Eigentlich zieht es ja alle in die Stadt. Dörfer sterben aus, sagt man. Derweil blättern Städter nur allzu gerne durch Magazine, die das Landleben lobpreisen und richten sich entsprechend ein. Sie gehen gern beim Bauern einkaufen. Aber wollen sie auch sein Nachbar werden? Unsere Gastautorin wagte den Selbstversuch und tauschte Berlin gegen das Dorf.
Raumpioniere sind für uns Menschen, die sich bewusst dazu entschieden haben, in der Pampa zu leben. Nach vielen Jahren in der Großstadt sind mein Mann und ich in ein kleines Dorf an der Neiße gezogen und teilen nun unsere Erfahrungen mit anderen Städtern, die raus „auf‘s Land“ wollen.
Aufgewachsen bin ich in einem Neubaugebiet in Cottbus, später zog ich dann in den Stadtteil Prenzlauer Berg in Berlin. Ein Heimatgefühl habe ich für keinen der Orte entwickelt. Eine Vertrautheit ja, aber so ein warmes Gefühl, welches aus dem Herzen strömt, habe ich viel mehr, wenn ich einfach irgendwo in der Natur bin.
Vor allem die unscheinbaren, wilden Orte, die keinen Namen tragen, haben es mir angetan. So war es für mich auch kein Wunder, dass ich leichten Herzens einem Zufall folgte. In einem Berliner Bus fand ich den Anzeigenteil einer Zeitung. Darin wurde in einer kleinen Siedlung in der Prignitz ein Forsthaus zur Miete angeboten. Das war mein Einstieg.
Später haben wir ihn dann wahr gemacht: Den Traum vom Landleben
Für die Summe einer Berliner Jahresmiete haben wir ein Haus in der Oberlausitz gekauft und erleben diesen Traum nun mit allen seinen Bergen und Tälern, mit allen seinen Wettern und Wassern und wollen trotzdem nicht mehr weg. Es ist einfach viel zu schön: Diese Weite, der Rhythmus der Jahreszeiten, der Sternenhimmel, dieser Duft frischer Luft, der viele Platz, der eigene Garten… Irgendwie erfasst viele Menschen beim Thema Land so eine romantische Ader.
Hier geht es nicht etwa um das reale Landleben, sondern es geht um den Traum, wie es sein könnte, wenn alles so schön wäre, wie es niemals war. Irgendetwas in uns fühlt sich einfach viel richtiger und wohler in den kleinen, geordneten und geerdeten Verhältnissen eines Dorfes.
Mein Mann und ich sind also nach vielen Jahren in Berlin in ein kleines Dorf an der Neiße gezogen. Seit 2009 werkeln wir an Haus und Garten und haben erfolgreich unsere Kreativagentur aufgebaut. Wir sind der lebende Beweis dafür, dass so ein Landleben Realität werden kann. In unserem Falle dank des Internets, was übrigens entgegen gängiger Meinung auch ohne DSL funktioniert. Wir hatten viele Jahre einfach eine große Satellitenschüssel auf dem Dach stehen und waren darüber mit aller Welt (auch der Arbeitswelt) verbunden.
Nachdem wir uns eingelebt hatten, fielen uns zwei Dinge auf
Zum einen stehen hier immer mehr äußerst günstig zu habende Häuser leer. In den nächsten fünf bis zehn Jahren sollen es bei uns in der Oberlausitz 20 bis 25 Prozent weniger Einwohner geben. Und zum anderen bemerkte ich, dass immer, wenn ich mit Städtern redete, mindestens einer sagte: „Oh, ich möchte auch gern auf‘s Land ziehen. Davon träume ich schon lange. Hier können wir die steigenden Mieten und die Enge immer schlechter ertragen. Wir müssen unbedingt mal bei Euch vorbeikommen.“ Gute Idee, dachte ich mir.
Und so postete ich einfach eine Einladung an alle Wagemutigen und potentiellen Raumpioniere auf unsere Internetseite: „Wer immer von Euch Lust auf‘s Land hat: Kommt vorbei, wir teilen unsere Erfahrungen mit Euch!“ Es dauerte gar nicht lange und die ersten besuchten uns. Seit zwei Jahren bieten wir nun schon ehrenamtlich und kostenlos Beratungen für Städter an.
Zum einen geht es um ganz praktische Fragen: Gibt es Kindergartenplätze (ja), oder wie sieht es mit Förderungen aus (über ein EU Programm gibt es 30 bis 40 Prozent für den Ausbau eines leer stehenden Hauses). Aber vor allem geht es darum, Mut zu finden und es geht um eine Annäherung: Gibt es da Leute wie mich?
Wie sind die „Dörfler“, wenn neue Leute zuziehen? – Wir haben hier sehr positive Erfahrungen gemacht und sind sofort herzlich willkommen gewesen. Ich erkläre mir das so: Nach den vielen Jahren, in denen es immer mehr Menschen in die Städte zog, ist es nun einfach schön zu sehen, dass auch mal jemand kommt. Das ist anders als im Speckgürtel von Berlin, wo der Raum schon wieder eng geworden ist.
