Die Illustration zeigt einen Mann, der eine Katze in einem Käfig davonträgt. Die Katze sagt "Aber ich sollte doch zu Tante Susi". Der Mann antwortet "Tja, zu spät".
Illustration: Sara Henkel

Der Ordner mit dem Etikett »The End«

Hanna ist 28, kerngesund und bereitet sich auf ihren Tod vor. Ist das nicht ein bisschen schräg? Sie findet: Nein. Warum diese Auseinandersetzung zum »Guten Leben« dazugehört und um welche Dokumente auch du dich kümmern solltest.

Hanna nimmt einen Stapel Blätter zur Hand. »Da will man sich auf das Ende vorbereiten, führt deepe Gespräche und philosophiert über den Sinn des Lebens … und dann ist es doch vor allem Papierkram und Juristendeutsch.«

Wir sitzen in Hannas Berliner Wohnung, neben uns schläft ihre Katze und schnarcht leise. »Ich will das ja auch alles machen, es ist auf jeden Fall richtig. Aber shit, es schreckt auch mega ab. ›In den oben beschriebenen Situationen wünsche ich, dass eine künstliche Ernährung nur bei palliativmedizinischer Indikation zur Beschwerdelinderung erfolgt.‹ Woher soll ich das denn wissen?«

Seit einigen Wochen begleite ich Hanna bei diesem Prozess. »Als du mit deiner Anfrage um die Ecke kamst, war mein erster Gedan­ke ›Boah ja das schwirrt mir schon so lange im Kopf herum, aber doch nicht jetzt.‹« Pause, sie zuckt mit den Schultern. »Und genau das ist es doch, oder? Wir schieben immer wieder auf, und im schlimmsten Fall stehen wir, oder unsere Family, vor einem Trümmerhaufen.«

Die Illustration zeigt einen Mann, der eine Katze in einem Käfig davonträgt. Die Katze sagt "Aber ich sollte doch zu Tante Susi". Der Mann antwortet "Tja, zu spät".
Illustration: Sara Henkel
Die Reichweite eines Stücks Papiers

Wir sind jung, wir mögen uns fit fühlen oder eher schlapp, motiviert oder lost, uns mit vielen Menschen umgeben oder lieber alleine sein. Aber an eines denken die meisten von uns – sicherlich mit einigen Ausnahmen – fast nie: unseren eigenen Tod.

2022 sind in Deutschland rund 1,07 Millionen Menschen gestorben. 16 616 von ihnen waren 20 – 45-Jährige, was etwa jedem 64. Sterbe­fall entspricht. Das klingt erstmal nicht nach viel – bis es dann doch jemanden aus dem Bekanntenkreis oder Kolleg:innen, Freund:innen oder Familie trifft. Was dann passiert, hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel der Todesursache, der Religions- und Staatszugehörigkeit, ob es Verwandte gibt, ob Verfügungen und Voll­​ machten existieren, und von finanziellen Fragestellungen.

Aber auch vor Eintritt eines Sterbefalls sind diese Vollmachten bereits relevant. Wieso, das erzählt mir Heike. Ihr 72-jähriger Vater wurde an einem Freitagnachmittag im Oktober 2006 am Herzen operiert, erlitt während der OP einen Schlaganfall und wurde in ein künstliches Koma versetzt.

»Dann fragte man uns nach einer Patientenverfügung, aber wir hatten keine. Und das hieß echt, dass die Ärzte keine künstliche Ernährung veranlassen durften. Ohne Verfügung ging das nur mit richterlicher Anordnung, und die Richter waren ja schon alle im Wochenende. Wir mussten wirklich bis Montagmorgen warten, bis Papa mit Nahrung versorgt werden durfte. Wir waren sprachlos, ich war so wütend.«

Ein weiteres Problem war die Betreuung, denn auch dafür gab es keine Verfügung. Heike wurde vom Amtsgericht zur
Betreuerin bestellt und musste über jede Entscheidung Rechenschaft ablegen.

