Was tun, wenn Rechte den Pride-Month der queeren Community als Stolzmonat kapern wollen? Na, den Stolzmonat kapern!
An einem Sommerabend steht Fabian Grischkat im Türrahmen und senkt den Altersdurchschnitt einer Abendveranstaltung. Er ist 24 Jahre alt – was weniger interessant ist, als das, was er macht. Grischkat bezeichnet sich selbst als Newsfluencer und will in der Queer-Community neue Themen setzen: »Es ist gut zu sagen, wen wir lieben. Aber um den politischen Kampf, um den Abbau der ganzen Hürden und positive Gegenmodelle geht es zu selten.« Mit seinen Beiträgen zu queeren Themen oder aber Klimaschutz erreicht er auf Instagram 146.000 Follower:innen.
Dieser politische Kampf wird im Pride-Month Juni besonders sichtbar. Seit den Stonewall-Protesten 1969 wird in diesem Monat demonstriert und gefeiert. Unter der wörtlichen Übersetzung von Pride-Month, Stolzmonat, tauchen in den Social-Media-Kanälen seit 2023 allerdings queerfeindliche und rechte Inhalte auf. Deutschlandfahne statt Regenbogenflagge. Genauer: Accounts auf X, vormals Twitter, und anderen sozialen Netzwerken umrahmen ihr Profilbild mit Abstufungen der Nationalfarben, als Verächtlichmachung des Regenbogens.
Stolzmonat wurde auf Nationalstolz reduziert. »Es gibt durchaus auch queere Menschen, die auf vieles stolz sind in diesem Land. Zwar sind queere Menschen die einzige, von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppe, die nicht explizit in Artikel 3 des Grundgesetzes geschützt wird, aber immerhin gibt es einen Queer-Beauftragten, die Ehe für alle und seit diesem Jahr ein Selbstbestimmungsgesetz«, sagt Fabian Grischkat, »Aber diese Bewegung ist international. Wir dürfen den Rechten auf keinen Fall den Pride-Month – auch nicht die wörtliche Übersetzung – überlassen.«
»Natürlich habe ich das nicht alleine gemacht«
Fabian Grischkat meldete daraufhin Stolzmonat beim europäischen Marken- und Patentamt an. »Natürlich habe ich das nicht alleine gemacht. Wer kennt sich schon damit aus? Ich hörte mich in meinem Umfeld um – und so kam das Eine zum Anderen.« Der Influencer tat sich mit Dr. Maximilian Oehl zusammen. Oehl gründete Brand New Bundestag und jüngst eine Agentur. Auch die Kanzlei Beiler Karl Platzbecker & Partner unterstützte mit Rat und Tat. Die Befürchtung: Der Begriff Stolzmonat könne zu generisch sein, um als Marke geschützt zu werden. Doch ist die Wortschöpfung im Gegenteil zu stolzer Monat ein Eigenname . »Zudem ist eine Verwendung auf Textilien klar im Sinne einer Marke«, sagt Grischkat. Der konzeptionierte mit seinen Unterstützenden einen Onlineshop. Auf stolzmonat.net gibt es seitdem Stolzmonat-Shirts, Buttons und Aufkleber zu kaufen. Das der Shop läuft ist wichtig, denn die Marke muss genutzt werden, um die Rechte daran nicht zu verlieren.
Viele Produkte in dem Onlineshop sind inzwischen ausverkauft. Die Gewinne werden an die queere Bundesstiftung Magnus Hirschfeld gespendet. 10.000 Euro kamen bisher so zusammen. Zwar wurden die Markeneintragungen vor Gericht angefochten – das jedoch bisher erfolglos. Rechtskonservative bis offen rassistische und homophobe Accounts mit Deutschlandflaggen-Umrandung machten ihrem Unmut lautstark, teils strafrechtlich relevant und oft ungesühnt auf X Luft. Sie befürchteten eine Abmahn-Welle gegenüber rechter Onlineshops durch Grischkat und Team. Doch die haben gar kein Interesse daran. »Wir wollen uns schlicht unseren Monat, unsere Symbolik und unseren Namen nicht nehmen lassen«, so der Influencer.
Brand New Bundestag ist eine 2019 gegründete, überparteiliche politische Initiative, die junge Politiker:innen mit dem Ziel unterstützt, ihnen den Einzug in Parlamente auf Bundes- und Landesebene zu ermöglichen.
Der schwule, jüdische Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868-1935) gründete und leitete ab 1919 das
Institut für Sexualwissenschaft in Berlin – weltweit das erste dieser Art. Zeitlebens setzte er sich gegen die Kriminalisierung und Pathologisierung von Homosexualität ein. Seine
Arbeit zum dritten Geschlecht und Lehre von den Zwischenstufen wird als ein Grundstein der Queer-Theory gesehen. Am 10. Mai 1933 wurden seine Publikationen von den Nazis verbrannt. Er selbst blieb nach zahlreichen Angriffen und Warnungen im Exil.
»Im Juni, zur Zeit des Pride-Months, also des Stolzmonats gibt es viele nette und na klar, auch ein paar geheuchelte Social-Media-Beiträge. Und natürlich ist es mit Postings auch nicht getan«, so Fabian Grischkat. »Fest steht aber: Für rechtes Gedankengut ist es der falsche Ort. Es geht um die Diversität und zugleich die Gemeinsamkeit aller Menschen.«
Zur Person
Fabian Grischkat experimentierte mit dem Erstellen eigener Inhalte bereits mit 12 Jahren. Die Ergebnisse blieben dabei nicht einer Kernfamilie vorbehalten: Zusammen mit zwei Freunden gründete er das Comedy-Trio Grischistudios. Auf deren YouTube-Kanal veröffentlichten sie zwischen 2013 und 2019 rund 400 Videos für ihre 300.000 Abonnent:innen. Heute ist Grischkat eher solo unterwegs. Er bearbeitet zahlreiche gesellschafts- und umweltpolitische Themen. Im Rahmen der Pride Night, der offiziellen Eröffnung des Hamburger CSD, wurde der Grischkat mit dem Ehren Pride Award 2024 ausgezeichnet.
Text: Marius Hasenheit
Foto: naeeeem bei Pixabay (gemeinfrei)
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Studie zum Pride Month: LGBTQIA+-Rechte weltweit unter Druck, in Deutschland hohe Akzeptanz und neue Brüche. Ipsos, 2024 (Link)
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