Lässt sich Umverteilung selber machen? Ein Blick auf politischen Diebstahl, gutgemeinten Betrug und umschichtende Bankmanager.
Klaust du?
Klaust du in einem
inhabergeführten Geschäft?
Klaust du bei einer
Discounter-Kette?
Wusstest du, dass in
Supermärkten jährlich etwa
Waren im Wert von 3,4
Milliarden Euro gestohlen
werden?
Wusstest du, dass deutsche
Vermögende etwa 591 Mil-
liarden im Ausland bunkern
– mutmaßlich unversteuert?
Wusstest du, dass Kon-
zerne und Reiche jährlich
der Weltgemeinschaft 427
Milliarden Dollar entziehen?
Hast du ein Netflix-Abo?
Wusstest du, dass Netflix
weniger Steuern zahlt, als
dein Abo kostet?
Würdest du für eine woh-
nungslose Person stehlen?
Wusstest du, dass es mehr
als eine halbe Million
wohnungslose Menschen in
Deutschland gibt?
Hinterziehst du Steuern?
Klaust du?
Von den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben klingt auch heute sinnvoll. Schließlich leben wir in einem Wirtschaftssystem, in dem Kapital munter angehäuft wird und sozioökonomische Aufstiegschancen weitaus seltener zu finden sind als prekäre Jobs. Jeff Bezos wurde während der ersten Monate der Corona-Pandemie in einem Maße reicher, dass er jedem seiner unterbezahlten Angestellten 100.000 Dollar geben könnte und immer noch so reich wäre wie vor der Pandemie. Er tat das nicht.
Unterbezahlte Arbeiter:innen in den Lagerhallen von Online-Monopolen, Kinderarbeit im Globalen Süden, Umweltverschmutzung überall – die Liste negativer Auswirkungen großer Unternehmen und an ihnen verdienender Menschen ließe sich um viele altbekannte Punkte ergänzen. Das ›Peng!-Kollektiv‹ rief in einer ihrer Kampagnen auf, im Supermarkt zu klauen und das ersparte Geld über die Homepage ›deutschlandgehtklauen.de‹ an Gewerkschaften zu spenden, die sich für Arbeiter:innen auf den Bananenplantagen Zentralamerikas oder den Tomatenfeldern Italiens einsetzen. Die Aussage der Kampagne: Die Discounter verhindern gewerkschaftliche Organisation, ihre Zulieferer zahlen Hungerlöhne und dulden Menschenrechtsverletzungen. Auf politische Lösungen zu warten sei hoffnungslos. Die Konsument:innen müssen selber loslegen. Mit ihrer Botschaft »Ich klaue nicht, ich zahle nur an die Richtigen« sorgte das ›Peng!-Kollektiv‹ 2018 für einige Diskussionen. Schließlich ging es dem ›Peng!-Kollektiv‹ nicht um einzelne Diebstähle, sondern um politischen Druck. Verschiedenste Medien berichteten über die Kampagne. Die wenigsten Konsument:innen werden sich aber heute noch an die Aktion erinnern. Immerhin wurde seitdem auf holprige Weise das Lieferkettengesetz auf die Wege gebracht.
Das ›Peng!-Kollektiv‹ ist nicht die erste Gruppe seit Robin Hood, die mit Diebstahl ein klein wenig die Ungerechtigkeiten der Welt ausgleichen will. In dem Sozialen Netzwerk Tumblr gab es eine recht aktive Ladendiebstahl-Community: Liftblr. Die vor allem weiblichen Blogger:innen zeigen dort ihre Diebstähle und tauschen sich über Tipps aus. Manche von ihnen verstehen sich als antikapitalistische Aktivist:innen. Manche von ihnen wollen einfach die schönen Dinge besitzen, die sie sich nicht leisten können. Gemeinsam haben beide Gruppen, dass sie selber klauen und nicht wie das ›Peng!-Kollektiv‹ Diebstahl propagieren, um auf Ungerechtigkeiten entlang der Lieferketten hinzuweisen.

Enric Duran klaute weder Kleinigkeiten für sich, noch initiierte er eine öffentlichkeitswirksame Kampagne. Der antikapitalistische Aktivist aus Katalonien gab 2008 über seinen YouTube-Kanal und über die unabhängige Zeitung ›Crisi‹ bekannt, eine halbe Million Euro von 39 spanischen Banken durch nicht zurückgezahlte Kredite entwendet zu haben. Er spendete das Geld an verschiedene soziale Bewegungen. ›Crisi‹ wurde mit einer Auflage von 200.000 Stück in ganz Katalonien verteilt und stieß in dieser Hochzeit der Finanzkrise eine Diskussion über den Finanzmarkt an. Ein Jahr später stellte Duran in der Zeitung ›Podem‹ Möglichkeiten zur Debatte, eine post-kapitalistische Gesellschaft aufzubauen. Mit einer Auflage von 350.000 Exemplaren wurde sie in ganz Spanien verbreitet. Kurz nach der Veröffentlichung wurde Enric Duran verhaftet. Dank der anonymen Zahlung der Kaution von 50.000 Euro durfte er das Gefängnis aber nach zwei Monaten verlassen. Er tauchte unter und arbeitet im Exil weiter. Als Mitgründer verschiedener Kooperativen und der alternativen Kryptowährung ›FairCoin‹ war er seitdem keinesfalls untätig.