»Nach ein paar Wochen wachte er wieder auf. Er konnte nicht mehr sprechen, aber sich durch Nicken und Kopfschütteln verständlich machen. Dann habe ich ihm eine Patientenverfügung vorgelesen, und so konnten wir seinen Willen doch noch festhalten. Als er im März einen weiteren Schlaganfall hatte, wussten wir, dass er keine Wiederbelebung wollte. Das war so so schwer in dem Moment. Aber die paar Monate, und die Gelegenheit, nochmal mit ihm zu kommunizieren, das war so ein Geschenk. Ich denke immer noch an ihn, fast jeden Abend sage ich ihm gute Nacht.«

Die Illustration zeigt eine Beerdigung. Aus dem Sarg ragt eine Hand mit erhobenem Zeigefinger und der Tote sagt "Aber ich wollte doch eine Seebestattung". Der Priester antwortet: "Tja, zu spät".
Illustration: Sara Henkel
Von Bestattungsverfügungen und Totenfürsorgeberechtigten

»Was kommt als nächstes? Ah, die Betreuungsverfügung.« Wir sind wieder in Hannas Küche. Inzwischen kennt sie sich ganz gut aus. »Wenn man sich da einmal reingefuchst hat, sind es am Ende nur eine Handvoll Dokumente. Der Inhalt hat es zwar in sich… Aber es fühlt sich auch richtig gut an, diese Entscheidungen getroffen und darüber geredet zu haben.«

Eine Handvoll Dokumente – das hier sind die, mit denen du dich in jedem Fall auseinandersetzen solltest: Die Patientenverfügung, die Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht, und die Bankvollmacht.

Wenn du von der gesetzlichen Erbfolge abweichen, jemandem gezielt einen bestimmten Gegenstand vermachen, oder minderjährige Kinder hast und einen Vormund bestimmen möchtest, solltest du außerdem ein Testament verfassen. Und in einer Bestattungsverfügung kannst du festhalten, wo und wie du bestattet werden möchtest, etwa dass du auf gar keinen Fall verbrannt werden möchtest, oder dass ein bestimmtes Lied gespielt werden soll. Außerdem kannst du hier eine vertrauenswürdige Person zum sogenannten Toten­fürsorgeberechtigten benennen.

»Totenfürsorgeberechtigt – umständlicher geht es ja kaum.« Hanna verdreht die Augen. »Also ich will’s so einfach wie möglich. Meinetwegen ein Sarg aus Pappe, oder was auch immer ökologischer ist und am wenigsten kostet.« Über ihre Wünsche hat Hanna schon mit ihrem Partner gesprochen. Das war am Anfang nicht leicht, sagt sie, aber mit der Zeit haben sie sogar richtig gelacht. »Wir haben darüber gewitzelt, ob wir unsere Beerdigung zur Mottoparty machen sollten. Fürs Erste haben wir aber nur das Nötigste festgehalten.

Patientenverfügung

Hier hältst du deine Wünsche etwa bezüglich künstlicher Ernährung und Wiederbelebung fest.

Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht

Bestimmt die Person(en), die sich um deine Ange­legenheiten kümmern, wenn du selbst dazu nicht mehr in der Lage bist, und erteilt ihnen Auskunftsrechte.

Bankvollmacht

Mit ihr kann sich die ernannte Person um deine Finanzen kümmern, etwa Rechnungen begleichen und deine
Beerdigung finanzieren.

Totenfürsorgerecht

Klärt, wie mit den sterblichen Überresten verfahren werden soll und wer die Verantwortung dafür trägt. Für die Finanzierung kommt der:die gesetzliche Erb:in auf, die Umsetzung kann durch eine zu Lebzeiten be­stimmte andere Person erfolgen.

Ich glaube, das Thema wird jetzt noch eine ganze Weile nachhallen. Jedenfalls haben wir uns gegenseitig die Aufgabe erteilt, sich um die Bestattung des anderen zu kümmern. Und wenn wir gleichzeitig draufgehen sollten, in einem Unfall oder so…« Sie zwinkert mir zu. Darüber haben wir schon geredet – das würde ich dann übernehmen. »Ich frag ein harmloses Interview an, und am Ende stehe ich in deiner verdammten Bestattungsverfügung«, grummel ich, und grinse.

Die Illustration zeigt einen Streit zweier Schwestern. Die eine sagt: "Aber Oma hatte mir gesagt, dass ich ihren Ring bekomme." Die andere antwortet mit dem Ring an der Hand: "Tja, zu spät."
Illustration: Sara Henkel
Auf ein gutes Lebensende

»Geschafft!«

Hanna hält den nun ausgefüllten Stapel Papier in den Händen, klopft ihn auf den Tisch, um die Seiten zu begradigen.

