Unsere Autorin sagt: Wer Kinder in die Welt setzt, ist egoistisch. Denn je weniger Kinder in die Welt entlassen werden, umso größer ist die Chance, den Klimawandel zu stoppen.
Die meisten von uns leben in pro-natalen Gesellschaften, Kinder zu bekommen gehört zum guten Ton. Wer keine Kinder bekommt, sollte besser einen guten Grund parat haben, um nicht von wütenden Müttern als Egoist beschimpft und mit vollen Windeln beworfen zu werden. Kinder kriegen bedeutet Zukunft gestalten und Art erhalten. Wer würde das nicht wollen?
Ungewisse Zukunftsperspektiven
Heutzutage bedeutet Kinder zu bekommen jedoch auch, sie in eine Welt zu entlassen, die wir, die potentielle Elterngeneration, zugrunde richten. Wie? Die Rede ist vom Klimawandel. Manche mögen stöhnen, aufhören zu lesen oder – ja das gibt es – so tun, als gäbe es ihn gar nicht. Und doch: 97 Prozent der Klimawissenschaftler sind sich einig, dass der menschengemachte Klimawandel real und dringlich ist. Vor allem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum tragen Schuld daran.
Kinder kriegen treibt beides voran. Das Bevölkerungswachstum ist ein blinder Fleck in der Debatte, die sich meist nur um kleinteilige Verhaltensratschläge dreht: Grünere und effizientere Energienutzung, Dekarbonisierung, wir sollen also weniger Auto fahren, weniger fliegen, weniger konsumieren, weniger egoistisch sein. Obwohl die Aussichten alles andere als rosig sind, weigert sich die Mehrheit der Menschen, ihr Verhalten zu ändern. Ändern wir nichts, könnten wir aber bereits 2050 die Zwei-Grad-Grenze erreichen, die im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurde. Wollen wir das verhindern, müssten wir die Pro-Kopf-Emissionen bis dahin auf zwei Tonnen gesenkt haben.
Kinder im Globalen Norden haben einen besonders großen Karbon-Fußabdruck. Die durchschnittliche langfristige Kohlenstoffwirkung eines Kindes, das heute in den USA geboren wird, ist einschließlich seiner Nachkommen um ein Vielfaches höher als die eines Kindes in Bangladesch. Denn bekomme ich ein Kind, gibt es nicht nur eine Person, die zu weiterem Treibhausgasausstoß führt, es gibt auch eine weitere Person, die ebenfalls Kinder bekommen kann, die auch wieder Kinder bekommen können. Mehr Menschen, die nicht nur CO2 ausstoßen, sie verbrauchen auch Ressourcen. Wir würden jedoch bereits heute 1,7 Erden benötigen, gemessen an unserem gegenwärtigen Ressourcenverbrauch.
Travis Rieder, ein Philosoph aus den USA, hat einen praktikablen Weg gefunden: Wenn wir auf gewohnten Komfort partout nicht verzichten wollen, verzichten wir halt auf den umweltbelastenden Nachwuchs. Das wäre auch ausgesprochen effektiv. Eine neue Studie der Universität Lund zeigt: Ein Kind weniger zu bekommen, spart die meisten Emissionen ein, selbst im Vergleich zum Verzicht aufs Auto oder Flugreisen. Weitere Untersuchungen zeigten: Senken wir die Geburtenrate auf 0,5 Kinder pro Frau, könnten wir 16 bis 29 Prozent der nötigen Emissionen einsparen.
Jedes nicht geborene Kind bedeutet 58,6 Tonnen CO2, die pro Jahr eingespart werden. Aber ist der Vorschlag auch vertretbar? Chinas Ein-Kind-Politik hat gezeigt, die Geburtenrate ist zwar gefallen, aber die Repressionen waren groß. Es kam zu massiven Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen. Gesetze, die die Anzahl der Kinder regulieren, sind in liberalen demokratischen Gesellschaften nicht denkbar.
Will die Idee demokratiekompatibel sein, muss das erste Gebot Transparenz heißen. Das bedeutet: Beteiligung der Betroffenen. Dafür könnte die Diskussion zuallererst Eingang in die Medien finden. Der einfachste Ansatz wäre aber, die Auswahlmöglichkeiten durch Aufklärung, Zugang zu Verhütungsmitteln und sicheren Abtreibungen zu erhöhen. Studien zeigen: Werden diese Dinge verfügbar, fällt die Geburtenrate.
Dies wird jedoch voraussichtlich nur in den Ländern fruchten, in denen noch keine reproduktive Freiheit herrscht. Akzeptabel ist es auch nur, wenn die Eltern nicht auf die Kinder als Arbeitskräfte angewiesen sind – es muss also vor Ort ein System der sozialen Absicherung geben. Fehlt es, wird auch die neugewonnene Freiheit die Geburtenrate nicht drastisch senken.
Travis Rieders Idee beruht auf Selbstverantwortung. Es geht also darum, nicht nur mit dem Finger auf Politik und Wirtschaft zu zeigen, sondern bei den eigenen Entscheidungen verantwortlich zu handeln. Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, die Konsequenzen, die aus dem eigenen Handeln entstehen, zu tragen. Ein Kind zu bekommen hat Auswirkungen und Folgen, die weit über den eigenen Lebenshorizont hinausgehen.
Studien und Berechnungen wie diese ermöglichen es, Zukunftsszenarien durchzuspielen. Welche Konsequenzen wird meine Entscheidung höchstwahrscheinlich haben? Möchte ich das? Diese Konsequenzen müssen für die Eltern spürbar werden. Folglich dürfen Eltern nicht bevorteilt werden. Stattdessen müssen sich die Vor- und Nachteile der Entscheidung verschieben.
