Mineralwasser in Flaschen schadet der Umwelt. Auch wenn es in Glasflaschen daherkommt, regional und bio ist. Der eigentliche Luxus sind nicht teure Durstlöscher, sondern billiges Trinkwasser aus der Leitung.
Es sind fast 30 Grad beim Spaziergang durch Berlins »Wasserkiez«. Der Stadtsommer ist staubig und trocken. Als er Durst bekommt, betritt ein Mann ein kleines Feinkostrestaurant im Mariannenkiez, mitten im hippen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Er grüßt den Ladenbesitzer. Ob er seine Flasche kurz auffüllen dürfe? Niemand guckt komisch, obwohl links von ihm Kästen mit teurem Mineralwasser in schicken Glasflaschen stehen. Das Lokal ist stolz darauf, bei Refill Berlin mitzumachen. Draußen an der Tür kündigt ein faustgroßer, blauer Aufkleber an: »Refill Berlin — kostenfrei Trinkwasser«.
Die Initiative Refill kommt aus Bristol, seit 2017 machen auch 65 deutsche Städte mit. Orte mit dem Tropfen-Sticker laden ein, mitgebrachte Trinkflaschen mit Leitungswasser zu füllen. Aktuell gibt es in Berlin knapp 250 solcher Stationen, darunter Cafés, Shops oder Büros — auch im sogenannten »leitungswasserfreundlichen Mariannenkiez«.
Unschlagbar im Preis und praktisch
Zwar verbraucht jeder Mensch in Deutschland täglich 123 Liter Trinkwasser. Doch nur gut 37 Prozent von uns stillen damit ihren Durst. Die anderen zwei Drittel trinken teilweise mehrmals täglich Wasser aus Flaschen. Dabei ist unser Leitungswasser ein streng kontrolliertes und gesundes Lebensmittel. Außerdem ist es im Vergleich zu abgefülltem Mineralwasser unschlagbar preiswert und praktisch. Obendrein ist der Konsum von Leitungswasser der einfachste Weg, die Welt zu retten, denn 70 Prozent der verkauften Wasserflaschen sind Einwegflaschen aus Plastik.
Zwar wird in Deutschland vieles davon recycelt, aber auch das verbraucht natürlich Energie und stößt CO2 aus. Während Leitungswasser keinen Müll verursacht, werden allein für die Herstellung, Befüllung und Entsorgung einer Plastikflasche im Schnitt 100 ml Erdöl, 80 Gramm Kohle und zwei Liter zusätzliches Wasser verbraucht — so rechnet der Verein a tip: tap vor. Daher hat die Organisation, deren Name auf Deutsch »Ein Tipp: Leitungswasser« lautet, ein Ziel: Leitungswasser zum Durstlöscher Nummer eins machen. Dadurch sollen Plastikmüll und CO2-Emissionen reduziert werden.
Selbsternannte »Leitungswasser-Enthusiasten« gründeten 2012 den gemeinnützigen Verein. Mittlerweile arbeiten der Umweltwissenschaftler Julian Fischer und eine weitere bezahlte Mitarbeiterin mit zehn ehrenamtlichen Mitgliedern zusammen. An Kitas und Schulen bieten sie kostenlose Workshops zum Thema an und installieren Trinkbrunnen, etwa hüfthohe Wasserspender aus Edelstahl. Das größte Projekt von a tip: tap ist aktuell der Wasserkiez. Julian Fischer leitet das zweijährige Pilotvorhaben, das den Mariannenkiez leitungswasserfreundlicher machen soll. Unterstützt wird a tip: tap unter anderem von den Berliner Wasserbetrieben, dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und dem Umweltbundesamt.
Bald sprudelt’s im Wasserkiez
Bald soll im Wasserkiez ein öffentlicher Trinkwasserbrunnen stehen. Nach einem Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses vom März wird die Stadt Teil der Trinkwasser-Initiative Blue Community. München und Marburg sind es schon. Für eine Million Euro sollen in den kommenden zwei Jahren 100 Trinkwasserbrunnen in der Hauptstadt gebaut werden. Heute sind es nur 45. Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz schätzt, dass dadurch 100.000 Tonnen CO2 eingespart werden könnten.
A tip: tap berät auch Unternehmen und größere Organisationen. Dort überzeugten vor allem die Kostenvorteile von Leitungswasser, sagt Julian Fischer. Der Verband kommunaler Unternehmen rechnet vor, man bekomme für fünf Euro, abhängig vom Wasserpreis, knapp 2.500 Liter Trinkwasser. Für den gleichen Preis erhält man im Supermarkt gerade einmal einen Kasten stilles Wasser. Warum trinken wir nicht ausschließlich Leitungswasser?
