Wir müssen reden

Warum wir ihn gerade jetzt brauchen: den Dialog, der wehtut. Und zwar mit allen, von allen.

Vor Jahrzehnten veröffentlichte die Szenezeitschrift arranca! einen Artikel, der die linke Szene der Republik über Jahre hinaus prägen sollte. Mit Nazis reden von Magazin-Autor und -Herausgeber Wiglaf Droste legte im Jahr 1993 nahe, dass „hinlänglich bekannt [sei], was sie [die Nazis] denken, fordern und propagieren“ und folgerte daraus „verordneten Antifaschismus all night long“.

„verordneten Antifaschismus all night long“

Das Grundverständnis der antifaschistischen Bewegung wurde damit noch einmal so richtig festgenagelt: mit dem Feind wird nicht geredet, ganz nach der Devise „was nicht sein soll, soll nicht sein“. Und daraus folgte: Kaum inhaltliche Auseinandersetzung, dafür „kein Fußbreit den Faschisten“.

Etwa genauso beschrieb es 2014 der Autor Akif Pirinçci, Altmeister zeitgenössischer Katzenliteratur und Federschwinger aus dem rechten Lager, in seinem Buch „Attacke auf den Mainstream“. Demnach sei die bürgerliche Presse den „Gutmenschen“ verfallen und, so sinngemäß, „leugne gewaltige Gefahren, die unsere Republik in den Abgrund führen“. Das sind Worte, mit denen der Mann längst nicht nur ein Nischenpublikum erreicht: er ist zu einem Sprachrohr für Tausende geworden. „Leider wahr“ … „So ist es“ – So äußern sich im Internet seine Anhänger, die sich längst als eine Art unterdrückte Mehrheit betrachten.

Wie kommen wir da raus? Nun ja. Zunächst müssen wir da rauskommen wollen.

Schwierige Beziehungskiste

„Wir müssen reden.“ Für gewöhnlich fällt dieser Satz, wenn Probleme zwischen zwei Parteien lange nicht ausgesprochen wurden. Wenn so lange keine klärenden Worte mehr gefallen sind, dass sich eine Seite gezwungen sieht, etwas grundlegend anders zu tun.

Sollen die anderen etwa auswandern?

Klar. Für den einen oder die andere mag es am einfachsten erscheinen, eine Art Schlussstrich zu ziehen. Doch das ist problematisch: wenn diese zwei Parteien die ganze Bevölkerung spalten, etwa. Wenn sich beinharte Vorwürfe gegenüberstehen. Von Naivität hier, dem Neofaschismus dort. Klar könnten wir sagen: „Die sind nicht zu retten!“ Aber wie wäre uns damit geholfen? Sollen die anderen etwa auswandern?

Irrsinnigerweise wäre genau das ja schon eine erste Annäherung zu einem der beliebtesten Lösungsansätze der Rechten. Aber vielleicht nicht so? Was wir brauchen, ist doch eine ganz andere Fähigkeit: Menschen integrieren. Also wie wäre es, wenn wir jetzt damit anfangen? Und zwar bei unseren komischen Nachbarn, Eltern und Kollegen.

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„Ich bin kein Faschist!“

Michael heißt eigentlich anders. Wahr ist aber: Er ist ein junger Ingenieur aus Dresden und bekam eines Tages von seinen Eltern zu hören, dass sie die migrationskritische „Pegida“-Bewegung „gar nicht mal so schlecht“ fänden.

Er versuchte es mit Zuhören.

Wie Michael reagierte, ist angesichts seines Verwandtschaftsverhältnisses scheinbar naheliegend: Wer Eltern hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wissen, dass ein ordentlicher Bruch – wenn auch nur mal für eine Weile – keine Seltenheit darstellt. Ohne Probleme hätte er seinen Eltern sagen können, dass sie einen an der Waffel haben, und die Tür hinter sich zuknallen lassen. Das alte Meissner Porzellan wäre von der Wand gefallen! Doch was er tat, war beinahe revolutionär. Es stellte seine ganze Geduld, seine ganze Empathiefähigkeit auf die Probe. Seine Strategie: Er versuchte es mit Zuhören.

