Hans im Glück

Es scheint, als strebe alle Welt stets nach Größer, Schneller, Teurer. Dabei erkannte Hans im Glück, der Märchenheld der Gebrüder Grimm, schon vor 200 Jahren die Behaglichkeit der Reduktion. Eine moderne Erzählung vom materiellen Glück.

»Weißt du was, wir wollen tauschen« Hans hatte 18 Jahre bei seinen Eltern gelebt, da sprach er zu ihnen: »Vater, Mutter, meine Zeit ist herum, nun wollte ich gerne meines eigenen Weges gehen«. Die Eltern antworteten: »Du bist ein treuer und ehrlicher Sohn, wie die Jugend war, so soll das Erwachsenwerden sein«, und gaben ihm den VW Polo des Großvaters, der so groß war als Hansens Zimmer und welchen der Großvater schon lange nicht mehr fuhr. Hans setzte sich hinein und begab sich in die Welt.

Wie er so dahin fuhr und immer einen Kilometer hinter den anderen setzte, kam ihm eine Rollerfahrerin in die Augen, die frisch und fröhlich auf einer Schwalbe vorbei rauschte. »Ach«, sprach Hans ganz laut, »was ist das Mofafahren ein schönes Ding! Da sitzt einer wie auf einem Stuhl, aber doch an der frischen Luft, spart Platz und Emissionen und kommt doch fort, er weiß nicht wie.« Die Schwalbenfahrerin, die das gehört hatte, hielt an und rief: »Ei Hans, hörtest du denn nicht vom Dieselgate? Warum fährst du auch im stinkigen Volkswagen?« — »Ich muß ja wohl, das ist mein Lohn und Besitz, es bringt mich durch die Welt, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerade halten: Die Abgassünde drückt mir aufs Gemüth.«

»Weißt du was«, sagte die Schwalbenfahrerin, »wir wollen tauschen, ich gebe dir meine Schwalbe, und du gibst mir deinen Polo.« »Von Herzen gern«, sprach Hans, »aber ich sage euch, ihr müßt euch damit quälen.« Sie stieg ab und half dem Hans hinauf, gab ihm den Lenker fest in die Hände und sprach: »Wenns nun recht geschwind soll gehen, so mußt du am Lenker drehen und ›hopp hopp‹ rufen«.

»Mir scheint, ich muss in einer Glückshaut geboren sein«. Hans war seelenfroh, als er auf der Schwalbe saß und dahin glitt. Über ein Weilchen fiels ihm ein, es sollte noch schneller gehen und fing an »hopp hopp« zu rufen. Die Schwalbe setzte sich in Sprint, und ehe sich Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem Graben. Dort erblickte ihn ein Geschäftsmann, der von einem Bahnhof kam. Hans suchte seine Glieder zusammen und machte sich auf die Beine. Er war aber verdrießlich: »Es ist ein schlechter Spaß, das Rollerfahren, zumal wenn man auf so eine Schrottmühle gerät wie diese, die stößt und einen herab wirft, daß man den Hals brechen kann, ich setze mich nimmermehr wieder auf.

Da lob ich es mir, kutschiert zu werden, da kann einer mit Gemächlichkeit reisen und hat obendrein seine Ruhe zum aus dem Fenster blicken jeden Tag gewiß. Sag an, Geschäftsmann, ist es nicht so?« »Wohl wahr, lieber Hans, mein ist eine Bahncard 100. Auf ihrer Gunst fahre ich in allen Zügen, wann es mir beliebt. Ingleichen trenne ich mich vom sperrigen Besitz, mein Luxus ist die Reise.« »Ei, was gäb ich darum, solch eine Bahncard mein zu nennen!«, sagte Hans, der planetaren Grenzen seines Konsums zu bewusst. »Nun« sprach der Mann, der in seiner Jugend an einer Schwalbe schraubte und nicht nur dies an seinen jungen Tagen vermisste, »geschieht euch so ein großer Gefallen, so will ich euch wohl die Bahncard für die Schwalbe vertauschen.« Hans willigte mit tausend Freuden ein: Der Mann schwang sich auf die kaum beschädigte Schwalbe und knatterte eilig davon.