Lieferkettengesetze — Die CDU/SPD Bundesregierung verpflichtete sich 2018 in ihrem Koalitionsvertrag, ein solches Gesetz zu verfassen, sollten deutsche Unternehmen nicht freiwillig handeln. Dass freiwillige Selbstverpflichtungen nicht fruchten, zeigte ein Monitoring. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller erarbeiteten eine Skizze und wurden zunächst von Bundeskanzlerin Angela Merkel gestoppt. Erst im Mai 2021 wurde ein entsprechendes Gesetz in Deutschland verabschiedet. Ähnliche Gesetze gibt es bereits seit längerer Zeit in Frankreich, Österreich, Großbritannien und der Schweiz. Auch soll es bald eine europäische Regelung geben.
Gilberto Baschiera hatte es leichter, einer Bank Geld zu entwenden. Schließlich war er Direktor einer Bankfiliale im italienischen Udine. Innerhalb von sieben Jahren ließ er insgesamt eine Million Euro verschwinden – um das Geld an Arme zu verteilen. Als er aufflog, wurde er gefeuert und verurteilt. Bereut hat er nichts. Einen ähnlichen Fall gab es in Baden-Württemberg. Ein leitender Bankangestellter verschob dort Millionen Euro wohlhabender Menschen an arme Menschen. Die Sparkasse Tauberfranken hatte einen Restschaden von 640.000 Euro. Das Landgericht Mosbach verurteilte den Ex-Banker wegen Untreue in 168 Fällen.
Duran, Baschiera und der Sparkassenangestellte haben mit ihrem Kreditbetrug und Diebstahl nichts strukturell verbessert. Kritisieren ließe sich auch immer die Auswahl der von ihnen begünstigten Menschen oder Projekte. Und hunderttausende Euro sind mehr als ein paar geklaute Bananen. Doch was ist das schon angesichts großer sozialer Ungleichheit? Verbessert haben sie jedenfalls die Lebensbedingungen einiger Mitmenschen.
Soziale Ungleichheit in Deutschland — Die Einkommensungleichheit stieg in den letzten Jahrzehnten an. Noch größere Unterschiede sind bei den Vermögen festellbar. Die reichsten 10 Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens. Gemessen werden die Unterschied mit dem bekannten Gini Koeffizienten oder der Palma-Ratio. Vermö- genswerte werden allerdings nicht systematisch erfasst. Anders als bei den zur Transparenz verpflichteten Hartz IV-Beziehenden wissen staatliche Institutionen nichts Genaues über den Besitz der reichsten Menschen in Deutschland.
Text: Marius Hasenheit
Foto: Ibrahim Boran
Quellen
Supermärkte: Jährlich 3,4 Mrd Euro weg
Statistisch gesehen klaut jeder Mensch in Deutschland jährlich Waren im Wert von 27 Euro. tfmag.de/ladendiebe | derwesten.de
Eine Menge Heu in Steuersümpfen
2018 hatten Deutsche insgesamt in vom Bundesfinanzministerium gelisteten Steuersümpfen mindesten 591,3 Milliarden Euro auf Konten liegen. Die Schätzung basiert auf dem zwischenstaatlichen automatischen Informationsaustausch.
tfmag.de/steueroase | neues-deutschland.de
Der Bankmanager in Udine
Bericht über Gilberto Baschieras Rebellion »gegen das System, das Rentner mit dem Minimum und junge Menschen ohne Mittel im Stich lässt«.
tfmag.de/cronache | corriere.it
Der Banker in Tauberfranken
Zeitungsbericht über den jonglierenden Bankangestellten, der sich der Polizei stellte
tfmag.de/modernrb | sueddeutsche.de
Jeff Bezos dank Covid-19 reicher geworden
Bezos könnte jedem Amazon-Mitarbeiter 105.000 Dollar geben, und wäre immer noch so reich wie vor der Pandemie. Auch wird das Corona-Krisenmanagement seines Konzerns kritisiert.
tfmag.de/scrooge | theguardian.com
Weiterlesen
Welt retten durch Bananen-Diebstahl?
Ökonom Jeffrey Sachs erklärt in einem Zeit-Interview, ob die ›Peng!‹-Aktion Bäuer:innen im Globalen Süden etwas bringt.
tfmag.de/sachs | zeit.de
We R Cute Shoplifters
Amüsanter Beitrag über die antikapitalistischen Teenager-Diebe in Amerika
tfmag.de/cutesl | good.is