Wachstum geht immer!

Die Kritik am Wirtschaftswachstum nimmt zu. Sie hat recht und ist fundiert, schon rein logisch kann ein endloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten nicht funktionieren. Und dennoch hält sich die Idee des “immer-mehr-und-immer-weiter-so” bisher trotzdem souverän im Sattel. Dies liegt sicher auch an gegebenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, keine Frage. Aber die Idee des Wachstums sitzt vor allem so fest in den Köpfen weil sie so schön einfach ist, bzw. so schön und einfach ist. Die Idee des fortwährenden Wachstums besticht durch ihre simple Attraktivität und der Illusion: alles ist möglich!

Ein Stück von Unendlichkeit

Wachstum ist ein geniales Ziel. Wachstum lässt sich immer anstreben und wird zugleich nie abschließend erreicht. Wachstum geht immer.

Eine Versprechung von Unendlichkeit in der endlichen Welt
Man hat immer was zu tun und nie die Sorge, was zu tun ist, wenn man dort ankommt. Das Ziel kann gar nicht erreicht werden, das Ziel wandert mit einem mit, ist immer ein Stück voraus, wie die Karotte vor der Nase des Esels, der den Wagen zieht. Dieses Jahr Wachstums erreicht? Gut, dann soll nächstes Jahr das Wachstum wachsen. Welch eine geniale kohärente Sinnkonstruktion. Und mit guter Begründung: es wird uns allen besser gehen! Es wird immer mehr und immer besser – ein bisschen größer, höher, goldener. Eine Versprechung von Unendlichkeit in der endlichen Welt. Das ist schon sehr sexy.

 

Das unersättliche innere Kind

Nun könnte man einwenden, so dem Wachstum zu huldigen, sei doch genau deshalb ein bisschen kindisch. Nur ein kleines Kind will immer mehr (z.B. Schokolade) und glaubt, dass das geht: die Welt scheint noch unbegrenzt, das Verlangen ist unersättlich. Und während das Kind in der Realität lernt, dass es eben doch nicht so recht geht, weil da noch andere Menschen und einige andere Barrieren sind (z.B. Bauchschmerzen aufgrund einer Schokoladen-Überdosis). Trotzdem steckt dieses Kind doch noch in uns und wird gelockt und am Leben erhalten mit dem Versprechen vom Weihnachtsmann, äh, Wirtschaftswachstum.

 

Statussymbole als Insignien des Glücks

Und um zu sehen, was der Wachstumsmann alles gebracht hat, gibt es so schöne einfache Indikatoren wie das BIP: Eine Zahl, volle Aussage. In Bhutan braucht die Regierung über 130 Fragen, um die Bevölkerung über das Glück zu befragen und die Ergebnisse sind trotzdem oder gerade deshalb oft vage. Privat stehen ebenso die Indikatoren des materiellen Wohlstands lobenswert einfach zur Seite.  Ein Blick auf mein Konto, Haus, Auto genügt und ich weiß wie zufrieden ich mit meinem Leben sein kann! Und es kann immer größer=besser werden!

 

Vom Wachstum zu guten Leben

Moment, aber das ist doch alles banal, es geht beim Wachstumsversprechen doch um die Frage von Glück und dem guten Leben!?! Ja, eigentlich schon, aber…

Wie sich so ein Leben nun gut leben lässt, darüber zerbrechen sich die Philosophen seit Jahrtausenden die Köpfe. In den letzten Jahrzehnten kommt die sogenannte Glücksforschung hinzu gelaufen, allen voran die Psychologen, welche gerne Rezepte ausstellen, wie sich das eigene Leben optimieren lässt, andere Einstellungen und positive Sichtweisen das Leben besser, schöner und „glücklicher“ machen. Da darf/soll ich mich um ein friedliches Miteinander mit meiner Familie kümmern, einen guten Freundeskreis pflegen, eine sinnvolle Arbeit haben, die mich fordert aber nicht überfordert, dazu noch Muße finden für kreative Beschäftigung und mich zudem mit spirituellen Dingen befassen. Schon ist das gute Leben fertig.