„Ich war erst mal geschockt, dass meine Eltern ‚Pegida‘ so unkritisch verteidigt haben. Schnell habe ich gemerkt, dass es ihnen mehr um den Umgang mit der Menge von Asylbewerbern und um die Ursachen dafür geht. Sie regt die Abwartementalitat der Politik auf, die erst dann reagiert, wenn ‚alles zu spät‘ ist. Dies ist meiner Meinung kein Grund, für alles was ‚Pegida‘ steht und tut, einzustehen. Das habe ich versucht meinen Eltern zu erklären“

Und tatsächlich. Gerade weil er seine Eltern ernst nahm und ihnen auf Augenhöhe begegnete, er sie nicht verurteilte, konnten sie miteinander ein fruchtbares Gespräch führen. Gerade weil Michael eben nicht mit der Mission in das Gespräch ging, die anderen von seiner Meinung zu überzeugen. Interessant war dabei eine ganz besondere Motivation, mit der er zu Beginn nicht gerechnet hatte:

„Viele der Argumente von meinen Eltern kommen meiner Ansicht nach auch aus einem Trotz heraus, da meine Geschwister und ich uns ganz klar gegen ‚Pegida‘ gestellt haben.“

Könnte es sein, dass gerade das Wegdrücken, die Negierung der Gegenseite, zu einem Erstarken ebenjener führt? Denn tatsächlich, so könnte man meinen, ist der Dialog doch viel schwieriger als das Wegschieben. Auch Michael stieß dabei an seine Grenzen.

„Ich habe meist versucht, ruhig mit meinen Eltern über das Thema zu reden, und auch Probleme in der ‚Pegida‘-Argumentation aufzuzeigen. Aber manchmal war ich auch frustriert und genervt. Das führte auch dazu, dass die islamfeindliche Bewegung teilweise einfach nicht angesprochen wurde, um Konfrontation zu vermeiden.“

Hat er sich selbst nun an dieser Stelle aufgegeben? Hat er Werte des Humanismus verraten, wenn er sich mit Menschen ausgetauscht hat, die eine andere Überzeugung haben als er? Gewiss nicht. Was Michael getan hat, war eine Form der „umsichtigen und sachlichen Konfrontation“, sagt Lukas Boehnke, der an der Hochschule Merseburg unter anderem zu „Pegida“ forscht. „Das geht mit sogenannten besorgten Bürgern im Vergleich zu strammen Nazis nämlich noch ganz gut.“

„Der Islam ist eine aggressive Religion“

Dabei sind es oft keine überzeugten Nazis, die im Jahr 2015 im Namen migrationskritischer Straßenbewegungen wie „Pegida“ in Dresden, oder der eher neuen rechtskonservativen AfD durch die Straßen liefen. Die ZDF-Reporterin Dunja Hayali war im Oktober vergangenen Jahres im Zentrum von Erfurt unterwegs und lies die Leute einfach mal ins Mikrofon sprechen: „Der Islam ist eine aggressive Religion“, „Angst vor Rentenkürzung“, aber auch immer wieder: „Ich bin kein Faschist!“

Sind diese Ängste irrational? Ignorieren die „Pegida“-Anhänger die wahren Schuldigen an wirtschaftlichen Problemen, wie steuerflüchtige Unternehmen oder große Banken, wenn sie stattdessen die Ärmsten der Armen bezichtigen, den Staat in die Pleite zu treiben? Versteckt sich hier tatsächlich ein verkappter Rassismus? „Ja“, meint Sozialforscher Boehnke:

„Identität und ethnische Integrität stellt man sich als quasi-natürliche Eigenschaft vor – deutsche Werte, die im deutschen Volk verankert sind und vom Individuum mit der Muttermilch aufgesogen werden. Solche Naturalisierungen muss man erst mal selbst erkennen, benennen und dann auf einen Widerspruch stoßen. Etwa so: Wenn hier bei uns alles so natürlich, herkömmlich und allgemein ‘gut’ geordnet ist, wozu braucht es denn dann noch einen Staat?”

