Auf Twitter wurde diesen Sommer darüber geredet, wer „big dick energy“ hat. Gemeint damit ist eine hotte, selbstbewusste Person, nicht ihr tatsächliches Geschlechtsteil. Beyoncé zum Beispiel soll sie haben.
Auf deutsch sprechen wir davon “Eier zu haben”, also mutig zu sein. In diesen Redewendungen sind Pimmel und Eier positiv besetzt. Eine Pussy sein dagegen bedeutet, sich nicht zu trauen. Der Phallus, also der erigierte Pimmel, begegnet mir immer wieder als ein Symbol der Macht. Ich frage mich, welche Vorstellung von Macht der Phallus genau repräsentiert. Und wenn ich Macht anders denken will, was könnte ein neues Machtsymbol sein?
Die Welt der Phallusfantasien
Nehmen wir einmal an, wir leben in einer Welt, die vom Phallus aus gesehen wird. Alles richtet sich nach dem aufgerichteten Glied. Das klassisch-heteronormative Bild, das dazu gehört, sieht so aus: Das Glied als Schwert, die Vagina als Scheide. Das Bild verschleiert, dass der Penis nicht für immer nach oben ragt, schwer zu kontrollieren ist und ganz sicher nicht hart ist wie Stahl. Der Penis dringt ein und gilt als aktiv. Die Vagina als Scheide gilt als passiv und wird nur dadurch charakterisiert, dass sie den Penis umhüllt. Aktiv oder passiv sind klar männlich oder weiblich konnotiert.
Auch Krawatte, Zigarette, Obelisk oder jegliche Maschine, die Kraft und Stärke repräsentiert, zum Beispiel ein schnelles Auto, können als Phallussymbol einstehen. Die Phallus-Fantasie ist gut ausgebildet. Auch in der Psychoanalyse geht es ständig um Pimmel. Der österreichische Psychologe und Gründervater der Psychoanalyse Sigmund Freud redet von Penisneid und Kastrationsangst. Weiter entwickelt hat seine Theorien der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan.
In der Eltern-Kind Beziehung spielt seiner Meinung nach eine entscheidende Rolle, wer einen Pimmel hat, und damit Objekt der Begierde sein oder auch unendlich genießen kann. Männlichkeit und einen Pimmel haben sind hier klar verbunden. Immerhin unterscheidet Lacan zwischen real existierenden Pimmeln und dem Phallus, der Bedeutung auf einer symbolischen Ebene hat. Für die Philosophie prägte der französische Philosoph Jacques Derrida den Begriff Phallogozentrismus. Damit meinte Derrida, dass unsere Sprache vom Phallus her gedacht sei, also so strukturiert sei, dass sie nur ein einziges Geschlecht abbilden könnte, das Männliche und sein Anderes. Unser ganzes Denken beschreibt er als von binären, hierarchischen Gegensatzpaaren geprägt.
Der Phallus kann immer und jederzeit. Er ist nicht zu übersehen, nimmt Platz ein, steht auf für sein Begehren. Pimmelwitze wie „big dick energy“ oder „dieses dicke Auto fährt er wahrscheinlich, weil er so einen kleinen Schwanz hat“ funktionieren so gut, weil das übersteigerte Bild eines angeblich unverletzlichen Phallus leicht in sich zusammen schrumpfen kann, wenn das Wasser kalt ist.
Gelten insgesamt außen liegende Genitalorgane als stark und innen liegende als schwach? Schamlippen zumindest, obwohl sie außen liegen, gelten gemeinhin nicht als stark. Nur in der Legende der vagina dentata, die Freud bekannt gemacht hat, haben die Schamlippen Zähne und können den Penis abbeißen, erregen also Kastrationsangst. Dass der Phallus ein Machtsymbol ist, macht besonders Sinn im Kontext des Patriarchats. Hier wird klassischerweise die Macht vom Vater an seinen Sohn weitergegeben, also von einem Schwanz zum nächsten.
Der Phallus als Machtsymbol ist Produkt einer männlichen und transphoben Fantasie, die Verletzlichkeit negiert. Diese Vorstellung von Macht lässt nur eine Frage zu: Wer herrscht über wen? Macht als Phallus ist etwas, das die Person, die sie inne hat, besitzt. Ich möchte Macht anders denken, als etwas, das eben nicht Herrschaft ist und das erst aus gemeinsamem Handeln heraus entsteht.
