Kurz und Crackig

Drogen haben in unserer Gesellschaft einen sehr schlechten Ruf. Gleichzeitig ist der Begriff “Droge” nicht ganz klar: Alkohol fällt noch darunter, wird aber weniger so wahrgenommen, während Kaffee und Nikotin gar nicht mehr als Drogen gesehen werden. Wie viel hat diese Wahrnehmung mit tatsächlichem Suchtpotenzial und Gefahr zu tun, wie viel wurde durch Drogenpolitik beeinflusst? Und was ist die Motivation hinter dieser Politik?

Drogen werden im deutschen Sprachgebrauch oft mit psychologischem Elend, Sucht, etwas Verbotenem und generell etwas Schmutzigem in Verbindung gebracht. Hierzulande wird häufig der Ausdruck „Alkohol und Drogen“ verwendet. Ganz so als ob Alkohol als „Kulturgut“ ganz und gar von der bösen Kategorie Drogen abzugrenzen sei.

Dass pro Jahr rund 70.000 Menschen durch direkte Folgen des Alkoholkonsums sterben, wird glücklicherweise spätestens nach dem vierten Bier vergessen. Dass nach der niederländischen Wortherkunft „droog“ (dt. trocken, bezogen auf getrocknete Pflanzenteile) auch alltägliche Genussmittel wie Kaffee und Tee zu Drogen zählen wissen die wenigsten. Genau so wenig ist bekannt, dass illegale Substanzen wie LSD oder MDMA in der aktuellen medizinischen Forschung eine Renaissance erleben. Diese können bei Depression und posttraumatischer Belastungsstörung wahre Wunder wirken.

Es scheint so, als wären wir als Gesellschaft über die Jahre einer ordentlichen Hirnwäsche unterzogen worden. Wir sollen an etwas glauben, was einem natürlichen Wahrheitsanspruch nicht entspricht beziehungsweise komplett widerspricht. Warum ist das so? Oder ist das nur mal wieder eine dieser Verschwörungstheorien?

Werfen wir zur Beantwortung dieser Fragen zunächst einmal einen Blick in die USA der 1930er Jahre.

Rassistisch motivierte Verbote in den USA

Zu dieser Zeit war es der US-Drogenbeauftragte Harry J. Anslinger, der mit Hilfe rassistischer Propaganda die Bevölkerung gegen Cannabis manipulierte und in ein von ihm bestimmtes Denkmuster zwang:

Most marijuana smokers are Negroes, Hispanics, jazz musicians, and entertainers. Their satanic music is driven by marijuana, and marijuana smoking by white women makes them want to seek sexual relations with Negroes, entertainers, and others. (Rudolph J. Gerber)

Anslinger war bestimmten Ressentiments nicht abgeneigt. Deswegen verwundert es nicht, dass das von ihm geleitete Federal Bureau of Narcotics den Aufklärungsfilm reefer madness (dt. Kifferwahnsinn) finanzierte. In diesem wird Cannabis als „tödliches Narkotikum“ und „gefährlicher als die Seelenzerstörenden Drogen Opium und Kokain“ dargestellt.

Harry Anslinger, geboren 1892 in Pennsylvania und bekannt als der erste „Drogenzar“ der USA. Das von ihm ab 1930 geleitete Federal Bureau of Narcotics (FBN) nutzte Anslinger als Verstärker seiner anti-Drogen Propaganda. Vor seiner Ernennung in dieses Amt konnte Anslinger keinerlei Erfahrungen in Sachen Drogenpolitik vorweisen. Durch ständige Finanzierungen durch seinen Schwiegeronkel und damaligen Finanzminister Andrew Mellon gelang es Anslinger deshalb schnell, seine verqueren Ansichten durchzusetzen und sie international zu etablieren.

Skepsis

Der damalige New Yorker Bürgermeister Fiorello LaGuardia war diesen Aussagen gegenüber skeptisch eingestellt. Er glaubte auch nicht an andere verbreitete Mythen, nach denen Marihuana die Moral der Jugend zersetzen und diese zu Mördern und Vergewaltigern machen würde.

