Von Sieben, die auszogen, um sich ihren Raum zu nehmen

Übung macht die [von Geschlechterrollen befreite] Meisterin. Diese sieben Personen holen sich auf verschiedene und inspirierende Arten ihren Körper und ihren Raum zurück.

Talea und der Blickkontakt

Talea schaut Fremden bewusst in die Augen. In der U-Bahn, im Club, im Café – diese Momente, in denen man sich gegenseitig wahrnimmt, kurz, verbindend. Blickkontakt ist für sie eine Möglichkeit, unverbindlich mit Menschen in Kontakt zu treten, mit denen sie sonst wenig Lebensrealität teilt. Und eine wichtige Form, an Öffentlichkeit und Gesellschaft teilzuhaben. »Es tut gut, sich selbst diesen Raum zu nehmen, und es tut auch gut, anderen diesen Raum zu geben.«

Warum fällt das manchen so schwer? »Ich glaube, dass es sehr schwierig ist, als Frau Signale zu senden, die nicht gleich als Einladung für romantischen oder sexuellintimen Kontakt gelesen werden.« Auch Taleas Blicke werden manchmal missverstanden. Manche reagieren lasziv flirtend, Blicke die sagen »Na, du und ich, wie wär’s?« Warum sie Fremde weiterhin geradeheraus anschaut? »Vielleicht fehlt mir da ein Schutzmechanismus«, scherzt sie. Vielleicht ist sie sich ihres Schutzes aber auch einfach sicherer als andere. Wo Menschen unangemessen reagieren, hat sie keine Hemmungen, abschätzig zurückzuschauen oder klar den Kopf zu schütteln. Wen der Gedanke an derartige Konfrontationen abschreckt, der könne aber auch erstmal mit anderen Frauen Blickkontakt suchen. »Ich fühle mich dadurch selbstbewusster in der Öffentlichkeit. Und ich glaube, es ist auch wichtig, dass es Frauen in der Öffentlichkeit gibt, die den Blick nicht senken und dich geradeheraus anschauen. Die sich ihren Raum nehmen, die teilnehmen. Dass es eine Präsenz gibt, die nicht nur flirten beinhaltet.«

Zeynep und die Clubtür

Zeynep arbeitet neben dem Studium als Türsteherin im Berliner Club ›://about blank‹. Sie sagt: Die Tür ist nicht der Ort, um selbstbewusstes Auftreten erst zu erlernen. Türarbeit ist in erster Linie Lohnarbeit mit einem Sicherheitsauftrag für die Gäste. Obwohl sie die Arbeit bereits mit körperlicher Fitness und Selbstbewusstsein angetreten ist, haben die alltäglichen Gewalterfahrungen an der Tür geholfen, Situationen besser einzuschätzen und mit komplexer Interaktion umzugehen. Auch hat Zeynep ihren Umgang mit Gewalt gefunden.

Sowohl der Gewalt anderer: »… uns werden keine Eins-gegen-Eins-Kämpfe angedroht, sondern du kriegst dann ein ›Ich fick dich!‹ oder Vergewaltigungsandrohungen anderer Couleur.« Als auch mit der eigenen: »…du musst dir bewusst sein, dass du in diesem Job Gewalt anwenden musst um dich, dein Team und die Gäste zu beschützen. Dadurch erlangst du eine Machtposition, die du normalerweise gar nicht einnehmen wollen würdest.« Zwei Dinge geben ihr hierbei Sicherheit. Erstens, an ihrer physischen Stärke zu arbeiten und einen reflektierten Umgang mit ihr zu finden. Zweitens, das Team mit dem sie für die Sicherheit im Club sorgt, das sich unterstützt und sich frei von Stereotypen auf Augenhöhe begegnet. So ist Türarbeit empowernd für sie – aber auch für andere. Mit Blick auf die Grenzüberschreitungen, die sie selbst früher in Clubs erlebt hat, stellt sie fest: »Es wäre cool gewesen, eine Frau an der Tür zu haben, bei der ich keine Hemmungen gehabt hätte, nach Hilfe zu fragen.« Statt von Typen ein »Ach, stell dich nicht so an« zu hören. Der politische Anspruch und die Unterschiedlichkeit im Team sind wichtig, damit die Gäste besser abgebildet werden und sich beim Feiern sicher fühlen. Diversität an der Tür ist daher auch empowernd für ein diverses Clubpublikum.

