Warum es wirklich keine Rolle spielt, wie du aussiehst

Über meinen Handy-Bildschirm flimmern Bilder junger Mädchen. In Unterwäsche strecken sie mir von Dehnungsstreifen gezeichnete Bäuche und von Cellulite befallene Oberschenkel entgegen. Die Flut an Bildern scheint endlos zu sein. Ich bin irritiert, die Bilder erinnern an Schnappschüsse aus Urlaubsalben, rumalbernde Freundinnen. Sowas bin ich nicht gewohnt auf meinem Instragram-Kanal. Hashtag Body Positivity.

Eine Freundin hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Sie erklärte die Bewegung, die es etwa seit zwei Jahren gibt, wie folgt: Ein Orkan der Akzeptanz und Selbstliebe, alles und jeden in verklärte Harmonie tauchend versucht das Patriarchat zu stürzen. Kurvige Frauen, die in die Kategorie Übergrößen-Modell fallen, schaffen es plötzlich auf die Titelseiten von „Sports Illustrated“ und „Women’s health“. Marken wie „Dove“ starten “Body Positivity”- und „Self Love“-Kampagnen. Berühmtheiten wie Rihanna oder Khloe Kardashian bekunden sich öffentlich zu der Bewegung. Das Bild verleitet mich zu Freude. Großartig, Schluss mit den aberwitzigen Mageridealen. Schluss mit der Objektifizierung und Sexualisierung von Frauen. Die Feministinnen stoßen sicher an und essen Kuchen (ganz ohne Reue).

 

Gefordert wird: Den eigenen Körper zu akzeptieren wie er ist. Ihn sogar so zu lieben wie er ist.

Aber die Ideale spuken auch in meinem Kopf herum. Auch ich möchte gerne makellos perfekt sein. Die Illusion lässt sich leicht aufrecht erhalten, in dem ich einfach über alles einen Filter lege und selektiv mein sogenanntes „Leben“ präsentiere. Während ich die glänzenden Lebenskonstruktionen der anderen leicht für die Realität halte, weiß ich hinter dem Bildschirm, dass ICH in der Realität diesem Imperativ nicht entsprechen kann. Unglücklich, kritisiere ich mich selbst und meinen Körper. Es scheint an mir zu liegen. Innerhalb meiner wohl konstruierten Online-Welt scheint die Body Positivity-Bewegung ein erfreulicher Ausweg aus der Misere, ohne auf die heiß geliebten Medien verzichten zu müssen. In den jungen Mädchen, inklusive Cellulite, Speckfalten und Dehnungsstreifen, die sich auf Instagram und Facebook räkeln, sehe ich mich selbst. Darunter Plädoyers und Manifeste, mir wie aus der Seele geschrieben. Gefordert wird: Den eigenen Körper zu akzeptieren wie er ist. Ihn sogar so zu lieben wie er ist.

 

Mehr Schein als Sein

Doch meine sorgenfreie Parallelwelt, entpuppt sich leider als gemeiner Trugschluss. Nach etwas intensiverer Hashtag-Verfolgung merke ich schnell, dass sich der Mainstream der Bewegung angenommen hat. War das nun das Zeichen, dass die Welt erkannt hatte: Jeder ist anders und jeder ist schön? Nein, ganz so einfach ist das nicht. Der scheinbar so glänzende Fortschritt, der einem von den Titelseiten und aus der Werbung entgegen lächelte war nicht das, was er zu sein schien.

Seit 1950 steigt die relative Zahl der Menschen die an einer Essstörung leiden stetig an. Wir sind zu einer körperversessenen Gesellschaft geworden. Statt ihm Loblieder zu singen für die unglaublichen Dinge, die er vollbringt – Kinder bekommen, Marathon laufen, Krankheiten besiegen, um nur einige wenige zu nennen – kritisieren wir ihn Tag ein, Tag aus. Er ist grundsätzlich nicht genug: Nicht schlank genug, nicht stark genug, nicht schön genug. Mittlerweile machen sich schon ein drittel der Kinder im Grundschulalter Sorgen über ihr Gewicht. Zeitschriftenständer sind überfüllt mit Magazinen die sich mit Mode und Körperkult beschäftigen. Wenn wir nur hart genug an unseren Körpern arbeiten, wartet am Ende das große Glück.