»Was nichts kostet, ist nichts wert.«
Herbert Willems, Soziologie-Professor an der Justus-Liebig-Universität in Gießen forscht seit über zehn Jahren zum Thema Trinkwasser. »Es gibt keinen sachlichen Grund, Wasser aus Flaschen zu trinken«, lautet sein Urteil. »Das schlichte Leitungswasser ist das beste Wasser, das man bekommen kann.« Doch das Wasser aus dem Hahn habe ein entscheidendes Image-Problem und zu wenig emotionalen Wert. Weil es preiswert aus der Leitung schieße und obendrein zum Putzen verwendet werde, schätzten wir es kaum. »Was nichts kostet, ist nichts wert«, begründet Willems. Gerade teures Markenwasser diene hingegen dazu, sich abzuheben.
Also zahlen manche Menschen bereitwillig für den scheinbaren Luxus aus Flaschen. Im Jahr 2017 importierte Deutschland rund 1,2 Milliarden Liter Mineralwasser. Das belastet die Umwelt im Vergleich zu Leitungswasser mit Blick auf Herstellung, Verpackung und Transport um ein Vielfaches. Das krasseste Beispiel: Flaschenwasser von den 16.000 Kilometer entfernten Fidschi-Inseln. Der Hersteller wirbt damit, dass es besonders rein und ursprünglich sei. Mittlerweile stehen beim Discounter sogar Mineralwässer mit bio-Siegel im Regal — obwohl umstritten ist, inwiefern Wasser tatsächlich bio sein kann. Und wem das nicht genug ist, dem versprechen spezielle Geräte und Edelsteine, dass sie die Struktur des Wassers drehen, es beleben, strukturieren und energetisieren.
Julian Fischer findet diesen »Esoterik-Wassertrend«, wie er es nennt, »absurd« und kann nicht verstehen, »welche riesigen Budgets für Flaschenwasser ausgegeben werden«. Doch der Verbrauch von Mineralwasser ist seit den 70er Jahren stark gestiegen, wie Zahlen eines Branchenverbands zeigen. 2017 etwa trank jeder Mensch in Deutschland rund 150 Liter Wasser aus Flaschen, 1970 waren es nur 12,5 Liter.
Der Griff zur Flasche ist Gewohnheit
Für viele Menschen ist der Griff zur Flasche neben Gewohnheit auch vermeintlich besserer Geschmack. Auch für Sabine Krieger. Sie ist Geschäftsführerin eines Familienbetriebs, der Quellwasser für Wasserspender abfüllt. Vor vier Jahren hat die Berlinerin eine Fortbildung als Wassersommelière gemacht. Sie ist geschult darin, feine Unterschiede verschiedener Wasser zu schmecken und berät etwa Restaurants. Sie schwärmt: »Wasser ist nicht gleich Wasser. Ich trinke zu Rotwein ein anderes Wasser als zu Weißwein.«
Der Preis des Flaschenwassers sei nicht unbedingt entscheidend. Der gute Geschmack hat jedoch Grenzen für Sabine Krieger: »Ich finde es Quatsch, Wasser vom Schwarzwald hierher zu fahren. Ich brauche auch kein Wasser aus Fidschi oder aus Frankreich.« Doch Berliner Leitungswasser kommt ihr nicht ins Glas: »Ich trinke nur abgefülltes Wasser.« Mit ein wenig Kohlensäure schmeckte ihr das einfach besser.
Auch a tip: tap führt regelmäßig Blindverkostungen durch. Leitungswasser schneide dabei mindestens so gut ab wie Flaschenwasser, häufig sogar besser, sagt Julian Fischer. Und das macht durchaus Sinn. Flaschen aus Kunststoff etwa können nämlich nicht nur den Geschmack trüben, Biowissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt fanden etwa heraus, dass dadurch hormonell wirksame Stoffe ins Wasser gelangen können.
Leitungswasser ist Luxus
Im Vergleich dazu ist das, was aus unserem Hahn kommt, ein Luxusgut. Leitungswasser stammt zum Großteil aus unterirdischen Vorkommen, dem Grundwasser — was bedeutet, dass es Mineralstoffe des Erdreichs aufnehmen kann. Was wir umgangssprachlich als »hartes« oder »kalkhaltiges« Wasser bezeichnen, heißt letztlich viel Kalzium und Magnesium. Das mag dem Wasserkocher schaden, für unseren Körper ist es wichtig. Und es führt zu der paradoxen Situation, dass Leitungswasser mancherorts mehr Mineralstoffe enthält als abgefülltes Mineralwasser. Seit 1980 darf sich Flaschenwasser »Mineralwasser« rühmen, egal wie viel Kalzium, Fluorid oder Sulfat tatsächlich darin stecken.