»Alles was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind«. Hans steckte seine Bahncard ein und bedachte den glücklichen Handel. »Hab ich nur ein wenig Zeit und reizt mich die Ferne, so steig ich ein.« Dann erklomm er, die Bahncard gezückt, den nächsten ICE und fuhr los, immer nach der Stadt seiner Träume. Die Hitze ward drückend, die Klimaanlage ausgefallen und Hans befand sich in einer Gleisstörung, die wohl noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß, so daß ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. »Dem Ding ist zu helfen«, dachte Hans, »jetzt will ich mich an einem kühlen Trank laben.« Er winkte einem Servicemitarbeiter und ließ das Kärtchen blitzen, geschwind kam ein jemand, der aber sagte: »Das Bordbistro ist in diesem Zug leider nicht vorhanden.«

Indes gab die Hitze Hans einen solchen Schlag vor den Kopf, daß er taumelte und eine zeitlang sich gar nicht besinnen konnte, wo er war. Was für ein Ungemach! Glücklicherweise hörte dies sein Sitznachbar. »Was sind das für Streiche!« rief er und half dem guten Hans, sich zu besinnen. »Ei, ei,« sprach Hans und strich sich die Haare über den Kopf, »wer so eine Pein vertragen kann! Ich bin in einer Foltermaschine.« »Hört, Hans«, sprach der Nachbar und zeigte ihm ein Instagram-Abbild seines Rennrads, »euch zu Liebe will ich tauschen und euch das Rad für die Karte lassen. Bedenkt doch: Hier wird die Energie aus ungezählten Kohlekraftwerken durch die Trasse gejagt. Dekarbonisierung sieht anders aus. Das Rad schont die Umwelt und ihr reist mit eigener Kraft.«

»Gott lohn euch eure Freundschaft!« sprach Hans, übergab ihm die Karte, und ließ sich am nächsten Bahnhof das Zweirad geben.
»Herz, was verlangst du mehr?«

Hans fuhr los und dachte, wie ihm doch alles nach Wunsch ginge: Begegnete ihm eine Verdrießlichkeit, so würde sie doch gleich wieder gut gemacht.
Bis er merkte, dass er einsam wurde. Es ging durch ein Dorf, einsam auf dem Rad, daneben Autofahrer, einsam, und er sah einen Bursch am Straßenrand. Einsam? Doch der Bursch war heiter und sang: »Ich zeige den Daumen und reise geschwind, und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.«

Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an und sprach: »Euch gehts wohl, weil ihr so lustig bei eurem Posten seid«. »Ja, das Trampen hat güldenen Boden. Ihr findet neue Begegnungen, so oft ihr den Daumen hebt. Aber woher habt ihr das schöne Rad?« Hans erzählte von den Tauschgeschäften. »Ihr habt euch jederzeit zu helfen gewußt«, sagte der Bursch.

»Ach« sprach Hans. Sie boten einander die Zeit, und Hans sprach von der Spaltung der Gesellschaft und der Einsamkeit auf einem Hipster-Rad. Der Bursch zeigte ihm seine Landkarte und wie sie ihn von Raststätte zu Raststätte lotste. »Ich muss schon etwas aufs Spiel setzen«, sagte er und blickte auf das Rad, »aber ich will doch nicht Schuld tragen, dass ihr ins Unglück geratet.« Hans nahm also die Karte, der Bursch bekam das Rad und trieb sich schnell auf einem Seitenweg fort. Der gute Hans aber trampte, seiner Sorgen entledigt, mit der Karte im Arme stets fort.

Bis ein Auto mit seiner Karte dahinfuhr. Hans, als er sie mit dem Auto in der Weite hat verschwinden sehen, sprang vor Freuden auf. Dann kniete er nieder und war dankbar auf eine so gute Art und ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von der Last des Besitzes befreit worden zu sein. Das als einziges wäre ihm doch hinderlich gewesen. »So glücklich wie ich«, rief er aus, »gibt es keinen Menschen unter der Sonne.«


Text: Hans Rusinek
Illustrationen: Sophie Boche für transform

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