Ja, wir nennen es „Das Magazin für das Gute Leben“. Aber was meinen wir eigentlich damit und warum treten wir nicht für das spaßige, reiche oder schöne Leben ein?
Auf einer oberflächlichen Ebene könnte der geneigte Leser meinen “Ja klar, gutes Leben”. Wer wäre nicht dafür? Wer ist denn für ein schlechtes Leben? Und ist damit unser Leitspruch nicht eigentlich ein Alle-Abholer, eine hohle Phrase wie auf einem schlechten Wahlkampfplakat? Aber halt: Die Frage, worin das bestmögliche Leben besteht, beschäftigt die Menschen seit Sokrates und “gut” ist dabei nur eine Option von vielen. Es treten zusätzlich an: das glückliche, das gelungene und das erfolgreiche Leben.
Warum wir kein Magazin für das glückliche Leben machen
Wenn die Digitalindustrie Chief Happiness Officers oder Glücksvorstände einbestellt und deine Tante sich grelle Selbsthilfe-Bücher kauft, die ihr die Faustregel vorschreiben, sich jeden Tag zu fragen “was du heute für dein Glück getan hast”, dann scheint da ja irgendwie etwas dran zu sein, an diesem in den USA sogar in der Verfassung verankerten Streben nach Glück. Oder?
Der Philosoph Michael Bordt, der diesen Artikel maßgeblich inspiriert hat, empfiehlt uns mal genauer darauf zu schauen, wie die Worte Glück und glücklich benutzt werden: Wir können Glück haben, z.B. wenn wir im Lotto gewinnen, oder wie der Autor dieses Artikels neulich einen 20 Euro Schein finden. Hier scheint der Zufall eine Rolle zu spielen. Oder wir sind glücklich: ein intensives Gefühl, verliebt zu sein, in der Natur zu spazieren, 20 Euro, die man gefunden hat, für fünf Kilogramm Eis auszugeben.
Zum Glück haben braucht es den Zufall, brauchen wir Ereignisse, die wir nicht unter Kontrolle haben. Dem ein Magazin zu widmen, wäre eher etwas für Wettbüros oder Hobbystatistiker. Zum glücklich sein für die intensiven “Ups”, gibt es Magazine aus großen Verlagshäusern, die dann Wunderbäume in Form von Buddhas als Gimmick dabei haben. Das Glück als oberstes Ziel erscheint uns dabei aber nicht nur ziemlich egoistisch, sondern auch merkwürdig fahl.
Der Philosoph Robert Nozick zeigt mit einem Gedankenexperiment, dass Glücksmaximierung alleine fad schmeckt: Stell dir vor, du bist an eine Maschine angeschlossen, die dein Hirn auf Knopfdruck mit Glücksgefühlen versorgt. Wenn es nur auf das glückliche Leben ankäme, dann würden wir irgendwas schweres (z.B. einen Stapel Magazine fürs Gute Leben) auf den Knopf legen und wir würden bis zum Ende aller Tage „glücklich“ sein. Aber das wäre kein erstrebenswertes Dasein. Denn auf Glück alleine kommt es nicht an, der Zustand von Glück ist schön – aber nicht alles, wenn es um das bestmögliche Leben geht.
Magazin für das gelungene Leben? Oder das erfolgreiche?
Dann könnte man quasi in der Wertschöpfungskette eine Stufe nach vorne gehen und sich fragen, was denn diese Glücksgefühle auslöst. Vielleicht ist da die Wurzel für das bestmögliche Leben. Glücksgefühle werden unter anderem ausgelöst, wenn etwas gelingt oder wenn man erfolgreich ist. Warum sind wir dann nicht das Magazin für das erfolgreiche Leben, machen eine Karrieresektion auf und vermitteln High Potentials? Oder warum sind wir nicht wenigstens für das gelungene Leben?
Unser Leben gelingt, wenn wir vorgenommene Ziele erreichen können. Das Problem dabei ist aber, dass das bestmögliche Leben kein abhaken von To-Dos ist. Gelungen ist nicht gleich gut, gut ist nicht gleich gelungen. Da ist das Freiwillige Jahr, was ins Wasser gefallen ist, währenddessen du aber Freunde gefunden hast; da ist der langweilige Sommer ohne Job, der dich dazu gebracht hat, einen anderen Weg einzuschlagen. Das bestmögliche Leben ist kein “Läuft bei dir!”.
Denn wenn Dinge schiefgehen, ist das für das optimale Leben nicht unbedingt hinderlich. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Ein gelungenes Leben lässt diese Offenheit aber leider nicht zu. Wo bei der Glücks-Definition zu viel Zufall dabei ist, ist hier zu viel Planung dabei. Es ist leider (nein, zum Glück!) nicht so, dass wir einfach X, Y und Z erreichen müssen und dann haben wir unser bestmögliches Leben. Wenn man das gelungene Leben anstrebt, dann geht man davon aus zu wissen, was man erreichen will und das macht man dann halt. Ein bestmögliches Leben funktioniert aber so nicht. Der Weg dahin ist keine Gerade, sondern voller Serpentinen, Kreuzungen, Abzweigungen, und verläuft mal durch unwegsames Gelände.
