Verletzt es die Gefühle von Gläubigen, wenn andere sich ihre religiösen Symbole zur Dekoration in die Wohnung oder den Garten stellen? Ein Meinungsbeitrag von Steffi Mertens.
Den ewigen Kreis der Wiedergeburt hat ein Buddha zwar durchbrochen. Im buddhistischen Glauben können Buddhas jedoch auf der Erde bleiben, um den Menschen dabei zu helfen, ihr Leid zu überwinden. Und Deutschland scheint am meisten unter der eigenen Spießbürgerlichkeit zu leiden, denn hierzulande manifestieren sich die Buddhas wie aus dem Nichts als Gartenzwerge. In ungezählten Vorgärten verbreiten sie entspannte Wohlfühlatmosphäre – sitzend, liegend, sogar in Form eines Froschs, dem man das »Ommmm« förmlich ansieht. Man fragt sich: Wann ist das eigentlich passiert? Und was verursacht dieses leise Unwohlsein beim Anblick der Buddha-Gartenzwerge?
Taugt fremde Spiritualität zur Deko?
Denke ich an Gartenzwerge, kommt mir der Schrebergarten meiner Eltern in den Sinn. Mein Vater liebte es, seine Gartenzwerge immer mal wieder neu zu bemalen. Es waren eigentlich ganz lustige Kerlchen, auch wenn ich als Kind natürlich bei jeder neuen Figur die Augen verdrehte. Wo liegt also das Problem, wenn jetzt statt dieser Gartengnome Buddhas für Entspannung sorgen? Bei einem Online-Gartenversand heißt es: »Buddha und Gartenzwerg vertragen sich. Der eine zeigt den Weg zum Entspannen, der andere mit einem Schmunzeln, wie glücklich die Gartenarbeit macht.« Vielleicht ist es genau das: Im Buddhismus symbolisieren Buddha-Statuen den Weg zur Befreiung. Sie dienen als Anker in der Meditation und werden in aufwendigen Zeremonien mit kostbaren Gegenständen und religiösen Texten befüllt. Der Verzicht auf Materielles und Äußerlichkeiten zählt gerade im Buddhismus viel. Buddha-Figuren dann als Deko-Objekt zu verwenden, entwürdigt sie geradezu. Oder?
Diese Frage stellt sich jedes Mal, wenn Symbole oder Traditionen von anderen Kulturen übernommen werden. Konflikte um entsprechende Vorwürfe gibt es schon lange. Von cultural appropriation, zu deutsch »kultureller Aneignung«, spricht man immer dann, wenn Menschen aus privilegierten Gesellschaften Frisuren, Kleidung, Accessoires oder Slangs aus einer marginalisierten Kultur übernehmen. Oft, ohne dabei den ursprünglichen kulturellen Wert des Übernommenen zu respektieren. Ein Beispiel wäre das Bindi, das hinduistische Segenszeichen auf der Stirn, das heute ein gern genutztes Gimmick auf Festivals ist.
Im Gegenzug dazu könnte man sagen: Der Transfer von Symbolen und Traditionen ist auch ein Zeichen für Wertschätzung und das Zusammenfinden der Religionen und Kulturen in unserer globalisierten Welt. Nehmen wir dadurch nicht auch Anteil an anderen Kulturen, wächst nicht letztlich auch unser Verständnis füreinander? Der Begriff »Kultur« wird häufig verwendet, ist aber wissenschaftlich nicht klar definiert. Religionen beschreiben kaum kulturelle Grenzen. Eine reiche Buddhistin in Singapur hat schließlich nicht viel gemein mit einem verarmten buddhistischen Bauern in Nepal. Von dem einen buddhistischen Kulturkreisen zu sprechen, ist unmöglich.