Schahrsad und das Kickboxen

Schahrsad ›Prinzessin‹ Shahmirzadi ist Polizistin und mehrfache Weltmeisterin im Kickboxen. Während ihre Eltern von der Auswahl des Sportes zuerst wenig begeistert und stark besorgt waren, hat sie den Sport von der ersten Sekunde in ihr Herz geschlossen: »Die vielseitigen Bewegungsabläufe, die Box- und Kicktechniken, die Grundausdauer, die verschiedenen Stile.

Kein Kampf sieht gleich aus, niemand kämpft gleich, man muss sich innerhalb von Sekunden auf eine neue Situation einstellen.« Eine Erfahrung, die Mädchen wie Jungen machen sollten: »Wir haben verschiedene Rollenbilder in dieser Gesellschaft. Dadurch fehlen manchmal einfach Informationen. Deshalb kann ich jedem nur raten, sich vielfältig auszuprobieren.« Schahrsad hat der Sport resilienter gemacht und sicherer. Sie kennt ihre Leistungsgrenzen, hat Liegestütze fortgesetzt, wenn andere schon auf dem Boden lagen und weiß um die enorme Wichtigkeit gegenseitigen Respekts. Dass man ihrem muskulösen Körperbau ihre Liebe zum Kickboxen ansieht, findet sie in Ordnung: »Es ist ja auch gut, besonders zu sein.«

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Dieser Text ist Teil unserer siebten Ausgabe. In der geht es um Körper in all ihren Formen und Farben, das Recht auf Selbstbestimmung, den Körper als Waffe und warum spritzende Vulven eine politische Dimension haben.

Jen und die Clubtür

Jen ist Türsteherin und Türchefin im Berliner Club ›SchwuZ‹ sowie selbstständige Mediatorin, Supervisorin und Coach für Empowerment, Awareness und Kommunikation. Die Arbeit an der Tür beschreibt sie als herausfordernd – und komplexer als viele erwarten. Statt auszuteilen, ginge es darum, das Gegenüber einschätzen zu können, dessen Gesicht zu wahren und die Situation zu deeskalieren: »Eigentlich geht es in unserer Arbeit darum, brenzliche Situationen – jede Schreierei, jede Schlägerei, jeden Flaschenwurf – zu vermeiden.«

Die perfekte Türsteherin behält daher den Überblick, ist freundlich aber bestimmt, körperlich fit, verantwortungsbewusst und gut in zwischenmenschlicher Kommunikation – sowie Resultat eines guten, diversen und reflektierten Teams, guter Trainings und der richtigen Strukturen. In ihrer Arbeit nutzt Jen ihren Körper als Vehikel der eigenen Präsenz und als Stabilisator. Blickkontakt signalisiert Stärke und informiert über den Zustand der anderen Person. Auch eine laute und ruhige Stimme hilft. Sich körperlich verteidigen zu können sei wichtig, dies auszustrahlen aber noch wichtiger: »Du musst wissen: In letzter Konsequenz mache ich dich platt. Dieses Wissen reicht meistens.« Die Herausforderungen und Konfrontationen ihrer Arbeit haben Jen verändert. Sich selbst laut rufen zu hören fühlt sich inzwischen natürlicher an, sie hat ein anderes Vertrauen in ihren Körper und seine Fähigkeiten. »Ich merke, dass ich nachts stabiler durch die Straße laufe – auch in meinen Mediationen und Workshops stehe ich anders.«

Adrian und die Drag-Performance

Adrian wurden mir als ›House Mother‹ des ›House of Living Colors‹ vorgestellt, dem Berliner Drag-Kollektiv queerer Black People of Color. Unter dem Künstler:innennamen ›GodXXX Noirphiles‹ machen Adrian, die sich als non-binary identifizieren, Performance-Kunst zu Rassismuserfahrung und Geschlechtsidentität sowie deren Überschneidungen. Adrian lässt keinen Zweifel daran, dass es von einer afro-amerikanischen, christlichen Kindheit über die Schauspielerei und die Fragen nach der eigenen Identität, Sexualität und Wirkung auf andere, bis hin zum mühelosen Supermarktbesuch im durchsichtigen Overall, kein leichter Weg war.