Eine durch LaGuardia eingesetzte Kommission untersuchte über sechs Jahre hinweg die tatsächlichen soziologischen und physiologischen Auswirkungen von Cannabis. Sie kam zu dem Schluss, dass bei geregeltem Konsum keine erhöhte Gewaltbereitschaft, kein unkontrolliertes sexuelles Bedürfnis und keine dramatische Veränderung der Persönlichkeitsstruktur zu erwarten sei.

Man hatte damit eine wissenschaftlich-basiertes Gegenargument für Harry Anslingers Panikmache. Das Problem: Anslingers Einfluss auf die Presse unterband jedwede Möglichkeit zur öffentlichen Verbreitung dieser neuen Erkenntnisse. Anslinger wurde zeitlebens auch nicht müde, seine von Ressentiments triefende anti-Cannabis Propaganda beruhend auf opportunistischer Polemik zu verbreiten. Damit hat er dazu beigetragen, dass dieses vorgefertigte Cannabis-Image nach Übersee schwappte.

Einheitsabkommen

Ein Meilenstein der internationalen Drogenpolitik war der 30.3.1961 mit dem völkerrechtlich verbindlichen Einheitsabkommen über Betäubungsmittel. Dem Abkommen liegt die in der Präambel als „Erkenntnis“ bezeichnete Auffassung zugrunde, „dass die Betäubungsmittelsucht für den Einzelnen ein Übel und für die Menschheit eine wirtschaftliche und soziale Gefahr darstellt“.

Die Betäubungsmittel, um die es in dem Vertrag hauptsächlich geht sind die Extrakte aus den Pflanzen indischer Hanf (THC), Kokastrauch (Kokain) und Schlafmohn (Heroin). Man versuchte also, durch Verbot und Restriktion ein Suchtproblem zu lösen.  Ironisch an der Sache war, dass man – wie mit der Alkoholprohibition in den USA – durch eine strikte Verbotspolitik das Ganze über die Jahre nur verschlimmerte indem man Drogenkartellen das Schwarzgeld nur so in die Taschen spülte. Wie einflussreich so ein von unsinnigen Gesetzen finanziertes Leben als Drogenboss sein kann, zeigt die Netflix-Serie Narcos.

Die USA legten 1970 mit dem „Controlled Substance Act“ dann noch einmal nach. In diesem bezogen sie nicht nur die Substanzen aus dem Einheitsabkommen mit ein. Sie erstellten gleich ein Komplettpaket und integrierten sämtliche Psychedelika wie LSD und Psilocybin. Ein Grund für diese Gesetzeserweiterung war sicherlich der Versuch der Nixon-Administration, etwas der Bewusstseinserweiterung der Hippie-Bewegung Ende der 1960er entgegenzusetzen.

Anti-Drogenpropaganda und Gegenbewegung

Ihre Anhänger hatten nämlich verständlicherweise keine Lust darauf, in einem sinnlosen Krieg in Vietnam zu sterben. Stattdessen versuchten sie auch andere Menschen von dieser lebensrettenden Maßnahme zu überzeugen, was einigen auch mit der Einnahme von LSD gelang. Nixon dagegen hatte einen Krieg zu führen, hatte auf diesen Trend daher seinerseits verständlicherweise keine Lust und betrieb nach Vorbild Anslingers wirksame anti-Drogenpropaganda.

Der damalige Präsident nahm sich Anslinger wohl dann aber etwas zu sehr als Vorbild und glänzte bald durch antisemitische Kommentare. In einem Gespräch mit seinem Stabschef Harry Robbins Haldeman echauffierte sich Nixon über die „jüdischen Bastarde“, die alle für eine Marihuana-Legalisierung seien. Da Nixon, wie auch andere US-Präsidenten, seine Gespräche im Oval Office auf Tonband aufnehmen ließ ist dieser Ausschnitt der Nachwelt geblieben und öffentlich zugänglich gemacht worden.