Und dann kommt man auf die genannte soziale Realität zu sprechen und versucht, über echte Probleme zu reden und diese dabei von rassistischen Beweisabsichten zu trennen. Denn das rassistische Urteil hat einen Ausgangspunkt: Die eigene Identität, die durch ‚Andere‘ oder ‚Fremde‘ durcheinandergebracht werden soll, weil man sich die eigene Gesellschaft als natürlich-harmonische Ordnung vorstellt. Und diese Vorstellung passt nicht.“

Entscheidend ist, wo sich Mehrheiten bilden.

Vielleicht spielt es keine Rolle, wer von den „Pegida“-Anhängerinnen und -Anhängern tief im Herzen wirklich ein Faschist ist. Und ganz bestimmt müssen wir deren verschiedene Ängste nicht teilen. Aber vergessen dürfen wir nicht, wie schön und wichtig es letztlich ist, dass Menschen mit verschiedenen Augen durch die Welt laufen. Es ist doch gerade die Vielzahl an Einschätzungen, die in einer Demokratie zu den besten Ideen führen. Entscheidend ist, wo sich Mehrheiten bilden. Und in diesem Prozess sollten wir verhindern, dass die dort entstehen, wo wir sie nie wieder haben wollen.

Gerade das Ringen, das Feilen um jeden Quadratzentimeter ist es doch, was unserer Intelligenz erst den Wert verleiht, der uns zu Menschen macht. Wir sollten nicht vergessen, dass wir „eigentlich nichts wissen“ (Cicero), und darüber hinaus nicht die Moral missbrauchen, um uns selbst zu isolieren. Denn auch die Moral ist nicht mehr als das Wissen, wie wir handeln sollen. Und dieses Wissen ist beileibe nicht universell einsetzbar.

Haltung zeigen

Menschenverachtung darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Aber wo hat Hass seinen Ursprung? „In unserer Gesellschaft“, sagt Boehnke. „Das geht zurück auf die Vorstellung der natürlichen nationalen Identität und Integrität. Diese haben sehr viele Leute so im Kopf und daraus kann Fremdenhass – oder auch Hass gegen ‚Gutmenschen‘ erwachsen, die der herkömmlichen Moral ihre ‚volksfremde‘ Moral aufdrücken wollen.

Das ist meiner Ansicht nach der Witz bei ‚Pegida‘: Angst um die herkömmliche Volksmoral, Angst um das deutsche Wesen, bedroht von inneren und äußeren Feinden. Dieser Gedanke hat seinen Ursprung im Patriotismus, in einer vorgestellten Gemeinschaft der Deutschen, folgt aber nicht notwendig daraus.

Sicherlich ist es kein Fortschritt im Kampf gegen den Hass, wenn wir uns ihm – unter verkehrtem Vorzeichen – anschließen. Wenn wir beginnen, nicht mehr mit Menschen zu reden und sie ausschließen – dann geben wir ihnen gleichzeitig ein Stück weit Recht. Und unter Umständen tauschen wir Meinungen sogar aus, wenn wir nicht mal miteinander reden. Nur ist das Ergebnis dann weit von dem entfernt, was wir uns vorgestellt hatten.

„Der Sprechende mag ein Narr sein, Hauptsache der Zuhörer ist weise“, sagte der chinesische Philosoph Laotse bereits 600 Jahre vor Christus, und hielt bis heute Recht. In Bezug auf die Migrationskritiker hat das bloße Gehört-werden noch niemanden stärker und mächtiger gemacht. Nimm Dir Mut, und wenn Du eine Haltung hast, verbirg sie nicht! Treten wir für den Humanismus ein. Wenn dieser den Glauben an das Gute im Menschen verkörpert, wird er auch gewinnen. Denn Menschen sind wir alle.


Illustration: Tamara Bogatzki für transform

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Dieser Beitrag ist Teil der neuen, zweiten Ausgabe von transform – dem neuen Magazin fürs Gute Leben. Und das kannst du hier bestellen!

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