Smart ohne Einsen und Nullen

Wenn Daten das neue Öl sind, wären Sensoren die neuen Bohrtürme.

In Bürogebäuden werden Wärme, Luftfeuchtigkeit oder Helligkeit gemessen, am Fließband Druck, Temperatur oder Gewicht und über die Sensoren unserer Tastatur erzeugen wir vergleichsweise wenige, aber gern gesammelte Daten. Die technische Entwicklung und der Preisverfall der Sensoren sorgen dafür, dass alles gemessen wird was sich nur messen lässt. Durch Vernetzung, also unzählige Pipelines, und das Raffinieren des Daten-Rohöls ergibt sich der Nutzen: Jalousien schließen sich, wenn es zu hell ist, die Heizung kühlt in der Mittagshitze ab, Maschinen werden ausgetauscht bevor sie kaputt gehen.

Ziemlich smart – so lassen sich bei großen Versorgungssystemen oder Produktionsanlagen, Energie, Ressourcen und Zeit einsparen. Das Dumme daran: Die Sensoren und die Datenauswertung verbrauchen Strom und Ressourcen. Die Geräte müssen miteinander kompatibel sein, was Plattformen mit Monopol-Anspruch entgegenkommt. Nervig sind außerdem Viren, Hackerangriffe, erleichterte Industriespionage, Updatezwang und das Theater, wenn der Wasserhahn-Sensor erst nach einer Einlage raumeinnehmender Gebärdensprache auf Bauchhöhe reagiert.

Die wenigsten Menschen würden sich wohl einen Wasserhahn mit Bewegungssensor daheim installieren und lange Zeit wurde mehr über „Smart Homes“ geschrieben, als die vernetzten Geräte wirklich installiert wurden – doch ihr Umsatz steigt.

Die Frage was bei einem Stromausfall geschieht, bekommt dadurch neue Würze. Klar: Ob smart oder nicht, die Waschmaschine wäre so oder so tot. Aber nun auch das Türschloss, der Wasserhahn und die Heizung. Und auch wenn wir selbst vom Stromausfall gar nicht betroffen sind, reicht nun der Ausfall eines Knotenpunktes woanders, um den Zugriff auf die Cloud, die verknüpften Produktionsstätten oder gar das Telefonnetz zu verlieren. Wer selbst keinen Strom mehr hat, braucht spätestens, wenn der Handy-Akku leer ist, Kofferradio und bestenfalls Ersatzbatterien zuhause. Klingt schon fast mittelalterlich.

Stephen Colbert Television GIF - Find & Share on GIPHY

Um gegenüber kleinen oder großen Stromausfällen, technischen oder menschlichen Fehlern oder Angriffen resilienter zu werden, lohnt ein Blick auf komplexe, analoge Systeme: In mehreren Städten Indiens fahren sogenannte Dabbawalas hunderttausende Essenslieferungen aus. Dafür brauchen sie keine App, ja nicht einmal Papier. Farbkodierungen, Buchstaben und Ziffern weisen den Weg über verschiedene Kuriere von der Küche bis hin zum Teller. Vor wenigen Jahren erlebte ich ein schwaches, aber spürbares Erdbeben in Mexiko-Stadt. Der Strom fiel großflächig aus. Dennoch war es möglich den Busbahnhof mit einer Verspätung von nur einer Stunde zu verlassen – das Ticketsystem funktionierte auch ohne Strom. Smarte, nicht-digitalisierte Beispiele finden sich natürlich auch hierzulande: Passivhäuser zum Beispiel brauchen keine Heizung und kommen weitestgehend ohne Sensoren aus. Denn: Innovationen mit technischen Neuerungen gleichzusetzen ist ein Fehler, soziale Innovationen sind oft viel spannender!

Die Schlussfolgerung sollte nun nicht sein, den Saft abzudrehen, alle Apps zu deinstallieren oder Papier und Stempel zu romantisieren. Vielmehr müssen wir uns häufiger fragen, wie wir unsere öffentliche Infrastruktur oder Unternehmen widerstandsfähig aufbauen. Das wäre wirklich smart. Genauso wichtig ist die Frage, ob alles vermessen und verknüpft werden muss, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wir generieren Daten bevor wir morgens aus dem Bett aufgestanden sind – eine Arbeit für die wir nicht bezahlt werden. Für die meisten Geräte in Privathaushalten sind die Einsparungen von Energie und Geld für den Benutzer selbst gering, die Sicherheitslücken, der Ressourcen- und Daten-Fußabdruck sind aber riesig.

Apropos smart: In unserer sechsten Ausgabe verraten wir dir wie du einen Smart Speaker selber bauen kannst. Der Vorteil: Du bleibst Herrin deiner Daten!

Foto: Josh Wilburne, Unsplash

Newsletter