Der repressiven US-Politik folgte sehr bald eine Konvention der vereinten Nationen über psychotrope Substanzen im Jahre 1971. Nun waren neben den Produkten aus Hanf, Schlafmohn und Kokastrauch ebenfalls sämtliche Psychedelika so ziemlich weltweit verboten, womit die Forschung mit diesen Substanzen eingedampft wurde.

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Hier kommen wir auch zum Kern der Diskussion: Erinnern wir uns kurz an den Anfang des Artikels: Die Mehrheit der Bevölkerung in einem Land, in dem die gerade erwähnten Gesetze in Kraft getreten sind, wird mit dem Begriff „illegale Drogen“ eine Gedankenkette [Kriminalität – Gefährdung der Gesundheit durch Sucht – Verfall] durchrattern. Das geschieht ganz automatisch durch vorangegangene Suggestion und Propaganda durch politische Entscheidungsträger und Medien. Doch diesen unbewussten Automatismus sollte man hin und wieder bewusst hinterfragen. Also tun wir das jetzt mal.

Wir sahen bereits, dass die Einteilung von Drogen in Klassen „legal“ und „illegal“ politisch motiviert und nicht wissenschaftlich basiert war. Zöge man die Kriterien suchterzeugend und gesundheitsschädlich als Maßstab heran, dann ergäbe sich eine ganz andere Situation. Dann wären nämlich auch Alkohol und Tabak verboten wären. Diese wären durchaus im Sinne einer gesellschaftlichen Aufklärung zur Einschätzung von Drogen.

Der arme Konjunktiv strotzt allerdings bekanntermaßen nicht gerade vor Selbstbewusstsein, weswegen man lieber rassistische Vorurteile, übertrieben dargestellte marginale Zwischenfälle und medial verbreitete Lügen als Mittel zur Aufklärung nutzte. Daraus resultierte dann die Klassifizierung illegaler Stoffe in 3 Kategorien. In Kategorie 1, die am schärfsten regulierte, fallen Substanzen wie LSD, Psilocybin und MDMA.

Allen Stoffen der Kategorie 1 werden keinerlei medizinischer Nutzen und eine hohe Abhängigkeitsgefahr unterstellt. Das ist absurd. Delysid, das durch das schweizer Pharmaunternehmen Sandoz vermarktete LSD-Präparat, wurde vor der Illegalisierungswelle ganz legal gegen Angststörungen und Zwangsneurosen eingesetzt und wurde von Psychiatern und Künstlern eingenommen, um sich respektive in den geistigen Zustand ihrer Patienten zu versetzen und um ihre Kreativität zu steigern. Auch Wissenschaftlern nutzte die Einnahme von LSD für ein erfolgreiches Arbeiten.

Verdienste in der Wissenschaft und im Silicon Valley

Kary Mullis ist der Erfinder der in der heutigen Molekularbiologie nicht mehr wegzudenkenden Polymerasekettenreaktiont. Er wäre laut eigener Aussage ohne LSD womöglich nie auf diesen Meilenstein der Wissenschaft gekommen, für den er 1993 den Nobelpreis für Chemie erhiel. Seit einigen Jahren gibt es einen regelrechten Boom innerhalb der psychedelischen Wissenschaft. Diese haben die frühen Anwendungsmöglichkeiten aufgenommen und sie mit moderner Methodik überprüft und ausgeweitet.

Die Polymerasekettenreaktion ist eine molekularbiologische Methode, die eine schnelle Vervielfachung beliebiger DNA-Abschnitte ermöglicht. In der Diagnostik wird es u.a. angewendet, um eine eventuelle Infizierung des Humanen Immunodefizienz-Virus (HIV) nachzuweisen.

Im Silicon Valley bedient man sich seit einigen Jahren des so genannten „mircodosing“. So nennt man die Einnahme von Substanzen wie LSD in einer sehr geringen Dosis. Das ruft keine akuten Sinnesveränderungen hervor, dafür aber Kreativität und Schaffensdrang erhöhen soll. Neu ist das nicht: Selbst der iMessias Steve Jobs hat es vorgemacht und LSD für diese Zwecke genutzt.