Ein Leben auf der carrière
Und dann gibts noch den etwas anstrengenden Bruder des gelungenen Lebens, das erfolgreiche Leben: Erfolg ist noch mehr Planung, das Gelingende hängt hier von äußeren Faktoren ab. Was bedeutet es erfolgreich zu sein, wenn die Maßstäbe dafür die falschen sind? Eine erfolgreiche Lehrerin im dritten Reich zu sein? Oder andersrum: Menschen wie Sophie Scholl oder Dietrich Bonhöffer waren nicht erfolgreich, haben nun wirklich keine Karriere gemacht und trotzdem würden wir sagen, dass sie ein starkes Ideal von einem besseren Leben hatten. Ein Leben aber auf Erfolg auszurichten, bedeutet sein Leben nach den Maßstäben anderer zu führen. Auch in liberalen Demokratien ist das einengend. Der eigentliche Wortsinn von Karriere ist Fahrstraße (von französisch carrière) und Fahrstraßen sind auf Dauer etwas eng. Dass wir auch gerne mal Off-Road unterwegs sind, dass das gute Leben nicht (nur) auf einer geraden Karriere-Straße stattfindet, führt dazu, dass uns manche für Karriere-Verweigerer halten. Was wir aber eigentlich meinen ist, dass Erfolg alleine nicht das Ideal für ein Gutes Leben sein kann.
Gut soll es sein
Was also bringt uns dazu, das „Gute Leben“ anzustreben? Der Begriff gut erlaubt eine gewisse Offenheit. Er ist, wie Michael Bordt schreibt, kein Eigenschaftswort wie grün, glücklich oder eben erfolgreich. Gut ist eine Frage der Perspektive. Die Frage ist gut wofür? Die Brille ist gut, wenn ich durch sie scharf sehen kann. Das Messer ist gut, wenn es schneidet. Das Leben ist gut, wenn …? Hier ist eine philosophische Weggabelung: Man kann nun den Weg gehen, der oben beispielhaft angezeichnet ist und gut mit einer Eigenschaft wie “erfolgreich” füllen. Doch dann ist man wieder in der Falle, dass man vordefinierten Zielen nachjagt. Dadurch erkennt man das Potential der Überraschungen, die einem das Leben zweifelsohne bietet, nicht. Oder man nutzt dieses Wort “gut” als einen Platzhalter und sagt sich: Lass es uns probieren, was gut für uns ist. Der Brille sehe ich vorher nicht an, ob sie “gut” ist. Nein, ich muss sie aufsetzen, um dann möglicherweise festzustellen “Oh, die ist aber gut”. So stellt man auch im Leben oft erst im Rückblick fest, es ist gut wie es ist.
Das bedeutet Offenheit. Fürs gute Leben sein bedeutet, sich selbst auch damit zu überraschen, was man als gut empfinden wird. Jemand der nie Kinder haben wollte, und dann ungewollt Mutter wird und herausfindet, dass es gut ist. Jemand der nach dem Studium nie wieder in der Gastronomie arbeiten wollte und jetzt sein eigenes Café eröffnet, und fühlt, dass es gut ist. Auch unseren Lesern gegenüber versuchen wir diese Offenheit zu ermöglichen: Für die einen ist das gute Leben sich Unabhängigkeit zu schaffen und autark zu sein, für anderen sich mehr einzumischen und mehr mitzugestalten.
Mit dem Leben befreundet sein
Der französische Politiker Michel de Montaigne wurde einmal gefragt, weshalb er und der Schriftsteller Etienne de la Boetie beste Freunde seien. Als würde man die Antwort kennen, als würde es eine Antwort geben. Montaignes Antwort war „Parce que c’etait lui, parce que c’etat moi“ (Weil er es war und ich es war). So stellen wir uns das auch mit dem guten Leben vor. Es muss auf mich passen. Vielleicht sogar: Man muss mit dem Leben beste Freunde sein?
Dieses freundschaftliche Verhältnis zum Leben hilft einem dann Probleme konstruktiv anzugehen und zu benennen. Zum Beispiel wenn es um den Umgang mit Extremisten geht. Man ist dabei nicht verkrampft (als wenn man die Extremisten erfolgreich aus dem Weg räumen müsste, oder man sie ausblenden und verdammtnochmal glücklich sein wollte). Man nimmt Probleme erstmal hin und lässt sich auf sie ein. So wie man eben auf Probleme, die ein Freund hat, erstmal zugeht.
Wenn man auf das gute Leben aus ist und im Hinterkopf hat, dass “gut” eine Frage der Perspektive ist, dann kann man auch die großen Fragen, nach gesellschaftlichem Wandel oder einem menschlicheren Wirtschaftssystem angehen, ohne sich in kleinteiligen Utopien zu verheddern. Dann hat man einen bejahenden Zugang. Der Ökonom Tomas Sedlacek sagte dazu einmal: “Ich bin ein Kritiker unseres Wirtschaftssystems, so wie jemand Literaturkritiker ist. Ein Literaturkritiker kritisiert Literatur nicht, weil er sie hasst, sondern weil es ihm wichtig ist”.
Auch das kennen wir von unseren Freunden: Über die kann man sich doch am besten aufregen. Wie er immer mehr Denglisch spricht oder wie sie einfach immer zu spät kommt. Doch wir sind für sie da und sie für uns. Und wir arbeiten uns aneinander ab. Und wir raufen uns zusammen. Aber wir nehmen nicht alles hin.
Und so stellen wir uns das auch mit dem guten Leben vor: Wir sind nicht immer glücklich (wollen wir auch nicht), es gelingt nicht immer alles (wäre ja auch langweilig), aber wir versuchen, das Gute Leben zu entdecken.
Bilder: CCO Yannick Kotz, Shlomo Babeit (unsplash)
Titelbild: Hans Rusinek