Gleichzeitig suchten wir nach Fördergeldern und das war ein harter Brocken. Ich hätte gedacht bei der Dringlichkeit des Themas, würde man uns rote Teppiche ausrollen. Aber irgendwie passten wir nie richtig zu den Förderkriterien. In diesem Jahr hat es dann doch noch geklappt. Mit Hilfe der Demografie-Richtlinie Sachsen konnten wir die Raumpionierstation Oberlausitz eröffnen und bauen nun ein Netzwerk vieler hier schon lebender Raumpioniere auf, um die Vielfalt der Möglichkeiten des Landlebens zu zeigen. Dieses Netzwerk ist außerordentlich wichtig: Denn auch hier im Ländlichen gibt es einen „Schwarm“, also eine kritische Masse an kreativen und interessanten Leuten – nicht nur in den Schwarmstädten, wie zum Beispiel Leipzig und Berlin.
Nur sind die Leute weiter verteilt und schlechter zu finden. Und dabei ist dieses „weiter“ relativ: Wenn ich Entfernung als Zeit begreife, bin ich in Berlin auch nicht schneller unterwegs. 30 bis 40 Minuten Fahrtzeit musste ich schon immer einplanen.
Und was verliert man nun, wenn man in die Provinz zieht?
Denn ja, es ist auch tatsächlich provinziell:
- Deine Freunde aus der Stadt besuchen Dich unheimlich gern im Sommer. Für den Winter musst Du Dir neue suchen!
- Es gibt keinen Thailänder, keinen Inder und keinen Japaner weit und breit. Ein akzeptables Stammcafé auch nicht. Ebenso wenig kannst Du aus 200 verschiedenen Yogakursen aussuchen. Die Devise heißt: Mach es selbst! Deinen Espresso, Dein Sushi, Deinen Glasnudelsalat oder mach eine Erlebnisfahrt in die nächste Großstadt draus.
- Der Winter kann echt dunkel sein, obwohl man natürlich viel mehr Licht in den Räumen hat als in den meisten Wohnungen in einer Stadt. Ich denke, man muss den Weg zum inneren Lichtschalter finden. Draußen macht ihn jedenfalls keiner für Dich an – nicht mal eine Leuchtreklame.
- Der Garten ist kein Supermarkt, im Winter ist die Auswahl gewöhnungsbedürftig.
- Überraschungsbesuche werden auf jeden Fall vorher angekündigt.
- Das Internet flutet einen nun auch hier, es gibt kein Entkommen mehr.
- Du hast jetzt unglaublich viel Platz. Der kann einem manchmal auch zu groß vorkommen. In unserem 100 Kilometer langen Landkreis leben weniger Menschen als in Friedrichshain-Kreuzberg!
- Wenn man sagt, man lebt auf dem Dorf und betreibt dort eine Agentur, schlägt einem eine gewisse Geringschätzung entgegen. Deshalb ist es immer von Vorteil, sich für dieses Spiel eine großstädtische Aura zu bewahren.
- Am Tag nach der Bundestagswahl fühlten wir uns echt elend. Nun haben wir mit einigen Nachbarn gesprochen. Nicht dass wir dies vorher nicht getan hätten, nun war dies aber nochmal viel existenzieller, da für uns die AfD ein absolutes No-Go ist. Soweit ich das verstanden habe, geht es weitestgehend um Systemkritik: Wem gehört der Strom, wem das Wasser? Die vieles erstickende Bürokratie ist ein Thema und die ewig währende Ungleichheit zwischen Ost und West. Hinzu kommt dann noch eine diffuse Fremdenangst, die man nicht äußern darf, weil man dann als rechts gilt. Und eben dieses Gefühl von „nichts sagen dürfen“, „nicht gefragt und nicht gehört werden“ äußert sich in Wut. Ich kann mit 80 Prozent der Kritik übereinstimmen, nur käme ich nie auf die Idee, deshalb die AfD zu wählen. Ich denke, so schwer es in diesem Moment auch fällt: Bürgerbeteiligung wäre verdammt wichtig. Denn genau das ist mit den Verwaltungsreformen der letzten Jahrzehnte immer mehr verloren gegangen. Die Gemeinden und Landkreise werden immer riesiger, wirkliche Entscheidungen treffen kann vor Ort keiner mehr.
- In den Garten kann man verdammt viel Arbeit stecken. Hier gilt es einen inneren Zustand zu finden, der einfach auch mal „wachsen lässt“.
- Das Leben auf dem Land ist nicht wirklich umweltfreundlich. Ein Haus hat jede Menge Außenwände und die Heizkosten sind nicht ohne. Der Nahverkehr ist nicht ernst zu nehmen, es sei denn, man will zur Schule gehen. Wir haben zwar auch mal ein Jahr lang ohne eigenes Auto (trotz einer Firma) hier gelebt. Aber seitdem wir ein Kind haben, ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Also kauften wir ein Auto. Dann kam noch eine Firma dazu. Und nun haben wir noch ein zweites Auto geschenkt bekommen. Und siehe da: Wir brauchen sie beide.
- Ganz allgemein wird man auf dem Land durch die fehlenden, gewohnten Reize mehr zu sich selbst kommen. Das kann sich erst einmal unangenehm anfühlen. Manche Menschen können schlecht schlafen, weil sie den Lärm gewohnt sind und die Stille sich unheimlich anfühlt. Ich würde sagen, ich hatte in den ersten Monaten eine Art Stadt-Entzug. Einmal die Woche musste ich dann dringend nach Berlin fahren. Jetzt sind es nur noch zwei bis drei Mal im Jahr und das nur aus Lust und Laune. Ich brauche es nicht mehr.
Wer jetzt immer noch mit dem Landleben liebäugelt, der kann gern mal bei uns vorbeikommen. Schreib uns einfach eine E-Mail: willkommen@raumpioniere-oberlausitz.de. Wir freuen uns auf Dich!
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