Verbotene Medizin

Das Schlimmste an der Illegalisierung von LSD, Psilocybin und MDMA ist jedoch die wissenschaftliche Zensur, die dadurch entsteht. Viele wissen nicht um die hoffnungsvollen Ergebnisse, die in den letzten Jahren durch vorsichtige Forschung hervorgebracht wurden. Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem derzeitigen Stand der medizinisch anwendbaren psychoaktiven Substanzen:

MDMA

Die amerikanische Organisation Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS) ist die Speerspitze zur Forschung und Anwendung von MDMA gegen posttraumatische Stressstörung. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend, bis 2021 will MAPS MDMA mit einem Etat von 20 Mio. $ zu einem verschreibungsfähigen Medikament verhelfen. Mittels so genannter „MDMA-assistierter Psychotherapie“ wird es traumatisierten Menschen ermöglicht, ihre tief vergrabenen emotionalen Verletzungen ihrem Therapeuten zu kommunizieren und dadurch aufzuarbeiten.

LSD

In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden die Resultate von LSD zur Behandlung gegen Alkoholsucht und Nikotinabhängigkeit untersucht. Die Ergebnisse ergaben einen Behandlungserfolg, der über dem der herkömmlicher Therapien lag. Außerdem wird Brom-LSD gegen Clusterkopfschmerzen untersucht.

Psilocybin

Der Wirkstoff des von den Ureinwohnern Mexikos als Fleisch der Götter bezeichneten Pilz erhielt besonderes Interesse der Forscher in den letzten Jahren. Durch Bildgebende Verfahren fand man heraus, dass Psilocybin eine Region im Gehirn in seiner Aktivität hemmt, welches bei depressiven Patienten übermäßig arbeitet.

Die Untersuchungen zur möglichen Anwendung von Psilocybin oder eines seiner Derivate gegen Depression stehen bereits auf der Agenda. Außerdem wird Psilocybin ebenso wie LSD zur Behandlung Suchtkranker eingesetzt. Andere Studien konnten zeigen, dass die Einnahme von Psilocybin die mit Krebs verbundene Todesangst der Patienten lindert.

Zeit für ein Umdenken

Anstatt psychoaktive Substanzen in den Topf der „bösen Drogen“ sollte an eine wissenschaftlich orientierte und differenzierte Sichtweise angeknüpft werden. Psychedelika wie Psilocybin sind keine Wunderheilmittel. Aber die bisherigen Forschungsergebnisse liefern genügend starke Hinweise darauf, dass die gesetzliche Klassifizierung dieser Moleküle eine skandalöse Fehleinschätzung ist. Stattdessen sollten diese als wertvolle Werkzeuge zur Erkundung des gesunden und erkrankten menschlichen Geistes mit Unvoreingenommenheit, Neugier und Mut eingesetzt werden.

 


Der Autor Christoph Benner, geboren 1991 in Berlin, ist klinischer Neurowissenschaftler und interessiert sich für die Anwendung psychoaktiver Substanzen wie LSD, Psilocybin, MDMA und Ketamin in Medizin und Forschung. Nach Bachelor- und Masterstudium in Maastricht, Kopenhagen und Regensburg wird er sich ab Juli 2018 seiner Doktorarbeit an der ETH Zürich widmen. Neben der Arbeit im Labor schreibt Christoph Artikel über „psychedelische Medizin“ oder führt Interviews mit klugen Köpfen für die Organisationen OPEN und MIND sowie das schweizer Printmagazin Lucy’s Rausch .

Die Illustratorin Marlene Krause, lebt und arbeitet in Barcelona, Spanien. Sie ist Stipendiatin der Maison des Auteurs in Angoulême und arbeitet mit Apa Apa Cómics an ihrem neuen Buch “Momento Móvil” [Instagram / Behance].

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