Illustration einer Mutter, die ihr Baby hält.
Illustration: Judith Neuling

Wie wir auch 2050 noch gesund leben können

Mensch, Tier und Umwelt – spätestens seit SARS-CoV-2 wissen wir, wie einige der großen Krisen unserer Zeit zusammenhängen. Wir müssen sie gemeinsam angehen: mit One Health.

Vor 78 Jahren erhielten Alexander Fleming, Howard Florey und Ernst Chain den Nobelpreis für eine Zufallsentdeckung, welche die Geschichte verändern sollte: Penicillin, das erste Antibiotikum. Zunächst im Zweiten Weltkrieg eingesetzt, um Soldatenleben zu retten, erreichte das Wundermittel, das die Bekämpfung von vorher tödlichen Infektionen ermöglichte, bald auch die breite Zivilbevölkerung.

Ein Hype um den neuen Popstar der Medizin entstand und die Erforschung neuer Antibiotikaklassen folgte. Doch Fleming warnte bereits in seiner Preisrede im Jahre 1945 vor der Ignoranz des Menschen, die zur Entwicklung einer der größten Bedrohungen unserer globalen Gesundheit führen sollte: Antibiotikaresistente Keime.

Szenenwechsel in die Zukunft. Knapp 100 Jahre nach Fleming, im Jahre 2050, befinden wir uns in der Notaufnahme einer Klinik. Diagnose: Blinddarmentzündung mit Durchbruch, die Lage ist ernst. Eine Operation alleine reicht nicht mehr. Um das lebensbedrohliche Szenario aufzuhalten, benötigen die Ärzt:innen wirksame Antibiotika, welche die nun frei im Körper zirkulierenden Keime bekämpfen sollen. 2050 gibt es allerdings ein Problem: Wir befinden uns inzwischen im post-antibiotischen Zeitalter. Resistenzen haben sich ausgebreitet, weder Flemings Wundermittel noch andere Antibiotika sind wirksam.

Reale Dystopie

Tatsächlich werden Wissenschaftler:innen zufolge im Jahr 2050 mehr Menschen an Komplikationen im Zusammenhang mit antimikrobiellen Resistenzen sterben als an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Was klingen mag wie ein dystopisches, aber unwahrscheinliches Zukunftsszenario, ist bereits die beginnende Realität.

Resistenzbildungen an sich stellen natürliche Strategien von Bakterien dar. Wie sonst auch in der Evolution setzen sich seit Millionen von Jahren die Stärkeren durch: »Survival of the fittest« gilt auch für die kleinsten Mitbewohner auf dem Planeten. Allerdings begünstigt und verstärkt unser Verhalten, so wie Fleming es prophezeit hat, die Ausbildung und globale Verbreitung von Resistenzmechanismen. Dabei wird der Zusammenhang zwischen Mensch, Tier und Umwelt mehr als deutlich: Durch falsche Dosierungen und unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika gegen Erkrankungen, gegen die sie aber unwirksam sind, wird Keimen Raum gegeben, Resistenzen auszubilden.

Zudem werden Antibiotika in der Massentierhaltung eingesetzt. Auch das fördert die Entwicklung von Resistenzen. Durch den Verzehr des Fleischs von Rindern, Schweinen und anderen Tieren nehmen wir Menschen die Keime anschließend selbst auf. Rückstände in der Umwelt spielen eine weitere Rolle, beispielsweise über Abwässer in Gesundheitseinrichtungen oder Ausscheidungen von Tieren in der Freilandhaltung.

Unerwünschte Partygäste

Einmal ausgebreitet, lassen sich solche Resistenzmechanismen nicht mehr aufhalten: Zum Beispiel durch Gentransfer zwischen Bakterien werden sie weitergegeben und verfestigt. Sie sind wie unerwünschte Gäste auf einer Party. Sie kommen unangemeldet, breiten sich aus und lassen sich auch durch energisches Auffordern nicht vertreiben.

Dieser Text ist erschienen in transform No. 9 – Juhu! Diese Welt geht unter (Bestellen)

Bereits jetzt wirken viele der mehr als 15 bekannten Antibiotikaklassen nicht mehr gegen bestimmte Keime. Alleine 2019 sind rund 4,95 Millionen Menschen an mit resistenten Keimen assoziierten Erkrankungen gestorben – Tendenz steigend. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat antibiotikaresistente Keime schon lange auf die Liste der zehn größten Bedrohungen der globalen Gesundheit gesetzt.

