Mit Körpern sprechen

Was bedeutet es nochmal, wenn sie sich an die Nase fasst und er die Beine überschlägt? Immer mehr Menschen wollen sich wohl bestens mit Körpersprache auskennen, wie es die Vielzahl an Websites, Videos und Bestsellern dazu nahelegt. Ein Plädoyer für etwas Zurückhaltung.

Wir alle sprechen zwei Sprachen. Eine gesprochene Sprache und Körpersprache. Letztere begleitet die Menschheit seit dem ersten Tag und ist laut Prof. Claudia Finkbeiner, die an der Universität Kassel zu ›Language & Cultural Awareness‹ forscht, auf drei Arten geprägt: kulturell, persönlich durch erlerntes Verhalten ohne Bezug zum kulturellen Hintergrund eines Menschen und schließlich durch vererbte menschliche Grundreaktionen. Viele kleine Details in unserer Mimik und Gestik, Körperhaltung und Bewegungen sowie unsere Position in einem Raum zeigen unseren Mitmenschen, wie wir uns fühlen und was wir (über sie) denken. Lächeln oder Stirnrunzeln, hängende Schultern oder intensiver Blickkontakt sind besonders eindeutige Signale für Freude oder Skepsis, Kraftlosigkeit oder Aufmerksamkeit. Wenn eine Person in Tränen ausbricht, wissen ihre Mitmenschen intuitiv, dass es ihr nicht gut geht und bieten wahrscheinlich Hilfe an. Denn das ist ebenso wie eine gerunzelte Stirn oder eine friedvoll geöffnete Hand Teil der Körpersprache, die in den meisten Ländern dieser Welt ›gesprochen‹ wird.

Ganz anders sieht es etwa beim gehobenen Daumen aus. Im Nahen Osten, Kolumbien, Teilen von Westafrika und Sardinien gilt er nicht als Zustimmung oder Lob, sondern als Beleidigung. Deshalb warnt Claudia Finkbeiner vor der unreflektierten Bewertungen der Körpersprache unserer Mitmenschen. »Es wird oft bewertet, ohne den Kontext in Betracht zu ziehen. Also immer gemäß der eigenen kulturellen und erlernten Prägung, was oft zu Missverständnissen führt«, sagt sie. Sich der Wirkung der eigenen Körpersprache bewusst zu sein ist also bestimmt nicht falsch. Wir alle möchten schließlich anerkannt und verstanden werden.

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Dieser Text ist Teil unserer siebten Ausgabe. In der geht es um Körper in all ihren Formen und Farben, das Recht auf Selbstbestimmung, den Körper als Waffe und warum spritzende Vulven eine politische Dimension haben.

Doch abseits von kulturellen und universellen Codes dient das Studium der Körpersprache schon seit Hunderten von Jahren auch zum Eigennutz. »Wie der Mund dem Ohr zuflüstert, so flüstert die Bewegung dem Auge zu«, schrieb Francis Bacon 1605 und meinte, dass die Menschen im Vorteil seien, die Gesten und Mimik anderer verstehen könnten. Was Bacon wahrscheinlich noch als allgemeinen Ratschlag formulierte, verwenden manche Menschen heute ziemlich egoistisch. Sie wollen mit Wissen über die eigene und fremde Körpersprache maximale Vorteile für sich selbst herausholen – von Gehaltsverhandlungen bis hinein in private Beziehungen.

Laut diversen Bestsellern und Klickhits im Internet ist ein flüssiges Verständnis von Körpersprache Pflicht im ›Wortschatz‹ erfolgreicher Menschen im Jahrhundert. Die Angst scheint groß zu sein, im Büro ohne ›Power Posing‹ nicht genug Respekt entgegengebracht zu bekommen. Oder dass das Date ohne genügend Übung im ›Facereading‹ schief laufen könnte. »Viele Menschen verbauen sich Karrierechancen wie privates Glück durch falsche Körpersprache«, heißt es doch tatsächlich in der Werbung zu einem Ratgeber, der zeigen will »wie du Menschen manipulieren kannst« ohne selbst »durchschaut« zu werden. Und in Bestsellern wie ›Menschen verstehen und lenken‹ bringt Ex-Agent Joe Navarro hunderttausenden Leser:innen angebliche FBI-Methoden bei. Zwischen guten Ratschlägen für souveränes Auftreten und solchen Kontrollfantasien liegen freilich Welten. Manipulation. Menschen lenken. Undurchschaubarkeit. Können wir so miteinander kommunizieren wollen? Schon das Nachdenken darüber ist ein Angriff auf Empathie und ehrliche Zwischenmenschlichkeit. Als Maßstab für sozial konstruktive Körpersprache sollten am ehesten Hausärzt:innen oder Grundschullehrer:innen gelten, die mit ihrem Auftreten natürlich Vertrauen und Respekt erzeugen wollen, dabei aber das Vorankommen aller zum Ziel haben.

» Ohne Körpersprache wäre soziales Miteinander unmöglich.

»Der unbewusste Fokus des Menschen auf körpersprachliche Signale führt sehr oft zu einer ›Wettbewerbsverzerrung‹«, meint Claudia Finkbeiner etwa mit Verweis auf hochkompetente, aber introvertierte Menschen, die sich mit einer weniger kompetenten, aber körpersprachlich gekonnt inszenierten Person messen müssen – und dabei verlieren. Immerhin wirkt antrainierte Körpersprache auf viele Menschen durchaus als gekünstelt und unaufrichtig, sagt sie. Und eine Studie des Allensbach-Instituts und der Universität Mainz fand 2007 zu erfolgreichen Redner:innen heraus: Die beste Körpersprache bringt dir nichts, wenn du nichts zu sagen hast.

Text: Jonas Mayer
Bild: Corinna Mayer

Quellen

Kommunikation: Körpersprache
Planet Wissen der ARD gibt eine gute allgemeine Einführung in das Thema Körpersprache ohne allzu sehr zum Ratgeber zu werden.
tfmag.de/koerpersprache | planet-wissen.de

Auf den Inhalt kommt es an
Eine Studie von Allensbach-Institut und Universität Mainz zeigt, dass auch die beste Körpersprache kein Garant für einen überzeugenden Auftritt ist.
tfmag.de/allensbach | presseportal.de

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