Statt Anreizen fürs Kinderkriegen lieber Prämien für die Inanspruchnahme von Verhütungsmitteln oder eine Kindersteuer, die an das Einkommen geknüpft ist. In vielen anderen Bereichen empfinden wir die sanfte Lenkung durch Anreize oder Abschreckungsmechanismen als durchaus legitim, zum Beispiel die Boni der Krankenkasse oder die grausigen Bilder auf Zigarettenschachteln.
Um Einstellungen und Vorlieben zu verändern, braucht es aber auch neue Vor- und Leitbilder. In Südamerika, Afrika und Asien wurden Fernsehsendungen ausgestrahlt, die das glückliche Leben von Familien mit wenigen Kindern zeigten. Und siehe da: Die Geburtenrate sank. Gleichzeitig wäre es für die Zukunft möglich, nicht nur die positiven Seiten weniger oder keiner Kinder zu zeigen, sondern auch die negativen Konsequenzen vieler Kinder zu porträtieren.
Filmreihen könnten beispielsweise die verschiedenen Zukunftsszenarien abbilden, je nachdem wie sich das Bevölkerungswachstum entwickelt. Nun mag der ein oder andere rufen: Alles, was darüber hinaus geht, ist eine Beschneidung persönlicher Freiheit. Aber ist dem wirklich so?
Persönliche Freiheiten gelten schließlich immer nur so weit, wie sie die Freiheiten anderer nicht einschränken. Ergo, meine Kinder-krieg-Freiheit muss sowohl das Wohlergehen der hypothetischen Kinder, als auch die Auswirkungen und potentiellen Einschränkungen anderer miteinschließen. Und schaut man sich das Klimachaos an, wird schnell klar, dass das haltloses Kinderkriegen definitiv die eine oder andere Freiheit beschneidet.
Unser Planet kann sich ganz einfach keine wachsende Bevölkerung leisten, schon gar nicht auf dem Lebensstandard eines Durchschnitts-Europäers. Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum müssen endlich sein, denn die Ressourcen sind endlich. Die Geburtenraten in sogenannten „Wohlstandsländern“ gehen seit Jahren zurück. Den Problemen, die mit weiter sinkenden Geburtenraten auftreten würden, müssen wir uns sowieso stellen: Wie finanzieren wir die Rente der älteren Generation? Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung auf die Politik und die Wirtschaft haben?
Möglicherweise wird der Klimawandel selbst einige Fragen beantworten. Forscher sind sich einig: Der Schaden, den wir bereits angerichtet haben, wird zu Klimaflüchtlingen führen oder tut das schon heute. Mehr Menschen werden also auf weniger Landfläche leben müssen. Und Rieder ist mit seinen Forderungen nicht allein, auch der wissenschaftliche Zusammenschluss Club of Rome warnt schon seit Jahrzehnten vor haltlosem Wachstum. Eine Studie norwegischer Wissenschaftler, die dem Club angehören, fordert Prämien für Kinderlose und Familien mit nur einem Kind. Außerdem sollen kinderlose Frauen mit 50 eine Prämie von 80.000 Dollar erhalten. Hinzu kommt, dass Studien gezeigt haben: Kinderlose spenden öfter und eher an gemeinnützige Organisationen.
42 Prozent der Organisationen werden sogar von Kinderlosen gegründet. 48 Prozent der Kinderlosen geben in ihrem Testament Wohltätigkeitsorganisationen an, von den Eltern tun dies nur 12 Prozent. Auch das ist ein Weg, die Zukunft zu beeinflussen. Kinderlose sind also nicht nur passiv klimafreundlicher, sie scheinen sich auch aktiv öfter für die Umwelt einzusetzen.
Glückliche Menschen machen oder Menschen glücklicher machen
Die Frage lautet also: Ist es ethisch vertretbarer, glückliche Menschen zu machen oder Menschen glücklich zu machen? Bekomme ich ein Kind, das ich dann hege und pflege, so dass es später hoffentlich ein glücklicher Mensch wird? Oder versuche ich, die bereits vorhandenen Menschen glücklicher zu machen? Kinder schützen, indem wir sie gar nicht erst bekommen? Kritiker sagen, Rieder wolle die Menschheit ausrotten.
Aber arbeiten wir nicht selbst längst am eigenen Ende, wenn wir den Klimawandel nicht stoppen? Menschen, die Rieder vorwerfen, er wäre lebensfeindlich, vergessen, dass es unter diesen Umständen vielleicht sogar lebensfeindlicher ist, Kinder zu bekommen.
Denn damit trage ich zum Sterben des Planeten bei und ändere gleichzeitig nichts an der Situation Millionen leidender Kinder. Entscheide ich mich gegen eigene Kinder, schade ich den Planeten weniger, entlasse das hypothetische Kind nicht in eine kränkelnde Welt und habe Ressourcen, um mich um die anderen Menschen zu kümmern. Nichtsdestotrotz bleiben Schwierigkeiten: Wie wird entschieden, wer ein Kind bekommt und wer nicht?
Es ist schwer vorstellbar, dass sich dies von alleine regelt. Schnell fasst man sich an die eigene Nase: Könnte ich auf Kinder verzichten, um das Klima zu retten? Doch keine Kinder zu bekommen heißt noch lange nicht, keine Kinder zu haben. Momentan warten 19 Millionen Kinder darauf, adoptiert zu werden.
Illustration: Fabian Gampp für transform
Dieser Text ist Teil der vierten Ausgabe vom transform Magazin, das im Dezember 2017 erschienen ist. Neben dem Hauptthema “Kinderkriegen” werden hier auch Ideen einer gerechteren Wirschaft oder den Vorzügen von Bademänteln besprochen.