Minimalismus als Lebensform 2

Ist Minimalismus die Alternative zum Überfluss?

Wann ist Minimalismus spaßig und befreiend, wann dogmatisch? Maren Kauer und ihr Mann erzählen von ihrem Leben, welches ohne unnötigen Kram auskommen soll.

Dinge, Beziehungen und Erlebnisse werden umgewertet, um den Alltag schöner zu gestalten.

Minimalismus gilt als Alternative zum Überfluss. Für viele geht es dabei nicht nur um eine leere Wohnung, sondern auch den persönlichen Lebensweg: Dinge, Beziehungen und Erlebnisse werden umgewertet, um den Alltag schöner zu gestalten. Dabei gibt es verschiedene Auslegungen, etwa extreme Minimalisten, die nur 100 Gegenstände besitzen, Konsumverweigerer, Weltverbesserer, Life-Style-Minimalisten, Praktische Minimalisten usw. Manchmal paart sich der Minimalismus auch mit Veganismus oder alternativen Lebensentwürfen..

Model: Elena Bien Foto: Alem-Adina Lucia Weisbecker

Die 41-jährige Maren Kauer und ihr Mann leben seit 3 Jahren minimalistisch. Sie arbeitet als Musiktherapeutin und schreibt in ihrem Blog Minimalismusentspannt über das große Aussortieren, über drei Umzüge – von den Niederlanden, nach Bremen bis ins bayrische Bamberg. Dabei verkleinerten sie sich von einem Haus mit Dachboden und großem Schuppen, über eine 75-Quadratmeter-Wohnung bis zu einer 55-Quadratmeter-Wohnung. Bald nun wollen die beiden in ein Tiny-House ziehen.

“Durch die Umzüge wurde mir bewusst, wie belastend und vor allem schwer unser Besitz ist.”

Die Ortswechsel waren nicht freiwillig gewesen. Der erste Umzug stand wegen einer neuen Arbeitsstelle an, der zweite wegen nächtlicher Lärmbelästigung und der dritte wegen Schimmel. Doch diese Veränderungen trieben den Lebenswandel zusätzlich voran.

“Da wir jedes Mal in kleinere Wohnungen gezogen sind mussten wir uns mit viel Mühe, Herzschmerz und dem Gedanken, „das brauchen wir vielleicht noch“ unserem Besitz stellen, weil es einfach nicht passte! Das Erstaunlichste war, dass wir nichts vermisst haben.”

Entspannte Minimalisten, keine Moralapostel

Bald nun wollen die beiden in ein „Tiny-House“ ziehen.

Der „Überkonsum“ hat Maren und ihren Mann dazu bewegt sich von dem Großteil ihres Besitzes zu trennen. Allzu dogmatisch und streng waren die Beiden dabei nicht.

“Wir haben über den anderen eher geschmunzelt, wenn ich zum Beispiel Kleidung aufbewahren wollte, die mir nicht mehr passte oder mein Mann eine große Dose mit Fahrradklingeln.”

Nach drei Jahren besaß das Paar 80 Prozent weniger, sparte Mietkosten, verzichtete auf einen Fernseher und nutzte Carsharing, statte eines Auto. Der größte Gewinn sei allerdings die Zeit.

“Ich arbeite weniger. Wir brauchen weniger Zeit zum Putzen und Aufräumen und haben dafür mehr Zeit zum Leben.”

Ihr Chef habe sie gefragt, ob sie mehr arbeiten wolle und sie hat verneint. Er habe dafür kein Verständnis, denn er sei ein Workaholic“, doch für Maren ist das kein Problem, denn sie erwartet von Niemanden so zu leben, wie sie es tut. Flexibilität versus finanzielle Sicherheit:

“Meine Rente ist eh schon am Arsch. Ich will nicht warten bis ich in Rente bin, sondern jetzt leben.”

Völlerei und Konsum an Weihnachten

Spekulatius und Lebkuchen tauchen bereits im August auf. Mit steigender Intensität steigt die Flut von Werbebotschaften und Angeboten. Vor dem Heiligen Abend herrscht der sogenannte „Weihnachtsstress“.

Maren behauptet, Webung spiele für sie keine Rolle.

“Wir haben keine Reklame in der Post, keinen Fernseher und keine Smartphones. In dem historischen Stadtkern von Bamberg ist ganz wenig Werbung zu sehen, das war in Bremen anders. Dadurch wird man kaum beeinflusst und ich habe keine Ahnung was zurzeit „in“ ist. Wir sind seit dem Minimalismus viel bewusster geworden und haben uns für langlebige Qualität entschieden, dadurch kaufen wir automatisch weniger. Wir essen auch gesünder und freuen uns über die Dinge die wir haben.”