Doch jenseits von Geschmack und Mineralstoffen ist da noch die Unsicherheit: Hierzulande dachten nur 72 Prozent der Befragten 2017, dass Leitungswasser gesundheitlich unbedenklich ist. Dabei wird es besser kontrolliert als Flaschenwasser. Die Trinkwasserverordnung regelt, wie hoch gewisse mikrobiologische, chemische und physikalische Stoffe sein dürfen. Analysen in Brunnen, Wasserwerken und im Trinkwassernetz sichern die Qualität bis zum Hausanschluss. Für Leitungswasser gelten deutlich mehr Vorschriften als für Flaschenwasser, beispielsweise Grenzwerte für Pestizide und Uran. Bei abgefülltem Wasser gelten diese nur, wenn das Produkt speziell für die Zubereitung von Säuglingsnahrung ausgewiesen wird.
Wassertests gegen die Unsicherheit
Um den Menschen im Mariannenkiez die Scheu vorm eigenen Wasserhahn zu nehmen, hat a tip: tap kürzlich zusammen mit den Wasserbetrieben 70 Haushalten im Kiez Wassertests angeboten. Bald werden die Ergebnisse veröffentlicht. »Wir wollen den Menschen Sicherheit geben«, sagt Julian Fischer. Nicht etwa, weil die 21.000 jährlichen Proben der Wasserbetriebe nicht ausreichten, sondern weil es auf den letzten Metern durch die hauseigenen Leitungen verschmutzt werden könnte. Doch insgesamt habe sich die sehr hohe Wasserqualität bestätigt, sagt Fischer.
Falls dennoch etwa alte Bleirohre das Wasser verunreinigen, können Mieter/Innen das Gesundheitsamt einschalten. Oft müssen dann die Eigentümerinnen der Häuser nachbessern.
In Deutschland leben wir also in der luxuriösen Situation, einfach den Wasserhahn aufdrehen und trinken zu können. Doch das wird immer teurer. Fast überall sind die Trinkwasserpreise seit 2005 leicht gestiegen. Schuld an den zunehmenden Kosten ist auch der Einsatz von Pestiziden, Gülle und Düngemitteln in der intensiven Landwirtschaft. Dadurch wird es teurer, Grundwasser — vor allem mit Blick auf Nitrat — aufzubereiten.
Wieso gefährden wir unsere kostbarste Lebensgrundlage auf diese Weise? Julian Fischer ist überzeugt: Wir schätzen unser Trinkwasser zu wenig. Letztlich sei aber entscheidend, welchen Wert es für uns habe. Viele Menschen schämten sich beispielsweise, jemandem »nur« Wasser aus dem Hahn aufzutischen. »Aber es ist doch viel cooler, seinen Gästen ein frisch gezapftes, kaltes Leitungswasser anzubieten als ein drei Monate altes Flaschenwasser.«
Text Astrid Ehrenhauser
Illustration Titelbild: Alana Keenan
Weiterführende Links
Trinkwasser-Konsum in Deutschland:
Einstellungen und Fakten | mineralwasser.com
Wassercheck von Stiftung Warentest | test.de
Wissenschaftliche Veröffentlichungen
Die Wasser der Gesellschaft: Zur Einführung in eine Soziologie des Trinkwassers. Herbert Willems (Hg.). Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017. | springer.com
Endocrine disruptors in bottled mineral water: total estrogenic burden and migration from plastic bottles. Wagner, M., Oehlmann, J. (2009). Environmental Science and Pollution Research, 16(3). | springer.com
Handeln
Wasserheldin werden
Wer den Luxus Leitungswasser zelebrieren möchte: In schicke Gefäße und Trinkflaschen umfüllen. Den extra Kick beim Geschmack liefern Gurken- oder Apfelscheiben, ein Spritzer Zitronensaft und Minze. Für alle Skeptikerinnen bieten Stadtwerke oder Gesundheitsämter Tests an. Wenn’s prickeln muss: Wassersprudler besorgen und Leitungswasser zum Blubbern bringen. Profi-Tipp: Refill-Aufkleber holen und neue Orte zum Mitmachen überzeugen
→refill-deutschland.de