One Health: Was nie hätte getrennt werden dürfen

Dabei sind antibiotikaresistente Keime nur ein Beispiel der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt. Zoonosen sind genau wie der immer spürbarer werdende Klimawandel und Biodiversitätsverlust weitere Beispiele für die Folgen des Eingreifens von Mensch in den Lebensraum von Tier und in die Umwelt.

Spätestens seit SARS-CoV-2 müssen wir die Gesundheit des Planeten und der Tierwelt in Abhängigkeit von unserer betrachten. Wissenschafler:innen haben dafür einen interdisziplinären und ganzheitlichen Ansatz entwickelt: »One Health«. Während »Public Health« sich mit der Humangesundheit auf nationalem Level beschäftigt und »Global Health« im internationalen Kontext, führt One Health zusammen, was nie hätte getrennt voneinander betrachtet werden dürfen: Der Ansatz betrachtet die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als verbunden und voneinander abhängig.

Human- und Veterinärmedizin, genauso wie Agrarwissenschaften und Lebensmitteltechnik, sind einige der Disziplinen von One Health. Ziel ist, gemeinsam Wohlbefinden zu fördern, gegen die Gefahren für Gesundheit und Ökosysteme anzugehen und gleichzeitig den kollektiven Bedarf an sauberem Wasser, Energie und Luft, sicheren und nahrhaften Lebensmitteln zu decken, Mittel gegen den Klimawandel zu ergreifen und nachhaltige Entwicklung zu begünstigen.

Gemeinsamer Zusammenbruch

Es ist höchste Zeit für diesen gemeinsamen Ansatz, denn wir brauchen gar nicht bis 2050 ins post-antibiotische Zeitalter zu schauen, um die Konsequenzen der zirkulären Abhängigkeiten zu veranschaulichen: Vom Klimawandel, Pandemien, Nahrungsmittelunsicherheit und somit weiteren, auch nicht-übertragbaren Erkrankungen und Bedrohungen, sind bereits jetzt Millionen von Menschen betroffen, wobei die sozial und ökonomisch benachteiligten Anteile der Erdbevölkerung immer zuerst leiden. Während wir bereits bei uns Fluten und Dürre erleben, sind Länder wie Nigeria und Pakistan schon lange und ungleich heftiger davon betroffen, zusätzlich zur ohnehin vorherrschenden globalen Ungerechtigkeit.

Lebensbedingungen verändern sich: Klimaflucht, Kriege und Zerstörung sind weitere Folgen. Gleichzeitig schwinden seit Jahrzehnten immer schneller Tier- und Pflanzenarten; ganze Landschaften und genetische und biologische Vielfalt gehen unter – wir stehen vor einem Zusammenbruch unserer Ökosysteme. Saubere Luft, sauberes Wasser, sichere Lebensmittelversorgung und Klimaregulierung sind in Gefahr, gefolgt von Ausbreitungen invasiver Tierarten: Die Asiatische ­Tigermücke, die sich früher an südlicheren Orten sichtlich wohler fühlte als bei uns, verbreitet sich bereits in unseren Breitengraden und streut Krankheiten, die wir früher nur aus tropischem Klima kannten. Auch dies sind Beispiele dafür, wie abhängig wir von Tier und Umwelt sind und umgekehrt. Eine gesunde Welt kann es für uns nur geben, wenn die Gesundheit unseres Planeten und aller auf ihm lebenden Arten mitbedacht wird.

Täter und Opfer zugleich

Die One Health-Krisen unserer Zeit hängen zusammen und bedingen sich gegenseitig. Dabei sind wir Menschen sowohl Opfer als auch Täter. Flemings Prophezeiung bewahrheitet sich. Doch die Warnung ist schon lange bekannt und auch Erkenntnisse
über die Auswirkungen unseres Eingriffs in Umwelt und Tierwelt sind nicht neu. Wie konnten wir es also so weit kommen lassen?

Entscheidend ist hierbei, dass der Faktor des menschlichen Verhaltens zur Lösung globaler Probleme lange vernachlässigt wurde. Denn die gute Nachricht ist doch: Wenn menschliches Verhalten die Entstehung aller Krisen begünstigt, so liegt auch die Bekämpfung dieser Probleme in unserer Macht. Sozial- und Verhaltenswissenschaften sind neben den naturwissenschaftlichen Disziplinen demnach essentiell, um ein Bewusstsein, Handlungsbereitschaft und Verhaltensänderung im Bereich One Health zu bewirken. Nur so können wir effektive politische Maßnahmen sowie zielgruppenspezifische Kommunikation entwickeln.