Minimalismus als Lebensform 3

“Es war schwer, aber auch gut. Dinge abzugeben war ein schönes Gefühl, wenn das Zeug weg war und andere Leute etwas damit anfangen konnten. Wenn wir „Couchsurfer“ einladen, dann ohne Bedenken. Unsere Laptops sind schweinealt und wir haben nichts was Menschen klauen könnten. Wenn Möbel zerkratzen oder ein Teller kaputtgeht, ist mir das egal, das kostet kein Vermögen.“ Genügsamkeit, Zufriedenheit mit kleinen Dingen und Wertschätzung zeichnet viele Minimalisten aus. Sie vergleichen sich weniger und trauern eher selten Gegenständen hinterher.”

Reichtum besteht nicht aus Zahlen

Was braucht der Mensch zum Leben? Einen gesunden Körper, Nahrung, Wasser, ein Dach über dem Kopf, Kleidungsstücke, ein sicheres Umfeld und Gesundheitsversorgung. Wenn der Mensch nicht abseits der Zivilisation als Selbstversorger lebt, braucht er Geld, um in der Gesellschaft zu überleben. Das sind die Grundvoraussetzungen und dazu zählt kein schickes Auto, oder ein eigener Pool im Garten.

Wir brauchen dieses “Brauchen”.

Doch die Grundbedürfnisse reichen für viele Menschen nicht, da sie in großen Teilen der westlichen Welt als selbstverständlich gelten. Gleichzeit braucht der Mensch wohl mehr zum Leben. Er braucht das Brauchen. Immaterielle Dinge wie Liebe, Familie und Freundschaft sind nicht selbstverständlich, doch scheinen ebenfalls nicht auszureichen.

Doch warum halten sich Menschen an Besitztümern fest, oder sehen es als Voraussetzung zum Glück an? Und was hat es mit dem Phänomen „was sollen die Nachbarn denken“ auf sich?

“Menschen brauchen den Vergleich, um sich nach außen besser darstellen, verkaufen und präsentieren zu können. Konsum bietet eine geglaubte Sicherheit und Status ist vor allem in Deutschland ein Thema. Einbauküchen und große Autos liegen im Trend. In den Niederlanden ist das umgekehrt, da fährt man mit dem Fahrrad zum Konzert und wird blöd angeguckt, wenn man mit einem Auto vorfährt. Menschen definieren sich auch über Dinge, darüber was sie haben und was sie damit darstellen. Besitz ankert und kann festhalten und auch abhalten von neuen Entwicklungsmöglichkeiten.

Weniger ist genug”

Der Lebenswandel führte nicht nur zu Verständnis im Freundes- und Familienkreis. Manche reagierten verwundert bis verständnislos, so auch ihr neuer Vermieter, als er die aktuelle Wohnung betrat, sagte er nur:

“Ihr lebt aber leer.”

Doch im Gegenteil, Maren und ihr Mann fühlen sich mit weniger Besitz erfüllter und freier. Bei mehreren Besuchern improvisieren die beiden: Es gibt einen Schaukelstuhl, Campingstühle und eine Matratze, die als Sofa umfunktioniert wird. Maren lädt gerne Freunde und Familie ein und warnt immer vor, dass es ein bisschen so wie Camping sei.

“Manche Freunde kommen vorbei und sagen: Wollt ihr nicht mal Gardinen aufhängen, oder ein bisschen Deko? Ich antworte: Ne, bist du wahnsinnig? Natürlich stoßen wir auch auf Unverständnis: Das war doch alles teuer, eure Wohnung wirkt kalt, ihr habt nur zwei Töpfe? So könnte ich auf keinen Fall leben! Wir haben dies nicht, wir haben das nicht. Ich glaube viele finden das komisch, wir leben halt anders.”

Für ihre Nichten und Neffen sei der verschwundene Fernseher damals ein Schock gewesen und sie erlitten in der Zeit des Besuches einen kleinen Entzug. Das minimalistische Leben sei pragmatisch. Doch es bringe auch Schwierigkeiten mit sich, zum Beispiel gleichgesinnte Freunde zu finden. Nach drei Umzügen lasse man viel zurück und die meisten Bekanntschaften verlaufen sich.

Im Gegenzug bringt ein Wandel immer neue Erfahrungen und Erlebnisse mit sich. Wenn man sich am Ende selbst die Frage des Psychoanalytikers und Sozialphilosophen Erich Fromm stellt: “Was bleibt von dir, wenn man dir (all) deinen Besitz genommen hat?” werden die Antworten vielleicht gar nicht so verschieden ausfallen.

 


Wie sich das Bild von Luxus über die Jahrhunderte wandelt und wie er sich heute gerechter verteilen lassen würden, diskutieren wir in unserer neuen Luxus-Ausgabe.

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Text & Bild: Alem-Adina Lucia Weisbecker

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