Auch Selbsthass lässt sich zu Geld machen.

Die Mode- und Werbeindustrie hat keine 360 Grad Drehung hingelegt, sie hat etwas begriffen: Eine immense Anzahl an unzufriedenen Frauen sitzt da draußen, verschmäht ihre Produkte, weil sie sich nicht mit Heidi Klum und Giselle Bündchen identifizieren und auch nicht glauben, dass „schlank im Schlaf“ oder „low carb“ sie „retten kann“. Schwuppdiwupp hat sich die Industrie also den vorherigen Feind einverleibt und sich zu eigen gemacht. Der gute alte Kapitalismus, der es auf wundersame Weise mittlerweile schafft, jeden Lebensbereich in Profit zu verwandeln, hat zugeschlagen. Auch Selbsthass lässt sich zu Geld machen. Dank Medien und Diätkultur entstehen immer mehr Räume, in denen Körper glorifiziert werden. Jede Form des Auswegs scheint eine Sackgasse zu sein. Die nichts ahnenden Selbsthasser*innen mussten beim nächsten Gang zum Zeitungsladen mit Schrecken feststellen, dass plötzlich Frauen „wie sie“ die Titelseiten schmückten.

 

Der Schlachtruf der Bewegung: „Liebe und akzeptiere deinen Körper so wie er ist!!”

Bevölkert wird die auf den ersten Blick politisch anmutende Bewegung von Bloggern und ehemaligen Essgestörten. Die einen wetteifern um mehr Publicity und die anderen suchen nach einer gesünderen Art sich exzessiv mit ihrem Körper zu beschäftigen. Die Mitglieder präsentieren Produkte oder gehen Kooperationen mit bekannten Marken ein. So werden auch immer mehr Berühmtheiten und Konzerne „Teile“ der Bewegung und nutzen sie zur eigenen Vermarktung. Ashley Graham, ein amerikanisches Plus Size Model, schafft es gleichzeitig eines der größten Gesichter der Bewegung zu sein und in der Jury von Amerikas next Top Model zu sitzen. „Your  body is your fashion!“ brüllt sie ihren Kandidatinnen entgegen. Wie können diese beiden Dinge zusammen passen?

Die Bewegung naturalisiert die Körper, die sie darstellt. „Liebt euch so wie ihr seit“. Wie dieser natürliche Körper aussieht, steht fest: Keinerlei Einfluss durch Beschränkungen oder übermäßigen Sport. Deshalb gibt es auch strenge Vorschriften, wer als body positive gelten darf und wer nicht. Diäten sind verboten, während der Verzehr von Süßigkeiten und Fast Food zelebriert wird. Sehr schlanke Mädchen sind kaum zu finden, während sogar extrem übergewichtige Frauen zu Stars der Szene zu werden. Aspekte der körperlichen Gesundheit, die auch immer unmittelbar mit dem seelischen Wohlergehen verbunden sind, treten weit in den Hintergrund. Statt für Freiheit zu sorgen, wird ein neues System der Kontrolle installiert.

Aus der Rolle zu fallen, darf man sich da nicht mehr leisten.