Hallo? Hat schon mal jemand dieser Ratgeberschreiber*innen mit Punkt eins angefangen und ist erfolgreich fertig geworden, bevor das eigene Leben vorbei war?

Das kleine Glück des Konsums

Das Leben ist recht kurz und auch sonst begrenzt. So eine umfassende Matrix des guten Lebens ist einfach zu kompliziert – und zudem scheint sie sich wie die Matrix im gleichnamigen Film auch von Geisterhand immer zu verändern, spätestens sobald man glaubt nun auf dem Glücksweg angekommen zu sein.

„Wer sagt Geld, mache nicht glücklich, weiß es nur nicht richtig auszugeben“
  Entsprechend punktet das kleine Glück des Konsumobjekts umso mehr, das Güterleben bietet wenigstens einen Hauch des guten Lebens. Der Materialismus tröstet über so manchen Mangel hinweg und bringt mir immerhin Spaß und Freude. „Wer sagt Geld mache nicht glücklich weiß es nur nicht richtig auszugeben“ besagt ein bekannter Spruch.

Selbst für bescheidenere Lebensstile bietet die Wachstums- und Warenwelt Orientierung: Es gab in den späten 1980er Jahren einen Werbeclip der Firma Volkswagen, der im simplen Slogan „Sag doch einfach wir fahren Golf“ kulminierte. Genial einfach. Das ganze Leben, alle Ideen, Träume, Werte sind im Namen eines Automobils repräsentiert, das millionenfach produziert wird. Und wer es schafft, fährt eines Tages Porsche. Yeah. Dann musst du nicht mal sagen „Ich fahre Porsche“ – Du strahlst es aus und bist auf dem Heldenlevel angekommen. Sieger.

Überhaupt, das Beispiel Auto, ein zentrales Fetischobjekt unserer Zivilisation. Ein so klarer und aussagekräftiger Indikator! Dahinter steht die einfache Formel: Mehr PS, mehr Spaß, mehr Respekt. Da kann kein Fahrrad mithalten und erst recht keine Fahrt mit Bus oder Bahn. Ist einfach cooler, so’n Sportwagen.

 

Ökoaskese macht einfach zu wenig Spaß!

Und da hängt es mit dem Postwachstum. Ja, urbanes Gärtnern ist toll, ich will auch gerne meine eigenen Tomaten vom Balkon futtern. Aber ich will auch Thaicurry – und zwar direkt in Thailand…oder Surfen auf Bali oder New York sehen oder oder oder – ich will Möglichkeiten haben und gerne immer mehr davon. Ein Ökoeinsiedlerleben wäre sicher besser für den Planeten, aber sicher nicht für mich. Sorry.

Die Ökoasketen behaupten ja vielleicht zurecht, dass Konsum nicht glücklich macht, aber Spaß macht er allemal. Und Spaß ist schon einiges im Leben, vor allem wenn es mit dem Glück nicht so leicht dahergeht.

Der Materialismus bietet mir das kleine Glück im hier & jetzt
 Shoppen bringt Flow-Erlebnisse, die neuen Klamotten bringen Anerkennung, das gesamte Einkaufshandeln ist eine famose Bestätigung der eigenen Selbstwirksamkeit. Ich werde tätig, ich wähle, ich bestimme, ich werde gesehen! Der Materialismus bietet mir das kleine Glück im hier & jetzt. Er verweist auf kein übermorgen, auf kein tugendhaftes Glück des wahrhaft Guten. Kaufen, konsumieren, freuen. Zack und fertig!

Fassen wir beide Aspekte zusammen steht das materialistische Wachstumsmodell doch recht schlagkräftig der Ökoaskese gegenüber: es ist simpel, es ist sexy, es macht Spaß. Zwischenstand 3:0.

 

Ökohedonismus – “Jeder Mensch ein Künstler”

Daher nochmal zurück auf Anfang, da steht doch: die Kritik am Wachstums ist richtig.

Was tun, nun?

Es steht also eine große Herausforderung an. Wohlstand und Wohlbefinden sind zu entkoppeln. Ökoaskese braucht Ökohedonismus als dringenden Geschäftspartner! Etwas bis viel mehr Spaß, Coolness und Ekstase muss drin sein, sonst wird das nix!