Klar ist aber: In einer Welt ohne jeden Austausch zwischen Menschengruppen würden Buddhas keine Gärten mehr zieren, christliche Kreuze würden nicht mehr als Modeschmuck herhalten und die Farben des Holi-Festes blieben allein den Indern vorbehalten. Ein Verändern oder Umdeuten von Bräuchen wäre ausgeschlossen – damit aber auch die gegenseitige Bereicherung, die das Kennenlernen automatisch mit sich bringt. Schließlich ist es wahrscheinlich, dass der deutsche Buddha-Gärtner tatsächlich so etwas wie Harmonie und Entspannung im Sinn hat, wenn er seinen Gartenschmuck platziert. Und mal ehrlich, wenn es dadurch an deutschen Gartenzäunen harmonischer zugeht, kann das nur gut für uns sein. Es ließe sich argumentieren, dass weiße, Bindi-tragende Festival-Besucherinnen die Unterdrückung der indischen Frauen verharmlosen. Aber besteht das eigentliche Problem nicht eher in jener Unterdrückung?
Kulturelle Segregation braucht keiner
Was Kritikern der kulturellen Aneignung aufstößt, sind die darin zum Ausdruck kommenden Machtgefälle. Wird das kulturelle Gut einer Minderheit von der Mehrheitsgesellschaft kommerzialisiert oder übernommen, so werde die Minderheit ihrer Würde beraubt. Die Würde des Menschen ist nach Immanuel Kant allerdings ein innerer Wert: unveränderlich, weder Zufälligkeiten noch einer Gewalt ausgeliefert. Kann eine weiße Bindi-Trägerin die Würde einer hinduistischen Frau in Indien also überhaupt verletzen? Die Freiheit anderer, ihren Glauben auszuüben, begrenzendas Bindi und der Garten-Buddha jedenfalls nicht. Aber auch Kant hat durch seinen kategorischen Imperativ empfohlen, dass der Mensch sein Handeln an der Reaktion bemessen soll, die es bei anderen auslöst. Uns in andere hineinzuversetzen, nachzufühlen und zu verstehen, was wir selbst in dieser Situation brauchen würden, solle die Grundlage des Handelns sein.
Klar ist: »Den Buddhisten an sich« gibt es nicht. Es lässt sich also nicht in alle buddhistischen Menschen hineinfühlen. Ein Großteil braucht vielleicht keine Buddha-freien Gärten, andere fühlen sich von den Deko-Buddhas gestört. In Thailand gibt es einerseits Hinweise an westliche Backpacker, buddhistische Symbole nicht zur Deko zu machen. Andererseits werden kleine Buddhas als Souvenirs verkauft. Manche Buddhisten verdienen also auch am spirituellen oder dekorativen Hunger der Touris – oder deren Gedankenlosigkeit.
Wie alle Menschen brauchen Buddhisten Respekt und Verständnis und vor allem die Freiheit, den eigenen Glauben oder Unglauben ausüben zu dürfen. Wir sollten uns nicht unreflektiert von der Faszination am Neuen, Andersartigen davontragen lassen, sondern uns bewusst mit den Bedürfnissen der Ursprungskultur auseinandersetzen. Triebe man hingegen die Bewahrung der kulturellen Reinheit auf die Spitze, würden wir alle viel verlieren. Allein: dem Export der deutschen Spießbürgerlichkeit wäre Einhalt geboten.
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Kritik an Critical Whiteness: Das kompromisslose Bekämpfen von Privilegien, solange nicht alle sie gleichermaßen genießen, schadet letztlich allen, so dieser Beitrag. Der Freitag, 20. April 2017.
Und wo steht Ihrer? Die Hongkonger Kolumnistin Hana Yeung Pui Wan ist irritiert von der Verwendung von Buddha-Figuren als Deko-Objekt. Die Deutsche Buddhistische Union (DBU) verweist auf diesen Artikel. taz, 18. August 2018.
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Everything but the Burden: What white people are taking from black culture Greg Tate (Hg). Broadway Books, New York 2003. Die US-amerikanische Essaysammlung beschreibt, wie Schwarze Kultur von der weißen Mehrheit vereinnahmt wird.
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Foto: Manja Vitolic via Unsplash