One Health auf der globalen Agenda

Die Mitgliedstaaten der WHO haben zwei Resolutionen verabschiedet, die die Bedeutung von sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen für moderne Gesundheitssysteme und fairer Versorgung zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit hervorheben. Gemeinsam mit der WHO verabschiedeten die UN Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisationen (FAO), das UN Umweltprogramm (UNEP) sowie die Weltorganisation der Tiergesundheit (WOAH) zudem einen gemeinsamen Aktionsplan zur Unterstützung und für den Ausbau der Kapazitäten in den betroffenen Bereichen: den »One Health Joint Action Plan«.

Gesundheitsbehörden wie das Robert-Koch-Institut in Deutschland haben eigene Arbeitsgruppen zu One Health gegründet und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung plant, mit One Health zu arbeiten.

Von der Schublade zur Aktion

Aber reicht das? Um Maßnahmen wirklich durchzusetzen, müssten sich Politik und Rechtsprechung klar nach den Empfehlungen der internationalen Organisationen richten. An der Umsetzung hapert es noch – bis Empfehlungen implementiert werden, dauert es oftmals lange. Diese Zeit haben wir nicht mehr.

Die Auswirkungen von menschlichem Verhalten auf das Klima und die Ökosysteme werden wir nicht mehr in ihrer Gänze aufhalten können. Es liegt in unserer Hand, durch umgesetzten Klima- und Umweltschutz jetzt Schadensbegrenzung zu betreiben. Ziel sollte dabei auch sein, jedem Menschen – egal welchen Alters, Geschlechts, sozialer Schicht
oder Region dieser Welt – Zugang zu Wissen über One Health und seine Zusammenhänge zu ermöglichen. Gesundheit hängt auch eng mit Demokratie, Gleichberechtigung und der Einhaltung von Menschenrechten zusammen. So gelingt es uns, in mehr als nur einem Bereich die Rollen als Opfer und Täter gleichzeitig loszuwerden.

Bei alledem ist One Health zumindest der erste wichtige Schritt und bietet den ganzheitlichen Blick, sodass wir politisch und individuell für die gemeinsamen Ziele eintreten können. Für unsere Überlebenschancen in der Notaufnahme im Jahre 2050 bedeutet dies, dass es höchste Zeit ist, das Wissen über Antibiotikaeinsatz auf verschiedenen Ebenen besser zu implementieren und Verordnungen umzusetzen.

Antibiotika sind ein öffentliches globales Gut, deren Wirksamkeit dringend erhalten werden muss. Aufklärungskampagnen in der Allgemeinbevölkerung, aber auch in den spezifischen Bereichen müssen das Wissen über sachgemäßen Gebrauch erhöhen, gleichzeitig gibt es beispielsweise Stewardship Programme, welche Ärzt:innen und Personal in Praxen und Kliniken bereits im Einsatz von Antibiotika schulen. Zusätzlich muss die Entwicklung neuer Antibiotika sowohl von Pharmafirmen, als auch von Politik priorisiert und gefördert werden. Die EU hat dafür schon seit Jahren Programme laufen.

Wir können also auf verschiedene Weise zur Lösung dieses Problems beitragen, genau so, wie One Health es vorsieht. 2050 werden wir dankbar sein, wenn wir uns jetzt damit beschäftigt haben und unsere Wundermittel noch wirken. Adieu, unerwünschte Partycrasher!

Text: Parichehr Shamsrizi und Elisabeth Sievert

Dr. Parichehr Shamsrizi hat Medizin studiert und in der Infektionsforschung promoviert. Sie forscht unter anderem zu den Themen Gesundheitsverhalten im One Health Kontext am Institute for Planetary Health Behaviour der Universität Erfurt und am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.

Elisabeth Sievert hat Psychologie ­­(­­M.­Sc.) und Gesundheitswissenschaften (M.Sc.) studiert. Mittlerweile promoviert sie am Institute for Planetary Health Behaviour und am Bernhard-Nocht Institut für Tropenmedizin zu Gesundheitsverhalten, mit einem Fokus auf Antibiotika.

Illustration: Judith Neuling

Quellen

Global burden of bacterial antimicrobial resistance: a systematic analysis. Antimicrobial Resistance Collaborators, The Lancet, Volume 399, Issue 10325, 2022 (Zur Studie)

Penicillin. Alexander Fleming, Nobel Lecture, 1945 (Zum Text)

One Health Joint Plan of Action. FAO, UNEP, WHO, WOAH, 2022 (Zum Text)

European Regional Action Framework for Behavioural and Cultural Insights for Health, 2022 – 2027. World Health Organization, 2022 (Zum Text)

Behavioral Sciences for Better Health. World Health Organization, 2023 (Zum Text)


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