Nun teilen sie fröhlich ihre Plädoyers und fordern: Auch Cellulite ist schön! Auch schwabblig ist sexy! Die Kritik am System der Objektivierung und Sexualisierung ist zu einem Flehen um Aufnahme in eben dieses System verklungen. Der Bereich der sexualisierten und objektifizierten Körper soll erweitert werden, nicht zerstört. Die Bewegung ist zu einem weiteren Weg der Selbstdarstellung mutiert. Eine politische Idee hat sich in einen Lifestyle verwandelt, der nun mehr als bereitwillig vom Markt ausgebeutet wird. Die Mädchen konkurrieren um Follower und Kooperation. Aus der Rolle zu fallen, darf man sich da nicht mehr leisten. Die meisten trauen sich nicht mehr zuzugeben: Jeden Tag von sich selbst begeistert zu sein, ist ganz schön schwierig. Selbstkritik ist nur an der mangelnden Selbstliebe erlaubt. Dass Kritik auch ein Motor zur Verbesserung sein kann, wird weitestgehend ignoriert.

 

„Love yourself, no matter what“

Wir brauchen die Möglichkeit für eine ehrliche, verletzliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Denn ein Zugehörigkeitsgefühl, das auf wackeligen Halbwahrheiten und Profitgier basiert, macht niemanden glücklich. Wir sind so bedacht darauf unseren Körper, den Feind, strikt von unserem Geist zu trennen, dass wir nicht merken: Sie sind ein und dasselbe. Geht es meinem Körper schlecht, dann geht es auch meinem Geist schlecht. Geht es meinem Geist schlecht, dann leidet auch mein Körper.

Eine Gesellschaft, die mich auf meinen Körper reduziert und diesen nutzt um mich auszuschließen, mich zu beschränken und zu bedrängen, kann mich nicht wirklich glücklich machen. Hier schlummert Gefahr: Viele junge Mädchen glauben in der Bewegung einen sicheren Hafen gefunden zu haben. Sie fühlen sich unwohl in ihrem Körper und hoffen hier auf Hilfe zu treffen. Während die Bewegung fragt „Warum ist es schlecht Cellulite oder ein paar Speckröllchen zu haben?“, merken sie nicht, dass ein Imperativ durch den anderen ersetzt wird: „Liebe dich und deinen Körper! Immer!“ Ein Handel mit dem Teufel: Ein Übel gegen das andere.

“Wofür liebe ich andere Menschen?”

Die Vermarktung der Idee lässt sie zu einem weiteren Ausschlusskriterium werden. Wer darf mitmischen? Wer fliegt raus? Hier geht es nicht mehr um Politik, hier geht es um Geld, um Macht und um Aufmerksamkeit. Der Körper wird zum Statussymbol, er wird zur Eintrittskarte in exklusive Kreise. Er lenkt uns ab von dem diffusen Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Dabei ist die Frage, die wir uns stellen müssen, ganz einfach: Andere, wofür liebe ich die? Für ihre schlanken Beine oder ihre klugen Gedanken? Für ihre straffen Bäuche oder den gewitzen Humor? Was bei anderen glasklar zu sein scheint, liegt bei uns selbst in tiefem Nebel. Ich werde mich nicht glücklich hungern. Ich werde mich nicht erfolgreich joggen. Sit-ups machen mich zu keinem liebenswürdigeren Menschen.

Deshalb müssen wir beginnen, die Fragen zu stellen, die uns bewegen. Wie kann es sein, dass unser eigener Körper gegen uns verwendet werden kann? Das er uns ausschließt oder marginalisiert? Warum ist es wichtiger, dass ich ein hübsches Köpfchen habe, als das, was in dem Köpfchen vorgeht? Wie kann es sein, dass Aussehen einen höheren Stellenwert hat, als Gedanken, Ideen und Träume? Wie hängen meine physische, psychische und emotionale Gesundheit zusammen? Viele Stunden unseres Lebens bringen wir damit zu, unser Äußeres zu striegeln und zu präsentieren, während wir nicht mal ansatzweise so viel Zeit damit verbringen, uns um die Pflege von Gedanken und Seele zu kümmern. Fragen sollen und müssen gestellt werden. Werden sie jedoch nur gestellt, weil es die scheinbar richtigen Fragen an das zu begeisternde Publikum sind, verkommen sie zu reiner Propaganda.

 

 

Beitragsbild: Gracie Hagen, CC

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