Edinburgh, Schottland. Ein klarer Freitagnachmittag im Februar. Trockener und sonniger als man es zu dieser Zeit des Jahres vom Norden Großbritanniens erwarten würde. Warme Oberbekleidung kann ich trotzdem gebrauchen. Ein Pullover fällt mir ins Auge, reine Wolle, nur 6,99 Pfund, also etwa 10 Euro. Dafür bekommt man bei dem hohen Preisniveau dieses Landes nicht mal ein Mittagessen mit Getränk. Ich überlege nicht lange und gehe zur Kasse. Die Verkäuferin lächelt freundlich und verpackt meinen Einkauf in eine gebrauchte Lidl-Plastiktüte.
Dinge statt Produkte
In dem Laden, in dem ich den Pullover erstanden habe, gibt es noch andere kuriose Dinge zu kaufen. Eine Markenjeans in Weite 40, Länge 30 Zoll, eine Tasse mit der rot-weißen Flagge Englands für 50 Pence (wird hier in der schottischen Hauptstadt vermutlich ein Ladenhüter bleiben), ein Milchkännchen in Form einer Ente, das man durch eine Öffnung im Hinterkopf befüllen kann und dessen Preis ich wohl erfragen müsste, weil kein Etikett zu sehen ist. J.K. Rowlings Post-Potter-Roman „A Casual Vacancy“ für 1,99£ neben einem Internetratgeber aus dem Jahr 1999 und einem dicken Wälzer, in dem Margaret Thatcher ihre Jahre als Premierministerin schildert.
Charity Shops sind meist nicht in den besten Einkaufslagen zu finden, aus dem Stadtbild Edinburghs und anderer Städte im Vereinigten Königreich aber nicht wegzudenken. Im gesamten Land gibt es insgesamt etwa 10.000 dieser Läden. Die meisten betreibt die Organisation Oxfam, die auch an einigen wenigen Standorten in Deutschland vertreten ist. 290 Millionen Pfund erbringen die Läden jährlich für ihre Organisationen, schätzt der Dachverband der Charity Shops.
Freiwillige statt Angestellte
Menschen, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Eigenarten niemals eine Stelle im kommerziellen Einzelhandel finden würden, arbeiten in den Charity Shops neben der Hausfrau aus der middle class und dem pensionierten Lehrer. Ehrenamtliche Arbeit können sich allerdings nur die erlauben, deren Existenz materiell schon gesichert ist.
Ohne den Zwang, immer höhere Gewinne machen zu müssen, kann eine Arbeitsatmosphäre entstehen, in der jeder einen Platz findet und auf seine Art mitarbeiten kann. Das Lächeln der Verkäuferin im Charity Shop ist keine Forderung interner Vorschriften zur Maximierung der Kundenzufriedenheit; es bleibt der Eindruck, dass man es hier nicht mit Angestellten zu tun hat, die nur einen Job machen, sondern mit Menschen, die ganz natürlich mit den Einkaufenden interagieren. Eine solche Identifikation mit der eigenen Tätigkeit und dem Arbeitgeber scheint der kommerzielle Einzelhandel seit einiger Zeit durch Kostendruck und Effizienzzwang unmöglich zu machen.
Nische des Konsumismus
Die meisten angebotenen Artikel sind gespendet und so manche Vase, die zum Verkauf steht, wird schon einige Jahre in einem Keller verbracht haben bevor sie ihren Platz hier im Regal fand. Ein wenig wie der alte Kleiderschrank auf Omas Dachboden riechen die Läden. Sieunterscheiden sich in ihrer ganzen Erscheinung stark von den klinisch sauberen, hell erleuchteten Modegeschäften der Shopping Malls und Innenstädte, deren oft asketisch anmutende Ausstattung in zynischem Gegensatz zu ihrem entfesseltem Konsumrausch steht. Doch was die Charity Shops an Reinlichkeit und Größe zu wünschen übrig lassen, machen sie durch ihre Einzigartigkeit wett.
Zu Hause probiere ich meinen Pullover vor dem Spiegel noch mal an; eine Umkleidekabine gab es in dem kleinen Laden nicht. Meinen Kopf bekomme ich nur mühsam durch den Kragen. Farbe und Muster sind gewöhnungsbedürftig: viel Braun, etwas Grün und Gelb. Noch könnte ich ihn zurückgeben. Aber nein, da ist doch Sympathie für dieses kratzige Unikat. Das jetzt erst mal ordentlich gewaschen werden muss.
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