Aber ein wichtiger: »Ich denke, Performance hat mich dahin gebracht, Frieden mit meinem Körper zu schließen«, denn auf der Bühne, in Kostümen aus Müll, Bauarbeiterweste, High-Heels und Vollbart twerkend geben sie diesen Elementen, ihrem Körper und ihrer Geschlechtsidentität eine neue Bedeutung. Hypersexuell! Aggressiv! Magisch! Sich diesen Erwartungen und Zuschreibungen einer weißen cis-heteronormativen Gesellschaft nicht unterzuordnen, sondern Assoziationen und Regeln in ihrer Arbeit selbst zu schaffen, sich die Deutungshoheit zurückzuerobern, ist, was ›Raum einnehmen‹ für Adrian bedeutet. Umstände, die Schwarzen Menschen selten geboten werden und die sie an präkoloniale Zeiten erinnern, als Schwarze Menschen noch frei von Zuschreibungen leben konnten. Sagen zu können, was passiert, fühlt sich so stark, so kraftvoll an: »Endlich müsst ihr einmal still sein. Endlich müsst ihr mir zuhören.«

Sunny und die Selbstverteidigung

Sunny Graff ist Juristin, Taekwondo-Großmeisterin und Frauenrechtsaktivistin. In den 1970ern begann sie in Ohio ihre Arbeit gegen Gewalt an Frauen, gründete Gesprächsgruppen, richtete Notfalltelefone für vergewaltigte Frauen ein und erarbeitete eines der ersten feministischen Programme zur Prävention von Vergewaltigung in den USA. Sunny hat Freundinnen durch Femizide verloren, mit unzähligen Opfern von Gewalt gesprochen und den Kampf für ein gewaltfreies Leben nie aufgegeben.

Sie macht klar: Gewalt gegen Frauen ist nie Einzelfall, sondern Symptom und Manifestation von gesellschaftlichen Systemen, die Frauen klein zu halten versuchen – auch durch permanente Gewaltdemonstration und -androhung. Das können unverhohlene Blicke sein, Kommentare oder physische Nähe ohne Konsens. Es gilt, im Denken wie im Handeln, die Geschichten, Bilder und Rollen über Frauen, die wir lernten, zu hinterfragen und neu zu schreiben. Frauen müssen nicht gefallen. Frauen sind nicht hilflos. Frauen können schreien. Frauen können Angreifer richtig verletzen. In ihren Selbstverteidigungs-Workshops sieht sie regelmäßig, wie Teilnehmerinnen in bedrohlichen Situationen, in denen sie zuvor einen sich selbstbewusst verteidigenden Mann spielten, in der Frauenrolle verunsichert und hilflos auf Aggression reagieren. Ihre Erkenntnis: »Es fehlt uns nicht an den Fähigkeiten – durch unser Rollenbild sind wir im Kopf gehemmt.« Seit fast einem halben Jahrhundert arbeitet Sunny daran, mit Frauen neue Einstellungen zu erarbeiten: »Sag, was du willst, erwarte Respekt, leiste Widerstand – die Revolution fängt in uns an.«

Eva und die Politik

Eva ist Landtagsabgeordnete der Grünen und in ihrer Arbeit viel mit Rollenklischees konfrontiert: »Eine junge Frau in der Politik ist scheinbar für viele schwer vorstellbar«, fasst sie zusammen. »Der Gedanke, dass eine Frau mit 28 sich eher um Familiengründung oder einen sozialen Beruf kümmern sollte, ist noch immer tief verankert.« Auch, dass sie eine kompetente politische Meinung vertritt, würde aufgrund von Alter und Geschlecht schnell in Zweifel gezogen.

Das Anarbeiten gegen derlei Zuschreibungen ist anstrengend. Gleichzeitig bestärkt es sie in ihrem Entschluss, als Vorbild für eine neue Art, Politik zu machen, voranzugehen. Sie will zeigen, »dass kollegial, lösungssuchend und vermittelnd aufzutreten genauso legitim ist, wie der konfrontative, einfordernde Stil, der manchmal als optimal dargestellt wird.« Gleichzeitig sieht sie in ihrer Arbeit auch, wie Frauen, die sich nie bewusst mit dem ihnen antrainierten Verhalten auseinandergesetzt haben, sich automatisch zurückhalten und auf dem Podium oft unterbrochen oder nicht gehört werden. Wie empowert man in diesem Umfeld sich und andere? Indem man sich gemeinsam vorbereitet, die Redebeiträge der anderen unterstützt und hervorhebt und: weitermacht. Denn mit der Erfahrung kommt das Selbstvertrauen, Verantwortung zu übernehmen, Großes anzugehen.

Text: Chiara Marquart-Tabel
Bild: Isabella Marquart und Lyle Hastie on Unsplash

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