maya studiert Soziale Arbeit. In einer Gruppe aus ca. 20 Personen gestalten sie feministischen Protest in Flensburg.
Weiterlesen
Frauenmediaturm
Kampf um das Recht auf Abtreibung ab den 1970er Jahren.
transform-magazin.de/fmt
Alles über Liebe – Neue Sichtweisen
Die bekannte Wissenschaftlerin, Kulturkritikerin und Feministin, bell hooks, entwirft eine neue Ethik für unsere Gesellschaft der Lieblosigkeit.
bell hooks, HarperCollins, 2021
Everybody. A book about Freedom
A moving and clear-eyed history of bodily freedoms that takes as its central character Wilhelm Reich, inventor of the orgone accumulator.
Olivia Laing, Norton, 2021
Sei kein Mann
In der Ära von Trump, #MeToo und Attentätern wie in Halle oder Hanau ist Männlichkeit kein positiver Begriff mehr. Der Aktivist JJ Bola sucht Auswege aus der Krise.
JJ Bola, Hanserblau, 2020
Boy don’t cry: Identität, Gefühl und Männlichkeit
Dieses Buch ist für alle, die in irgendeiner Weise von Männlichkeit betroffen sind. Also ist es für alle.
Jack Urwin, Edition Nautilus GmbH, 2017
Handeln
Frauen*streik
Termine für feministischen Protest.
frauenstreik.org
Netzwerk F
Feministisches Netzwerk für politisch aktive Frauen, nicht-binäre Menschen und solche, die es werden wollen.
netzwerkf.org
Kritische Männlichkeit
Ein Blog für pro-feministische Männer.
kritische-maennlichkeit.de
Media
Instagram
Feministische Netzwerk- und Aktionsgruppe in Flensburg.
instagram.com/femaktionflensburg
Dokumentarfilm » Vessel «
vesselthefilm.com
Pop Culture Detective
Audio Files is a podcast series offering a critical look at the meaning and messages embedded in movies, tv shows, and video games.
transform-magazin.de/yt7
› BRUST RAUS ‹
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transform-magazin.de/yt8