Der Schlüssel zum Groove

Die Cowbell ist der Herzschlag des Orchesters, Motor und schlechtes Gewissen der Rhythmusgruppe. Egal wie groß die Band ist: Mutter Kuhglocke setzt sich durch, hält das Tempo und sieht zu, dass du nicht verloren gehst.

In Lateinamerika ist die Cowbell der »Schlüssel« zum Groove, in Ghana ist sie die »Sonne«, nach der sich alle recken, die mitspielen. Cowbells gibt es in vielen Größen und Formen, von der tatsächlichen Kuhglocke wie in den Alpen bis zum industriell gefertigten Orffschen Instrument aus dem Musikschulschrank. In jedem Fall ist sie aus Eisen, und selbst bei den billigsten lässt sich leicht feststellen, dass ihr im Grunde monotoner Klang variiert, je nachdem, wo, wie doll und womit sie geschlagen wird. Das hat vor allem mit den mitschwingenden Obertönen zu tun: je mehr davon, desto besser. Westafrikanische Cowbells sind so lang wie ein Unterarm und haben gekerbte Schmiedenähte, was für Dutzende verschiedene Variationen des Glockengeräuschs gut ist.

transform 6
Dieser Text ist Teil unserer sechsten Ausgabe. In der geht es um Glaube, Religion, selbstgebaute Smart-Speaker ohne mithörende Konzerne, wandernde Straßenbäume oder das Potenzial von religiösen Bildern im Einsatz gegen die Klimakrise.

Niemand weiß, wann der erste Hirte seinem Leitrind die Glocke vom Hals nahm und die Botschaft der Cowbell änderte von »Hier kommt die Kuh« in »Das ist der Groove!«, aber es geschah todsicher in Afrika. Als blinder Passagier des kolonialen Sklavenhandels fand die Glocke ihren Weg in die lateinamerikanische Musik, wo sie bis heute für die »Clave« zuständig ist: eine repetitive Figur, die das komplette Rhythmusgefüge definiert. Über kubanische Tanzorchester gelangte die Cowbell in den Sog der US-Popmusik: Inspirierende Beispiele sind Jimi Hendrix’ »Stone Free«, Santanas »Evil Ways« und nicht zuletzt »Low Rider« von War.

Die Cowbell ist kein Soloinstrument und damit nichts für Individualisten. Es geht schließlich darum, immer dasselbe zu spielen und dabei ganz im Kollektiv aufzugehen. Wem nützt eine Sonne, die auf nichts scheint? Auf der Weide wie auf der Bühne ist es das Wesen der Cowbell, die Herde zusammenzuhalten, und so ist sie, in der Samba-Truppe oder in der Punkkapelle, nie fehl am Platz und als Zweit- und Begleitinstrument ein unschätzbares Ass im Ärmel.


Texte: Eric Mandel
Illustrationen: Louisa Szymorek für transform Magazin

Quellen

Caribbean Currents
Standardwerk zur lateinamerikanischen Musik, zur Clave
und ihren afrikanischen Ursprüngen. P. Manuel, K. Bilby
und M. Largey. Temple University Press, Philadelphia 1995.


The Black Atlantic
Zur kulturellen Dynamik zwischen Europa, Afrika und
Amerika als Resultat des kolonialen Dreieckshandels. Die
Cowbell ist auch ein Kind des Black Atlantic. Paul Gilroy.
Harvard University Press, Cambridge 1995.

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