Eine Vorstellung von Macht, die Rezeptivität nicht abwertet
Wenn ich Macht anders denken will, welches Symbol bietet sich als Alternative zum Phallus an? Wie wäre zum Beispiel ein Strap-on? Der Strap-On ist nah am Phallus dran. Es ist vielleicht der Phallus konsequent weiter gedacht. Der Strap-on ist im Gegensatz zum Pimmel wirklich für immer hart und nicht verletzlich. Der Strap-On kann wirklich jederzeit. Er ist ganz leicht zu kontrollieren, anzulegen, abzulegen. Ich kann damit meine Macht genießen, genießen, was mein Tun mit der anderen Person macht, spüre aber selbst die Berührung nicht so, wie wenn er Teil von meinem Körper wäre. Der Strap-On wäre ein egalitäres Symbol, weil alle ihn sich anlegen können. Doch weiterhin wäre Macht klar in aktiv-passiv aufgeteilt.
Phallus wie Strap-on als Metapher für Macht ignorieren Rezeptivität. Das bedeutet Empfänglichkeit und schließt ein, Signale, Rückmeldung und Bestätigung zu geben, im Kontakt zu sein. Rezeptivität wird abgewertet und unsichtbar gemacht, unter Passivität versteckt. Die US-amerikanische Gender Studies Professorin Ann Cvetkovich schreibt darüber, dass Rezeptivität nicht mit Erniedrigung und Unterwerfung verbunden sein muss. Es ist vielmehr notwendiger Teil von Sexualität, bei der alle Bedürfnisse Berücksichtigung finden. Rezeptivität ist notwendig. Wenn wir uns exponieren und damit eine bestimmte schamvolle Norm überschreiten, brauchen wir die wohlwollende Interaktion mit der anderen Person als etwas, das diese Normüberschreitungen genussvoll und damit möglich macht.
Die Symbole legen Beschwerde ein
Die Vulva ist ein Tabu, das im Gegensatz zum Phallus nie abgebildet wird. Lange wurde versucht, die Vulva als nach innen gekehrter Penis zu denken. Die französische Philosophin Luce Irigaray entwickelt die psychoanalytischen Thesen Lacans weiter. Sie beschreibt die Vulva als das Geschlecht, das weder eins noch zwei ist, spricht dabei über die Schamlippen, die sich berühren und redet von Muköse, womit sie sexy Schleim meint. Könnte die Vulva als alternatives Machtsymbol herhalten, das Beziehung und Interaktion betont? Irigaray wäre möglicherweise damit einverstanden.
Doch die Vulva oder der Strap-On und genauso der Pimmel haben ihre eigenen gelebten Realitäten. Realitäten verletzlicher und verwundbarer Menschen. Diese gelebten Realitäten beschweren sich, wenn sie als Machtsymbole herhalten und damit auf eine bestimmte Weise verallgemeinert werden sollen. Der Phallus als Symbol ist verständlich, weil etabliert. Doch um über Macht anders nachzudenken, um Macht nicht als Herrschaft zu denken, braucht es vielleicht ein anderes Symbol. Es sollte ein Symbol für eine Form von Macht sein, die erst in der Interaktion, erst im gemeinsamen Handeln entsteht und die nur solange existiert, wie wir in der Lage sind, aufeinander einzugehen und uns gegenseitig Rückmeldung zu geben.
Ich schlage hier provisorisch das Loch als Möglichkeit vor, auch als Intervention gegen die verbreitete Vorstellung, die Vulva sei ein Loch. Das Loch ist eine abstrakte, aber klar umrissene Abwesenheit. Es ist ein Sog, ein Ziehen. Ich schlage ein Loch vor, das sich aus unserer Interaktion auftut. Es ist ein sich-Brauchen, das vorher so nicht da war. Es kann als Mangel interpretiert werden, aber nur, wenn ich mich dem Sog verwehre, den es auf mich hat. Es ist eine Macht, die fließt. Da können wir Rollen tauschen, das Ziehen ist dasselbe.
Johanna Montanari, 1987 in Berlin-Kreuzberg geboren, ist poetische politische Theoretikerin. 2017 hat sie zusammen mit Sina Holst den Essayband „Wege zum Nein“ herausgegeben. Ihre Lieblingsthemen sind Verbündete finden, Visionen spinnen und Widersprüche in Bewegungen verwandeln.
GIF: Giphy
Titelbild: Charles Deluvio 🇵🇭🇨🇦 via Unsplash
Foto Phallus: Josh Rocklage via Unsplash
Illustration, Vu: Chiara Marquart-Tabel