Eine, wie es die Philosophie des Hedonismus es nennt, „Verfeinerung der Lüste“ sollte ins Spiel kommen. Warum wird immerzu darüber geredet, dass wir gärtnern, reparieren und selber machen müssen? Warum nicht einfach mal locker sagen: weniger Arbeiten, weniger Konsumieren, mehr Faul Sein, mehr Feste feiern, mehr Sex und Rock ‘n Roll! Das wäre mal ein attraktives Postwachstumsprogramm!

Alles was Freude macht ohne die Freude anderer einzuschränken (Hedonismus) und wenig Ressourcen verbraucht (Öko) sei erlaubt: Skateboard fahren, Faulenzen, Philosophieren, in der Nase bohren, Bücher lesen und Bücher schreiben, sich der Erotik widmen… alles willkommen und mit schier endlosem Entfaltungspotential (Wachstum!) versehen. Sicherlich freudiger, interessanter und nachhaltiger als jedes gängige Wirtschaftswachstum und die Versprechungen der Warenwelt. Konsum ist weitgehend kompensatorischer Konsum, der Ersatzbefriedigungen bietet.

Hier muss die bekannte Wirtschaftslogik nun konsequent angewendet werden: vernünftig, rational, effizient und effektiv wäre es, den Umweg zu überwinden und direkter die Freude des Lebens zu genießen. Die Denkweise des Wachstumsparadigmas überwindet sich so am Ende selbst.

Die Denkweise des Wachstumsparadigmas überwindet sich so am Ende selbst
 Wir wollen gerne immer besser leben, glauben es gelingt durch ein immer mehr Haben & Tun, erkennen aber nun, dass mehr nicht besser ist, folgen der Logik und befreien uns vom Fokus auf Konsum. „Jeder Mensch ein Künstler“ hat Beuys gesagt – da eröffnen sich Horizonte für ein gutes Leben, die anspruchsvoller aber auch erfüllender sind, als das Streben nach materiellem Wohlstand.

Der Autor: Jochen Dallmer lebt in Berlin und ist als Referent und Seminarleiter
zum Themenbereich ‘Nachhaltigkeit’ unterwegs.
Im Rahmen seiner Dissertation forscht er zum Verhältnis von Glück &
Nachhaltigkeit.
www.jochendallmer.net

 

 

 

Titelbild: CCO unsplash Priscilla Fong
Beitragsbild: CCO unsplash Alina Sofia

 

Entwicklung sollte sich um Glück drehen, nicht um BIP-Wachstum

  1. Hallo Herr Dallmer, vielen Dank für Ihren Beitrag.

    ich stimme Ihrer Analyse grundlegend zu. Ich würde es spannend finden wenn Sie die Argumentation im letzten Teil des Artikel noch etwas differenzierter ausführen würden.

    „…Sicherlich freudiger, interessanter und nachhaltiger als jedes gängige Wirtschaftswachstum und die Versprechungen der Warenwelt. Konsum ist weitgehend kompensatorischer Konsum, der Ersatzbefriedigungen bietet.“

    Hier muss die bekannte Wirtschaftslogik nun konsequent angewendet werden: vernünftig, rational, effizient und effektiv wäre es, den Umweg zu überwinden und direkter die Freude des Lebens zu genießen. Die Denkweise des Wachstumsparadigmas überwindet sich so am Ende selbst.“

    Wenn dies so einfach ersichtlich ist, stellt sich mir die Frage, warum es die Menschen nicht einfach Ihre Verhaltensweisen anpassen. Es gibt offensichtlich starke Wirkmechanismen bzw. Gründe, die dem entgegen sprechen. Sie sprechen in Ihrem Text an, dass die Postwachstumsökonomie schlecht vermarket wird. Ist das der wesentliche Punkt? Gibt es hinreichend praktische vorgelebte Beispiele an denen sich die interessierten Menschen orientieren können? Kann es außerdem sein, dass sich ein gesellschaftliches System auch dadurch selbst stabilisiert, dass Individuen die andere Lebensweisen erproben und die Grundsätze von einem bestehenden System hinterfragen in eine Außenseiterrolle geraten?

    Beste Grüße, Alex

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