»Na jetzt kann’s ans Sterben gehen, oder?«

»Keine Sorge, ich geh sicher, dass mindestens ein Britney Spears Song auf deiner Beerdigung spielt.«

»Dito.«

Es fühlt sich so fremd und fern an, und gleichzeitig scheint es inzwischen so einfach, über den Tod zu reden. Hanna sagt, sie ist erleichtert. »Weißt du, diese Wochen jetzt, in denen wir darüber gesprochen haben … Ich habe mehr über mich und diesen Sinn des Lebens gelernt, als in diesen fucking retreats, die ich vor ein paar Jahren öfter mal besucht habe. Da wurde zwar mit krassen Slogans geworben, aber am Ende sah es vor allem im Außen schön aus. Die Fragezeichen blieben. Jetzt … habe ich das Gefühl, dass aus meinen Fragezeichen Wegweiser werden.« »Wow wie deep«, lache ich.

Wir stoßen an, eine Flasche alkoholfreier Sekt ist schnell leer. Hanna heftet ihre Unterlagen in einem eigenen Ordner ab, beschriftet ihn: »The End«.

Übrigens: Heike, die von den letzten Monaten ihres Vaters erzählt hat, ist meine Mama. Wir brauchen keine Angst haben, unsere Lieben irgendwie zu triggern, wenn wir sie nach ihren Verstorbenen fragen – denn an sie denken tun sie sowieso. So ist sie richtig ins Erzählen gekommen, und das Ergebnis war wirklich eines der bedeutsamsten Gespräche, die wir seit langem geführt haben. Auch das gehört für mich zum »guten Sterben« dazu: das gute Leben, mit den Menschen direkt neben mir, mit dem was sie fühlen, woran sie glauben, was ihnen wichtig ist.


Deine Checklist
  • Verfasse deine Patientenverfügung – Informationen und ein Tool mit Textbausteinen stellt die Verbraucherzentrale bereit. Zusätzlich kannst du sicherstellen, dass dein Organspendeausweis deine aktuellen Wünsche widerspiegelt beziehungsweise dich ins Organspenderegister eintragen.
  • Fülle Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht und Bankvollmacht aus – Alle Vorlagen auf Deutsch und in anderen Sprachen gibt es beim Bundesministerium der Justiz. Zusätzlich kannst du Funktionen deiner Social Media Accounts, deines Handys und Ähnlichem nutzen, einen Nachlasskontakt festzulegen. Schreib am besten den Zugangscode zu deinem Handy und andere PINs mit auf.
  • Optional: Verfasse dein Testament – Zum Thema Erben und Vererben findest du weitere Informationen beim Bundesministerium für Justiz.
  • Auch zum Thema Vormundschaft, die du hier festhalten kannst, informiert das BMJ. Optional: Halte deine Wünsche in einer Bestattungsverfügung fest. Weitere Infos gibt es bei der Verbraucherzentrale.
  • Optional: Ist eine (Risiko-) Lebensversicherung oder Sterbegeldversicherung für dich relevant? Auch dazu informiert die Verbraucherzentrale.
  • Tausch dich mit deinen Lieben über eure Wünsche, Ängste, Vorstellungen und Erfahrungen im Umgang mit dem Tod aus.
  • Fertig? Super! Denk daran, deine Unterlagen regelmäßig zu aktualisieren und sicherzustellen, dass sie gefunden werden können.

Text: Christina Lin

Illustration: Sara Henkel

Weiterlesen

Was tun, wenn jemand stirbt? Handbuch für den Trauerfall. Lothar Heidepeter, 2022. Dieses Handbuch unterstützt Zugehörige sowie alle, die ihre Bestattung selbst vorbereiten möchten. (Link)

Handeln

Brauchst du Hilfe? Wenn dich die Themen Sterben, Tod und Trauer belasten und du mit jemandem reden möchtest, kannst du dich 24/7 an die Telefonseelsorge wenden: 0800 111011, 0800 1110222 oder 116 123, oder per Mail und Chat über die Website. (Link)

Media

Jetzt gehts ans Sterben. rbb Kultur, 2021. Dieser Podcast will dem Tod seinen Schrecken nehmen und erzählt die Geschichten von zehn Menschen, die Erfahrungen mit Tod und Trauer gemacht haben. (Link)

Sarggeschichten. Kurzfilme über das Sterben, über Abschiednehmen und Beerdigen, über Trauern und Erinnern. Die Filme stehen kostenlos zur Verfügung. (Link)

Six Feet Under. TV-Serie von 2001-2005, die die Themen Tod und Trauer mit viel schwarzem Humor mitten im Leben verankert.

Quellen

Anzahl der Sterbefälle in Deutschland nach Altersgruppe im Jahr 2022. Statistisches Bundesamt, 2023 (Link)

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter