Ein Leben ohne SUV, Kreuzfahrt und Streaming

Was machen die Menschen eigentlich, wenn all die unverzichtbaren, fetten Karren, Fernreisen oder Serienmarathons überhaupt nicht mehr nötig sind? Nun, wir haben sie gefragt. Sieben Porträts aus der Zukunft.

Die SUV-Fahrerin

Fährt jetzt mit der Bahn zur Arbeit, läuft mit dem Rucksack zum Supermarkt
und holt sich mit der VR-Brille ihre Kicks auf der Spielekonsole. »Monster Truck
Rallye Downtown« heißt das atemberaubend realistisch anmutende, aber doch
virtuelle Fahrerlebnis ihrer Wahl. Dort überrollt sie piefige Kleinwagen und mahlt
sie genussvoll zu Schrott. Am späten Nachmittag holt sie die Kinder ab. Hoch oben
auf ihrem gewaltigen Lastenrad spürt sie gelegentlich wieder diese Macht. Wenn Schulkinder auf dem Fahrradweg laufen, werden sie gnadenlos weggeklingelt.

Die Großfam… ähm Familie!

Kevin ist jetzt wirklich ganz allein zu Haus. Seine Eltern können sich eine klei-
nere Wohnung erlauben und müssen nicht mehr die den Spießrutenlauf durch
die Spielzeugabteilung im Supermarkt mitmachen: »ach, und das – nein, Mama, ja
genau das, das wollte ich schon immer haben!« – »UND DAS, OCH BITTE, PAPA!
Boah, hier!« Wundervoller Nebeneffekt: Für Kevin und seine Generation ist der
Numerus Clausus an der Uni kein Thema mehr, die Miethaie sind völlig ausge-
hungert und Freitagabend gibt es im Zug auch ohne Reservierung einen Sitzplatz.

transform 6
Dieser Text ist Teil unserer sechsten Ausgabe. In der geht es um Glaube, Religion, selbstgebaute Smart-Speaker ohne mithörende Konzerne, wandernde Straßenbäume oder das Potenzial von religiösen Bildern im Einsatz gegen die Klimakrise.

Der Selbstoptimierer

Die Wie-zum-Teufel-schlafe-ich-mit-drei-Jobs-eigentlich-und-am-besten-opti-
mal-Bewegung gab sich früher mit abstrusen Verkäufern die Klinke in die Hand.
Doch vorbei sind diese Zeiten. Optimus Schlaf hat begriffen, dass drei Jobs mit
jeweils täglich fünf Stunden nur wenig Zeit zum Schlafen übrig lassen. Na ja,
zumindest wenn man das Essen nicht auf einen monströsen Hybrid-Shake zu-
sammenstreichen möchte. Wie furchtbar die sind! Optimus Schlaf arbeitet heute
lieber nicht mehr ganz so viel und schläft, wenn ihm danach ist.

Das Kreuzfahrt-Rentnerpaar

Nehmen jetzt die Fähre nach Dänemark. Wenn Inge mit ausgebreiteten Armen
am Bug steht, den Seewind in der Dauerwelle, dann stellt sich Hermann stützend
hinter sie. Angekommen in Nordborg, beziehen sie ein Ferienhaus direkt am Meer
und genießen ihren Früchtetee zusammen mit den Möwen. Die Idee, im Herbst
des Lebens noch schnell die ganze Welt zu bereisen, kommt ihnen heute absurd
vor: »Nicht mal an der polnischen Ostsee waren wir bisher!«, erklärt Hermann
laut lachend und nimmt Inge schon wieder in den Arm, die nur mit den Augen
rollen kann. »Wozu die Welt sehen, wenn wir hier so herrlich zu uns selbst finden
können?«

Die Streamer

Nutkicks, Spottyfly und MooTroup hatten alle eines gemeinsam: Sie haben
uns einsam gemacht. Weil man sich eben nicht mehr unterhalten oder gar tref-
fen musste, um vom Kollegen, der besten Freundin oder dem Bruder die neues-
ten Serientipps abzugreifen. Damit sie uns mit individuellem Content beliefern
können, haben ihre Server in riesigen Farmen vor sich hin gerechnet, die wahre
CO2-Schleudern waren. Täglich verschlungen sie so viel Strom wie ein verdamm-
ter Kleinstaat. Heute wird von Nutzer zu Nutzer gestreamt. Ansonsten ist es mitt-
lerweile wieder cool geworden, Sex zu haben.

Die #Vanlife Jungeltern

Die jungen Eltern nehmen sich auch nach der Geburt ihres dritten Kindes im-
mer noch frei und fahren dann gemeinsam mit dem Zug quer durch Europa. Erst-
mal geht’s mit Reservierung im Kinderabteil bis Wien. Von dort aus teilt sich die
Familie den Schlafwagen mit Rucksack-StudentInnen aus ganz Europa, weiter bis
ans Schwarze Meer. Als sie Klein-Jonas aufs Wasser legen und treiben lassen wol-
len, merken sie: Schwarzes Meer ist nicht gleich Totes Meer. Am Ende können alle
darüber lachen: Es war die beste Reise ihres Lebens und sie haben ein gutes Dut-
zend Gleichgesinnte in diesen süßen, kinderfreundlichen Hostels kennengelernt.

Black-Friday-Shopper

Hedda war vor wenigen Jahren noch bekennende Rabattjägerin. Stellte sich
ihr eines dieser gut sichtbaren SALE-Schilder in den Weg, zog sie ein unsichtba-
res Lasso erbarmungslos in jeden Laden. Immer wieder fiel sie auf den Trick her-
ein, an etwas zu sparen, was sie sich eigentlich hätte gänzlich sparen können. Wie
sie heute ihre Neigung auslebt? »Ich füttere die Enten am Parkteich«, sagt sie mit
gelassener Miene. »Wenn die ein Stück Brot sehen, rennen die da hin, als wär’s
das letzte. Immer wieder. Bis es wirklich keines mehr gibt.« Und dann? »Erinnert
mich an mein eigenes Verhalten. Man will nicht der letzte sein und das alles ver-
passen. Das ganze alte Brot!« Hedda befindet sich noch immer in Therapie. Aber
ihr Therapeut ist zuversichtlich.


Texte: die Redaktion
Foto: Peter Thomas on Unsplash

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